Das Geld liegt hier nicht auf der Straße. Aber auf den umliegenden Äckern, Feldern und Wiesen. Wer in Wien mit der U2 in Richtung Seestadt Aspern fährt und ab der Station Aspernstraße von der hochgeführten Trasse aus dem Fenster blickt, kann sich ungefähr ausmalen, wo in Zukunft tausende Wohnungen neu errichtet werden. Hier, wo die wachsende Metropole Wien noch in Richtung Land ausfranst, ist schon vor Jahren Goldgräberstimmung ausgebrochen: Viele noch existierende Grünflächen und Brachen, vor allem im Nahbereich der U-Bahn, werden über kurz oder lang zu wertvollem Bauland umgewidmet – und in weiterer Folge trotz des voranschreitenden Klimawandels zu großen Teilen versiegelt. In den kommenden Jahren geht es hier um neuen Wohnraum für 60.000 Personen.

Ein Acker in der Donaustadt, im Hintergrund Baukräne.
In Wien-Donaustadt wurden schon viele Äcker verbaut - und viele werden wohl noch dazukommen.
STANDARD/Christian Fischer

Preisexplosion über Nacht

Die Umwidmung, ein politischer Prozess, ist dabei über Nacht mit massiven Wertsteigerungen für die Grundstücke verbunden. Für manche Besitzer ist es das Geschäft ihres Lebens, auch die Bauträger machen ihren Reibach. Die Stadt Wien – und damit auch die Allgemeinheit – profitiert nach Ansicht von Fachleuten hingegen viel zu wenig davon.

Diese Spielregeln führen dazu, dass in der Wiener Donaustadt auch in Wildwest-Manier spekuliert wird. Denn Bauträger profitieren dann, wenn sie Grundstücke möglichst noch vor der Umwidmung kaufen – und die Möglichkeit besteht, dass diese irgendwann zu Bauland werden.

Um welche riesigen Dimensionen es hier geht, zeigt exemplarisch das Beispiel eines Ackers in Breitenlee, etwa zehn Gehminuten von der U2-Station Aspern Nord entfernt. Hier wird noch Gemüse angebaut. Dabei sind die Besitzer der beiden verkauften Grundstücke längst zehn verschiedene Bauträger – und zwar gemeinnützige wie gewerbliche, wie DER STANDARD in Erfahrung bringen konnte. Der Verkauf der laut Grundbuch "landwirtschaftlich genutzten Grundflächen" (also Äcker, Wiesen oder Weiden) fand bereits Mitte 2018 statt. Der Verkäufer, ein Landwirt, erhielt von den Bauträgern 300 Euro pro Quadratmeter. Und weil die verkaufte Grundfläche insgesamt 150.000 Quadratmeter betrug, machte der Kaufpreis laut dem einsehbaren Kaufvertrag 45 Millionen Euro aus.

Ein Acker mit Salatpflanzen darauf, im Hintergrund Baukräne.
Auf dem Acker, der 2018 für 45 Millionen Euro verkauft wurde, wird derzeit noch Gemüse angebaut.
STANDARD/Christian Fischer

Der Acker wurde also wie Bauland verkauft. Zu einem Preis, mit dem auch noch gemeinnützige Bauträger arbeiten können – und private Firmen erst recht. Im März 2019, also erst nach dem Ankauf durch die Bauträger, trat in Wien die neue Widmungskategorie "Geförderter Wohnbau" in Kraft. Seither müssen bei Umwidmungen, sofern es sich um Liegenschaften handelt, die größer sind als 5000 Quadratmeter, zwei Drittel der zu schaffenden Wohnflächen für den geförderten Wohnbau zur Verfügung stehen. Das soll sich senkend auf die Grundstückspreise auswirken. Dass die Widmungskategorie kommen würde, war 2018 schon bekannt.

Gehandelt werden rein landwirtschaftlich genutzte Flächen ohne Umwidmungspotenzial österreichweit meist zu nicht mehr als einem niedrigen zweistelligen Euro-Betrag pro Quadratmeter. Zwischen zehn und 25 Euro betragen oft die Preise für Ackerflächen, was bei großen Grundstücken, deren Größe üblicherweise in Hektar (= 10.000 Quadratmeter) angegeben wird, natürlich meist doch recht hohe Summen ergibt. Beträge wie die erwähnten 45 Millionen Euro erreicht man aber nur dann, wenn auch die Fantasie der Bauträger hinzukommt.

"Die wollten das unbedingt haben"

Er habe ursprünglich gar nicht verkaufen wollen, erzählt der betroffene Landwirt im Gespräch mit dem STANDARD. "Aber die Bauträger wollten das unbedingt haben." Zwei Jahre hätten sie ihn zu überzeugen versucht. Die Entscheidung sei ihm trotz der riesigen Geldsumme nicht leichtgefallen, schlussendlich habe er aber "den Glücksfall" akzeptiert.

