Im Bild ein Stempel mit dem Aufdruck
Nach Jahren des Wartens auf den Europäischen Gerichtshof geht es jetzt Schlag auf Schlag mit OGH-Urteilen im Abgasskandal.
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Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat einen weiteren Baustein in der unendlichen Geschichte des Dieselskandals gesetzt. Das Höchstgericht hat im Fall eines Audi Q3 bemerkenswerte Feststellungen getroffen, die auch die mehr als 9.000 im Sammelverfahren des Vereins für Konsumenteninformation versammelten Fahrzeughalter ein Stück weiterbringen.

Der OGH beschied, dass das Softwareupdate, mit dem die Abgasmanipulation nach Auffliegen des Skandals im Jahr 2015 saniert werden sollte, keine Reparatur war. Vielmehr wurde mit dem – notabene von der deutschen Zulassungsbehörde KBA angeordneten – Update "eine unzulässige Abschalteinrichtung durch eine andere unzulässige Abschalteinrichtung" ausgetauscht. Deshalb liegt laut OGH nach der Verbesserung weiterhin ein Sachmangel in Form einer verbotenen Abschalteinrichtung vor.

Der Schaden wurde durch die neue Software für die Motorsteuerung somit nicht saniert oder aufgehoben, heißt es im OGH-Urteil (2 Ob 5/23h), das dem STANDARD vorliegt. "Diese Umstände führen nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird". Somit berechtigt dieser Sachmangel zur Rückabwicklung des im April 2015 getätigten Autokaufs, der Besitzer des Audi Q3 bekommt den Kaufpreis von 35.850 Euro zuzüglich vier Prozent Zinsen zurück. Lediglich das Nützungsentgelt für die gefahrenen Kilometer wird abgezogen. Im Gegenzug geht der Stadtgeländewagen zurück an den Händler.

Volkswagen haftet

Damit ist der Wolfsburger Konzern mit seiner Argumentation auf voller Linie abgeblitzt. Das Vorbringen, die verharmlosend als Thermofenster bezeichnete automatische Abschaltung der Abgasreinigung bei Temperaturen unter 15 und über 33 Grad sowie ab tausend Höhenmetern sei durch Aufspielen des Softwareupdates nachträglich saniert worden, geht damit ins Leere. Ebenso der Einwand, die Abgasrückführung werde zum Schutz des Motors vor Versottung jetzt doch erst unter fünf Grad Celsius abgeschaltet und nicht schon bei 15 Grad, was dazu führt, dass das mit "Blue Motion" beworbene Fahrzeug mehr als die Hälfte des Jahres ohne beziehungsweise mit stark gedrosselter Abgasreinigung herumkurvt. Derlei Argumente verfingen bei den Höchstrichtern nicht mehr.

Bemerkenswert an dem OGH-Spruch ist insbesondere, dass neben dem Händler auch Volkswagen als Hersteller des inkriminierten Motors EA189 in die Pflicht genommen wird. Der Weltauto-Konzern könne nicht für sich in Anspruch nehmen, den vom ihm listig verursachten Irrtum der Kläger im Wege dieses neuen Thermofensters saniert zu haben. "Der arglistig herbeigeführte Irrtum bezog sich letztlich darauf, dass der Motor die emissionsrechtlichen Vorgaben aufgrund seiner Qualität und nicht aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfülle", stellte der OGH klar. Da auch das nach dem Softwareupdate vorhandene Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist, erfolgte keine Klaglosstellung. Der Hersteller hingegen stand im Revisionsverfahren auf dem Standpunkt, die Kläger durch das Softwareupdate "klaglos" gestellt zu haben. Er meinte also, den von ihm listig verursachten Irrtum der Kläger saniert zu haben.

Unzulässig bleibt unzulässig

Zur Erinnerung: Der EA189 wurde weltweit in Millionen Fahrzeugen und zahlreichen Modellen von VW, Audi, Škoda, Seat und Porsche verbaut. Volkswagen ist laut OGH somit als Motorenhesteller der arglistige Dritte. Arglist steht rechtlich für eine bewusste Täuschung oder den Verstoß gegen Treu und Glauben, ist also das zivilrechtliche Äquivalent für den strafrechtlichen Betrug.

Am Ziel sind die in den VKI-Sammelverfahren an 16 Landesgerichten versammelten Kläger damit noch nicht. Aber sie sind einen großen Schitt weiter, weil der OGH-Spruch diverse Beweisanträge überflüssig macht. Es muss nicht mehr, wie in einzelnen Verfahren angestrebt, für jedes Fahrzeug der Nachweis erbracht werden, in welchem Temperaturspektrum sich das sogenannte Thermofenster genau befindet. Laut OGH ist das Thermofenster jedenfalls unzulässig.

Wie hoch muss der Schadenersatz sein?

Noch offen ist freilich eine entscheidende Frage: Wie hoch muss der Schadenersatz sein? Der VKI hat auf 20 Prozent Preisminderung geklagt. Im Schnitt wurden Einzelklägern an diversen Landes-, Oberlandes- und Bezirksgerichten 15 Prozent zugesprochen, sagt der auf Dieselklagen spezialisierte Linzer Rechtsanwalt Michael Poduschka. Das Oberlandesgericht Linz sprach heuer in mehreren Verfahren 30 Prozent zu, die Landesgerichte Salzburg, Wiener Neustadt, Linz und Wels bisweilen nur zehn Prozent. (Luise Ungerboeck, 27.9.2023)