Kleingärten können grüne Oasen sein, aber auch Spekulationsobjekte und sogar zum Politikum werden. In den vergangenen Tagen sorgten Grundstückskäufe von SPÖ-Politikern und darauffolgende Umwidmungen für Aufregung. Der Historiker Peter Autengruber erklärt, wie es dazu kommen konnte.

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Im Kleingartenverein Breitenlee haben sich der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy und weitere SPÖ-Politikerinnen vor einer Umwidmung Grundstücke gekauft.
Christian Fischer

STANDARD: Ursprünglich dienten Kleingärten zur Selbstversorgung der Bevölkerung. Heute stehen dort Einfamilienhäuser. Was ist da passiert?

Autengruber: Es gab zwei politische Entscheidungen, die das ermöglicht haben. 1992 wurde in Kleingärten das ganzjährige Wohnen grundsätzlich erlaubt. Dafür brauchte es gewisse Voraussetzungen – etwa einen Wasser- und einen Gasanschluss –, was von den Vereinsmitgliedern gestemmt werden musste. Wenn eine Mehrheit dafür war, konnte die Umwidmung beantragt und im Gemeinderat beschlossen werden. Ein Jahr später wurde die Möglichkeit des Eigentumserwerbs der Parzellen geschaffen, die bis zu diesem Zeitpunkt nur gepachtet werden konnten.

STANDARD: An die 5.000 Grundstücke wurden so bis 2021 verkauft. Warum hat sich die Stadt dazu entschlossen?

Autengruber: Dieser Beschluss des Gemeinderats ist vor dem Hintergrund einer neoliberalen Politik erfolgt. Einmaleffekte für das Budget waren populärer als langfristige Strategien. Man hat damals offenbar auch geglaubt, dass der Wohnungsmarkt entlastet wird, wenn die Menschen in die Kleingärten siedeln, was nicht passiert ist. Die Parzellen konnten von den Pächtern mit einem Preisabschlag von 45 Prozent erworben werden – wohl als Entgegenkommen an die damals mehrheitlich der SPÖ nahestehenden Kleingärtner – und durften dann zehn Jahre nicht verkauft werden, um Spekulation zu vermeiden.

STANDARD: Hat das funktioniert?

Autengruber: Das war sehr kurzfristig gedacht. Es gab viele, die zehn Jahre gewartet und dann verkauft haben – natürlich mit Wertsteigerung. Ursprünglich nutzte die untere Mittelschicht – Arbeiter, Angestellte, kleine Selbstständige – Kleingärten, die sie oft von ihren Eltern geerbt hatten und weiterbewirtschaftet haben. So kam eine Klientel, die es sich leisten konnte, 300.000 Euro für einen Garten zu zahlen und sich dann einen Würfel hinzustellen – korrekt nach den Vorschriften zwar, aber eben unter voller Ausnutzung der 50 Quadratmeter Wohnfläche, die laut Bauordnung erlaubt sind.

STANDARD: Ganz korrekt ist es aber nicht immer gelaufen. Im Kleingartenverein Breitenlee, in dem sich der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy und SPÖ-Parteikolleginnen Parzellen gekauft haben, wurden mit der Umwidmung auch Schwarzbauten nachträglich legalisiert.

Autengruber: Dieses Vorgehen hat im Kleingarten leider Geschichte. In den 1970er-Jahren wurde die Widmungskategorie Gartensiedlung eingeführt, um Bausünden nachträglich über die Bauordnung zu legitimieren. Dieses Thema ist heute aber weitestgehend erledigt, weil es nur noch eine Handvoll an Kleingärten in Wien gibt, in denen noch keine Umwidmung erfolgt ist. Es gibt sicher in vielen Siedlungen immer wieder Versuche, größer und höher zu bauen als erlaubt – im Flachen ist die Bauordnung da relativ klar, bei Hanglagen wird es etwas komplizierter, und der Interpretationsspielraum wächst. Solche Auswüchse müssen angezeigt werden, nur dann kommt die Baupolizei und kontrolliert. Da gibt es immer wieder auch Baustopps und Abrissbescheide. Ein großer Teil baut aber nach den Vorschriften und fühlt sich verständlicherweise gepflanzt, wenn man davon hört, dass andere glauben, sie können es sich richten.

STANDARD: So wie Politiker und Politikerinnen, der Vorwurf steht zumindest im Raum.

Autengruber: Aus meiner Sicht ist es nicht nachvollziehbar, dass eine Person, die öffentlich politisch tätig ist und nicht wenig verdient, einen günstigen Grund im Kleingarten kaufen muss. Und es ist zumindest ein moralisches Problem, wenn Politiker, die mehr wissen und bei einer Umwidmung sogar mitentscheiden, hier Grundstücke kaufen. Man kann übrigens auch den Bogen von der Sozialdemokratie zu den Christlich-Sozialen spannen: Der Kleingartenverein Rosental bekam 1911 als eine der ersten Anlagen einen direkten Anschluss an die Wiener Hochquellwasserleitung – weil die Tochter des damaligen christlich-sozialen Bürgermeisters dort eine Parzelle hatte. Man kann also schon sagen, dass Kleingärten immer wieder auch ein Spielplatz der Politik waren. Ich hoffe, dass die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit jetzt eine abschreckende Wirkung haben.

STANDARD: Und wie läuft das Zusammenleben in den Kleingärten heute?

Autengruber: Es wird wahrscheinlich nicht mehr gestritten als in einer Reihenhaussiedlung. Aber natürlich sind neue Themen aufgebrochen durch den sozialen Wandel in den Siedlungen. Für echte Grünflächen bleibt neben Swimmingpool, Rollrasen und Bambus oft kein Platz mehr. Und die Obleute der Vereine haben wenig Handhabe, weil die Käuferinnen und Käufer im Gegensatz zu den Pächtern keine Vereinsmitglieder mehr sein müssen. In manchen Siedlungen kann man diese nur dazu bewegen, Mitglied zu werden und sich an die Richtlinien zu halten, wenn sie einen Parkplatz pachten wollen – aber die gibt es auch nicht in jeder Siedlung. (Franziska Zoidl, 30.9.2023)