Nur einen Steinwurf vom Breitenleer Acker entfernt haben zuletzt einige Grundstücksbesitzer schon von einer Umwidmung von Grün- in Bauland profitiert: Es handelt sich um den Kleingartenverein Breitenlee, in der Mitte 2020 auch der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ) zugeschlagen hat. Die Gartensiedlungsparzelle wurde nur etwas mehr als ein Jahr später umgewidmet, der Wert hat sich dadurch stark erhöht. Auch drei weitere SPÖ-Politikerinnen, die zwischen 2017 und 2020 Parzellen in der idyllischen Kleingartensiedlung kauften, waren Nutznießerinnen der Wertsteigerung. Nevrivy räumt eine "schiefe Optik" ein, verweist aber darauf, dass der Verein bereits 2006 um eine Umwidmung ansuchte. Offen ist aber, welche Rollen die Genossinnen und Genossen rund um das Widmungsverfahren spielten. Für die Wiener SPÖ ist die Causa äußerst heikel: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) kündigte Aufklärung an – und schloss mögliche Konsequenzen nicht aus.

Grünflächen für Bauträger?

Aber zurück zu den noch unverbauten Flächen in Breitenlee: Da sich im Umfeld der verkauften Flächen des Landwirts weitere große Grünflächen befinden, ist anzunehmen, dass auch diese von Bauträgern ins Visier genommen werden. Die rot-pinke Stadtregierung muss sich aber die Frage gefallen lassen: Warum können überhaupt branchenfremde Firmen landwirtschaftlich genutzte Grundflächen erwerben? Mögliche Umwidmungsgewinne ziehen jedenfalls an der Stadt Wien vorbei.

Die Antwort lautet: weil Wien das einzige Bundesland ist, in dem es keine grunderwerbsrechtlichen Beschränkungen beim Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen gibt. Deswegen können Bauträger oder auch Private solche Liegenschaften erwerben.

Wer eine landwirtschaftliche Fläche zu einem weit überhöhten Preis erwirbt, tut das natürlich aus einem Grund: Er oder sie spekuliert darauf, dass die Grünflächen irgendwann zu Bauland umgewidmet werden. Ein Unterfangen, das zweifellos einen langen Atem erfordert. Und mitunter auch ein wenig Glück – oder Informationsvorsprung durch gute Kontakte zur Stadt.

Ein Gemüseacker in Wien-Donaustadt, im Hintergrund Baukräne.
Im Nordosten Wiens sind viele derzeit noch landwirtschaftlich genutzte Flächen unter starkem Entwicklungsdruck - denn die zukünftige Außenringautobahn und der Lobautunnel, auf dessen Bau die Wiener SPÖ vehement drängt, wären von dort nicht weit entfernt.
STANDARD/Christian Fischer

Natürlich läuft die Wiener Stadtentwicklung nicht unkontrolliert. Es gibt einen Stadtentwicklungsplan, der alle paar Jahre überarbeitet wird und "Leitbilder" zur künftigen Nutzung enthält. Das "Leitbild Grünräume" wurde 2020 beschlossen: Es legt fest, welche Flächen vor künftiger Verbauung geschützt sind – und in welchem Ausmaß. Die beiden verkauften Äcker in Breitenlee fallen – wie auch große Grünflächen in der Nähe – in die Kategorie "Grüne Reserve".

Hier handelt es sich laut Stadt um "Grünräume, die langfristig erhalten bleiben". Gleichzeitig heißt es nur einen Satz weiter: "Sie können nur dann zu Bauland umgewidmet werden, wenn der zusätzliche Bedarf nachgewiesen wurde und der Gemeinderat entscheidet." Im Fall des Falls ist hier eine Verbauung, anders als bei anderen Grünraum-Kategorien, nicht ausgeschlossen.

Wer gibt die Richtung vor?

Das zeigt schon, dass es Verhandlungsspielräume gibt. Und es gibt auch das Instrument der Bausperre. Eine solche ist von der Stadt fast über das gesamte Gebiet nördlich und teilweise auch nordöstlich der U2-Station Aspern Nord gelegt worden. Als Laie sollte man meinen, dass auf einer solchen Fläche nichts gebaut werden kann. So ist es auch – allerdings mit Ablaufdatum.

"Für das von Bebauungsplänen nicht erfasste Stadtgebiet besteht bis zur Festsetzung dieser Pläne Bausperre", heißt es in der Bauordnung. Übersetzt bedeute das laut einem erfahrenen Bauträger, der in dieser Geschichte nicht namentlich genannt werden will: "Eine Bausperre signalisiert Bauträgern, dass hier eine Entwicklung stattfinden wird", wie er dem STANDARD sagt.

Allerdings: Meistens ist in solche Prozesse auch der Wohnfonds Wien involviert. Er wurde vor fast 40 Jahren dafür geschaffen, bei der Stadterweiterung eine tragende Rolle zu spielen, Flächen anzukaufen und dann an Bauträger weiterzugeben.

