Der Posten ist der formell dritthöchste in den USA. Sollten Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris aus irgendeinem Grund gleichzeitig ausfallen, wäre der Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, der neue Präsident. Nun allerdings könnte stattdessen McCarthy, der nach offiziellem Titel bei weitem ranghöchste Republikaner der USA, ausfallen. Mehrere Abgeordnete vom rechten Rand der Republikaner planen nämlich seine Absetzung. Der selbst reichlich konservative Kalifornier ist ihnen nicht effektiv genug beim Vorhaben, ihre radikalen Politikwünsche in die Tat umzusetzen.

Der US-Kongress im Dunkeln.
In den US-Ämtern könnte es bald schon wieder dunkel werden. Samstagmitternacht droht wieder einmal ein "Shutdown".
AP/J. Scott Applewhite

Was genau passieren würde, sollte McCarthy tatsächlich gestürzt werden, ist nicht ganz sicher: Es wäre nämlich eine Premiere. Zwar hat es in der Geschichte der USA schon viele Speaker-Rücktritte gegeben (in diesem Fall bleibt der alte im Amt, bis der nächste gewählt ist) – doch eine Abwahl gab es noch nicht. Weil das Prozedere daher neu ist, wäre politisches Chaos nicht unwahrscheinlich. Vor allem, weil die Abwahl in eine Phase fallen würde, die ohnehin schon chaotisch verläuft. Gibt es nämlich nicht bis Samstagmitternacht eine Einigung – von der am Freitag kaum noch jemand ausging –, gehen die USA mangels eines Gesetzes zur weiteren Finanzierung der Regierungsgeschäfte in den sogenannten Shutdown, also den Stillstand vieler Behörden. Um diesen wieder aufzulösen, sind politische Verhandlungen zwischen den beiden Parteien nötig, die das Weiße Haus und den Senat (Demokraten) bzw. das Repräsentantenhaus (Republikaner) kontrollieren. Ohne Speaker fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Wie die "Washington Post" am Freitag unter Berufung auf mehrere Quellen berichtete, erwägt eine Gruppe von Hardlinern des rechten Republikaner-Randes, bereits am Wochenende die sogenannte Motion to Vacate zur Abstimmung zu bringen – das ist eine Art Misstrauensantrag gegen den Speaker. Und es ist ein Instrument, das in der US-Demokratie eigentlich nicht vorgesehen ist. Erst im Jahr 1910 war der damalige Speaker, ein gewisser Joseph Cannon, nach einer internen Revolte auf die Idee gekommen, seine Macht durch einen Misstrauensantrag zu demonstrieren, den er selbst zur Abstimmung brachte. Dieser blieb erfolglos, das Instrument ab diesem Zeitpunkt aber im Hinterkopf vieler Parlamentarier. Um ein Verfassungschaos zu verhindern, waren den größten Teil des 20. Jahrhundert über die Hürden für eine Abwahl sehr hoch.

Ein Weg durchs Nadelöhr

Doch dann kam Kevin McCarthy. Der moralisch biegsame Karrierepolitiker, der schon gemäßigter Republikaner, aber auch Trump-Fan war, wollte sich im Frühjahr von einer denkbar knappen republikanischen Mehrheit von 222 zu 212 ins Amt wählen lassen. Schon damals schlugen mehrere Wahlversuche fehl, der rechte Rand verweigerte ihm die Gefolgschaft – so lange, bis McCarthy diesem entgegenkam. Ein Teil des Pakets, das er damals vorschlug, war eine deutlich erleichterte Abwahl des Speakers. Bei Nichtgefallen kann dieser nun sehr leicht wieder abgesetzt werden. Es braucht dafür nur einen einzigen Abgeordneten, der die Motion to Vacate einbringt (bisher waren es immer mehrere gewesen), und dann eine einfache Mehrheit zur Absetzung. Sollte diese erfolgreich sein, wird bis zu einer neuen Wahl eine Person von McCarthys Vertrauen übergangsweise Speaker – deren Name ist öffentlich nicht bekannt, steht aber auf einer Liste, die McCarthy bei seiner Amtsübernahme an die höchste Beamtin des House of Representatives übergeben hat. Passiert ist das aber noch nie – und weil die Vorgaben vage sind, könnte dieser Prozess leicht zum Entgleisen gebracht werden.

McCarthy mit Facepalm.
US-Speaker Kevin McCarthy hat nicht nur Freude mit seinen Parteikollegen.
AP/J. Scott Applewhite

Danach gäbe es mehrere Möglichkeiten: McCarthy könnte sich etwa erneut aufstellen lassen. Um gewählt zu werden, bräuchte er dann aber (sollten sich seine Parteifreunde nicht umstimmen lassen) auch einige demokratische Stimmen. Diese würden sich die Abgeordneten der Parlamentsopposition sicher teuer abkaufen lassen – immerhin könnte ein solcher Deal dann aber auch das Ende des nun bevorstehenden Shutdowns bedeuten. Oder jemand anderer könnte zur Wahl antreten. Diese Person aber müsste die Anforderungen der moderaten und der radikalen Republikaner im Repräsentantenhaus unter einen Hut bringen. Jene Aufgabe also, an der McCarthy schon gescheitert ist. Wie sich ein solcher neuer Speaker dann mit den Demokraten auf ein Ende des Shutdowns einigen sollte, ist offen.

Geld für Grenze statt Ukraine

Denn auch mit dem Stillstand der Regierung wird eifrig Politik gemacht. Sowohl der Senat als auch das Repräsentantenhaus haben bereits jetzt Resolutionen verabschiedet, mit denen sich der Shutdown verhindern ließe. Allerdings sind die beiden kaum vereinbar. Das Repräsentantenhaus wollte mit vier unterschiedlichen Gesetzen verschiedene Teil der Regierung am Laufen halten, wobei eines davon, ein Gesetz zur Finanzierung der Landwirtschaftsagenden, am parteiinternen Widerstand scheiterte. Es hatte nämlich auch eine Bestimmung zur Verhinderung von Abtreibungen vorgesehen, die mehreren moderaten Republikanern zu weit ging. Demokraten stimmten keinem der vier Gesetzesvorschläge zu.

Im Senat wiederum ging mit Stimmen beider Parteien ein Gesetzesvorschlag durch, der die Regierung für mehrere Wochen finanzieren würde. Weil dieser aber Geld für die Ukraine, nicht aber für die Sicherung der US-Grenze nach Mexiko vorsieht, wollen Republikaner im Repräsentantenhaus diesem Vorschlag nicht zustimmen. Sie haben den scheinbaren Gegensatz zwischen diesen beiden Ausgabefeldern als Wahlkampfslogan erkannt und wollen damit die Demokraten unter Druck setzen. Fast sicher ist, dass eine Kompromisslösung, der irgendwann alle Seiten zustimmen, weniger Geld als bisher für die Ukraine beinhalten wird. Der Ausgang der US-Kabale ist also auch für die europäische Sicherheit von Bedeutung. (Manuel Escher, 29.9.2023)