Roboterhund Spot
Der Roboterhund Spot ist bereits in einigen Industrieunternehmen im Einsatz, um Menschen bei ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Doch nicht immer geht es nur um Effizienzsteigerungen.
imago images/ZUMA Press

Dass Fachhochschulen Fördermittel für ihre Forschungsinfrastruktur erhalten, sei eher selten, sagt Claudia Pacher. Umso mehr freut es die Forschungsleiterin der Fachhochschule Kärnten, dass sie nun eine Million Euro einwerben konnte. Interessant an der Förderung war aber nicht nur die Summe, sondern auch der Hintergrund, mit der die eher kleine Fachhochschule die Fördermittel lukrierte. Europäischer Regionalfonds, EU-Kommission und Kärntner Wirtschaftsfonds ließen Geld für ein Projekt fließen, das eine in der allgemeinen Wahrnehmung noch weniger bekannte EU-Vision aufgreift: Industrie 5.0.

Das Schlagwort gilt unter EU-Strategen als die Zukunft der europäischen Industrie. Aber was diese Bezeichnung genau bedeutet, die sich an der Versionsnummerierung von Softwareprogrammen orientiert, ist für viele noch eher undurchsichtig. Erstmals aufgetaucht war die Nummerierung für "industrielle Revolutionen" als Industrie 4.0 bei der Industriemesse in Hannover im Jahre 2011.

Industrie 1.0 bis 5.0

Damals wurden damit "smarte Fabriken" beworben und die neuen Möglichkeiten aufgezeigt, wie Fabriken über das "Internet der Dinge" noch viel stärker automatisiert werden könnten. Um das Narrativ des Neuen zu unterstützen, wurde mit dem Software-Vokabular auch gleich die ganze Industriegeschichte durchnummeriert: Das Zeitalter der Dampfmaschinen bekam die Bezeichnung Industrie 1.0 verpasst, die Ära des elektrifizierten Fließbands wurde zur Industrie 2.0 und der Einzug der Computer in die Fabrik Ende der 1960er-Jahren nachträglich als Industrie 3.0 tituliert.

Die Computerpionierin Grace Murray Hopper arbeitet 1960 mit einem Computer.
Die Computerpionierin Grace Murray Hopper arbeitet 1960 mit einem Computer.
Smithsonian Institution

Während die deutsche Bundesregierung in Folge sogar eine Expertenkommission einrichtete und Industrie 4.0 als Vision für ihre neue Industriepolitik betrachtete, dauerte es nicht lange, bis erste kritische Stimmen zu hören waren. Ein Begriff wie Industrie 4.0 sei viel zu technologielastig, um eine industriepolitische Vision herzugeben.

Zudem bewege man sich in alten Paradigmen, in denen es nur um Effizienz und schnöde Profitsteigerung ginge. Für die drängenden Probleme der Zeit wie Klimakrise, Zukunft der Arbeit oder die vielerorts alternde Gesellschaft habe die Industrie 4.0 aber keine Antwort parat.

Neues Konzept

Ein Update musste also her – aber ein völlig anderes. Unter dem Stichwort Industrie 5.0 entwickelte sich daher bald ein neues Konzept, das in gewisser Weise sogar als Gegenentwurf verstanden werden kann, von manchen aber auch evolutionär als logische Weiterentwicklung gesehen wird. Das Kennzeichen dieser neuen Bewegung: Sie will die Industrie stärker in die soziale und gesellschaftliche Verantwortung nehmen.

Vor allem die europäische Kommission fand Gefallen an dem neuen Begriff. In ihrer Industrie-5.0-Vision spielen weitere digitale Entwicklungen wie Robotik und künstliche Intelligenz zwar noch immer eine wesentliche Rolle – in ihre erweiterte Zieldefinition flossen aber auch ökologische und wirtschaftsethische Überlegungen ein.