Meistens, aber eben nicht immer. Im Fall der 45-Millionen-Euro-Liegenschaft in Breitenlee ist der Wohnfonds jedenfalls auch im Umkreis nicht an Bord. Es bestehe "kein Ankaufsinteresse, da sich die Bodenbevorratung des Wohnfonds grundsätzlich an den übergeordneten Planungsinstrumenten der Stadt Wien orientiert (Stadtentwicklungsplan 2025, Leitbild Grünraum etc.)", heißt es in einer Stellungnahme. Man verfüge auch in unmittelbarer Nachbarschaft der Liegenschaften über kein Grundeigentum. "Daher wird es auch nicht zu einer gemeinsamen Entwicklung mit den genannten Bauträgern kommen."

Unter den zehn Bauträgern befinden sich auch ein paar gemeinnützige. Haben sie sich hier verspekuliert? Der erfahrene Bauträger sagt, dass er dieses Grundstück zu diesem Preis nicht gekauft hätte, denn die 300 Euro je Quadratmeter würden etwa um das Sechsfache über dem Preis des reinen Grünlands liegen. Ihm wurden ähnliche Liegenschaften schon zu noch höheren Preisen angeboten, etwa in Simmering. "Ich habe dankend abgelehnt."

Der Ankauf und das Risiko

Zurück nach Breitenlee. Dort hat die Buwog nicht abgelehnt; die heimische Gesellschaft, die seit 2018 zum deutschen Vonovia-Konzern gehört, ist einer der fünf gewerblichen Bauträger, die in dem Konsortium vertreten sind. Ja, man habe mit dem Konsortium 2018 angekauft, sagt eine Buwog-Sprecherin. Zum Ankaufszeitpunkt sei das Leitbild "Grünräume" allerdings noch nicht bekannt gewesen. In der Baubranche sei es durchaus üblich, "Flächen zu kaufen und diese zu bevorraten". Daraus ergebe sich natürlich das Risiko, "dass Flächen letztlich anders genutzt werden als zum Zeitpunkt des Ankaufs durch den Bauträger vorgesehen – so wie in diesem Fall". Der Buwog seien "keinerlei Signale der Stadt bekannt, dass eine Umwidmung im Raum steht", heißt es in der Stellungnahme. Sollte in Zukunft seitens der Stadt entschieden werden, dass eine Entwicklung in dem Gebiet einen Mehrwert für Wien bringe, sei man aber "offen für Gespräche".

Langjährige Beobachter des gut geölten Wiener Wohnbaubusiness, in dem die sehr politiknah agierenden Gemeinnützigen eine tragende Rolle spielen, vermuten, dass es auch dort irgendwann zu Gesprächen über eine Umwidmung kommen könnte. Insbesondere unter den "roten" Gemeinnützigen, von denen auch ein paar an Bord sind, "gibt’s wohl den einen oder anderen, der ein wenig mehr weiß", mutmaßt der erfahrene Bauträger. Konsortialführer in Breitenlee ist allerdings das der "schwarzen Reichshälfte" zuordenbare Österreichische Siedlungswerk (ÖSW). Es wurde vom STANDARD um Stellungnahme gebeten, sie traf bis Redaktionsschluss aber nicht ein.

Ein Feldweg, der weiter vorne nach links und nach rechts abzweigt.
Große Ackerflächen und Feldwege prägen die Gegend nördlich von Ernst Nevrivys Kleingartenverein.
STANDARD/Christian Fischer

Wohin wächst Wien?

Auf großen Teilen der aktuell mit Bausperre belegten Flächen im nordöstlichen Eck von Wien soll zwar auch der "Norbert-Scheed-Wald" in die Höhe wachsen. Norbert Scheed war Nevrivys Vorgänger als Bezirksvorsteher, er verstarb 2014 plötzlich und unerwartet. Der geplante "Wienerwald Nordost" wurde dann nach ihm benannt. Die Aufforstung zahlreicher noch landwirtschaftlich genutzter Flächen ist geplant, das soll aber langsam vonstattengehen, wie zu hören ist.

Mit dem Lobautunnel, dessen Bau die Wiener SPÖ vehement fordert, und der damit einhergehenden Fertigstellung des Autobahnrings um Wien geraten die Grünflächen im Nordosten natürlich unter großen Entwicklungsdruck. Das nährt Spekulation. Klar, die wachsende Stadt bewegt sich auf die Marke von zwei Millionen Einwohnern zu: Diese dürfte laut Prognosen noch heuer erreicht werden, wie es von der Magistratsabteilung (MA) 23 heißt. Allein im Bezirk Donaustadt leben 213.000 Einwohner – um knapp 50.000 mehr als vor zehn Jahren.

Doch die zuletzt stark aufgekommene Diskussion um Bodenverbrauch und -versiegelung macht eines deutlich: Die Wohnbauproduktion müsste längst woanders stattfinden. Wenn man die langen Verfahren mitbedenkt, dann eher heute als morgen. "Wir dürfen keine grünen Wiesen mehr verbauen", sagte der Bauträgersprecher in der Wirtschaftskammer, Hans Jörg Ulreich, erst vor wenigen Tagen auf dem Bundestag der Immobilientreuhänder in Velden. Gehör findet er bisher nicht. (David Krutzler, Martin Putschögl, 30.9.2023)