Menschengerechte Arbeit

Im Prinzip handelt es sich dabei um bekannte EU-Ziele, allen voran um den "Green Deal", also die klimaneutrale Produktion bis 2050. Aber auch die Entwicklung neuer menschengerechter Arbeitsplätze oder eine serviceorientierte Digitalisierung der gesamten Gesellschaft fanden darin Platz.

Heute dient der Begriff Industrie 5.0 folglich als eine Art "Nordstern" im Umgang mit neuen Technologien, Geschäftsmodellen und Industrieentwicklungen. Fabriken sollen etwa durch mehr Digitalisierung nicht menschenleer werden, sondern Arbeitskräfte für kreative Tätigkeiten freispielen. Profite sollten selbstverständlich weiterhin erwirtschaftet werden, die Wettbewerbsfähigkeit aber im Rahmen nachhaltiger Produktion erfolgen, inklusive Ressourcenschonung, Recycling und Umstellung auf CO2-neutrale Energiequellen.

Schuhsole auf Fabriksband
Recycling und Nachhaltigkeit sollen in der Industrie 5.0 eine viel größere Rolle spielen.
AFP/GAIZKA IROZ

Seit der Pandemie und dem Ukrainekrieg tritt auch ein weiterer Aspekt der europäischen Vision einer Industrie 5.0 noch stärker hervor: die Resilienz. Um die Gesellschaft widerstandfähiger gegen alle möglichen Arten von Krisen zu machen, sollen nicht nur die Abhängigkeiten von fragilen Lieferketten und Energieimporten minimiert werden. Entwickelt werden sollen zielgerichtet auch neue Technologien, die die Resilienz der Gesellschaft gegenüber Krisen aller Art vergrößern.

Wichtige Förderquellen

Für Fachhochschulen bedeutet Industrie 5.0 jedenfalls eine Möglichkeit, um Förderquellen zu erschließen. "Denn die nächsten Generationen von Arbeits- und Führungskräften müssen für die neuen Anforderungen auch ausgebildet werden", sagt Pacher.

Die FH Kärnten, die Industrie 5.0 bereits in ihre Forschungsstrategie übernommen hat, arbeitet nun mit der dafür geförderten Infrastruktur und internationalen Partnern an Projekten für die Entwicklung resilienter Technologien.

3D-Drucker bis Lasercutter

Nicht zuletzt durch die Fördersumme konnten dafür diverse Geräte angeschafft werden – etwa ein Lasercutter, ein Brennstoffzellen-Trainer, ein Hochleistungsmikroskop und ein spezielles 3D-Drucksystem. Jetzt soll damit Forschung im Bereich Nachhaltigkeit und Resilienz betrieben werden. "In diesem Rahmen wollen wir resiliente Technologien entwickeln und uns in diesem Bereich auch international etablieren", sagt Pacher.

Unter dem Oberbegriff der Industrie 5.0 lassen sich unterschiedlichste Forschungen subsumieren: zum Beispiel Modellierungstechnologien im Bereich der Raumplanung, um Siedlungsräume gemeinsam mit der Bevölkerung gestalten zu können. Oder im Forschungsbereich des demografischen Wandels die Entwicklung von Bewegungssensoriken, um die Ganganalyse für Schlaganfallpatientinnen und -patienten zu verbessern.

Mit neuer Gerätschaft wird auch an robusten 3D-Drucktechnologien, um Dekarbonisierungsprojekte für den Leichtbau zu unterstützen, geforscht. Der nächste Schritt werde Pacher zufolge der Aufbau eines neuen Forschungszentrums namens "Natur und Umwelt" sein. Hier will die FH Kärnten dann weitere Studienlehrgänge ansiedeln, die sich mit Green Transition, also dem Übergang zu grünen Technologien und Produktionsprozessen, beschäftigen, was selbstverständlich auch ein Industrie-5.0-Thema ist. (Norbert Regitnig-Tillian, 24.9.2023)