Justus Neumann
Justus Neumann lehnt es ab, sich von der Krankheit vereinnahmen zu lassen: "Ich muss weiter lustig bleiben!"
Foto: Heribert Corn

Seine ersten, vagen Vorstellungen vom Theater verbindet Justus Neumann mit Alexander Moissi, dem ersten Superstar der deutschsprachigen Schauspielkunst. Moissi wimmerte und tremolierte derart herzzerreißend, dass den Zeitgenossen in den Jahren nach 1900 Hören und Sehen verging, mitunter auch die Lust am Theater. Jener Mann, der Franz Kafka einen langen bewundernden Tagebucheintrag wert war, verwandelte jeden Satz in ein klagendes Lied. "Der wül-de Noväm-bär-wind ...!"

Neumann, einer der stilprägenden Nestroy-Spieler der letzten 40 Jahre, deklamiert vollmundig. Daraufhin bricht er in schallendes Gelächter aus. Damals, in den taubengrauen 1970er-Jahren, wurde dem Jungschauspieler das "Singen" gewaltsam ausgetrieben. Der heute 75-Jährige erzählt: "Der Knopf ging mir im Wiener Schauspielhaus beim König Lear auf. Den durfte ich nicht ,singen‘, Regisseur Hans Gratzer verbot es mir streng!"

Wohnhaft vor Tasmanien

Heute ist es ein seltenes Glück, Neumann wieder auf Wien-Besuch zu wissen. Der Mann trägt einen Kopf auf den Schultern, den Barock-Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt aus Alabaster geformt haben könnte. Ab 1980 ging Justus Neumann als Mime eigensinnige Wege. Seine Nestroy-Vergegenwärtigung Mir soll ins Herz gestochen werden (1985), ein überschnappendes Vabanque-Spiel, gehört zu den Glücksfällen historischer Off-Theater-Kunst.

Der Schauspieler nahm es auf mit den Grillen und Ängsten heimischer Biedermeierei. Dabei blieb er in Ton und Geist stets der unbarmherzigen Strenge der Gedankenführung verpflichtet. Sie ist es, die Nestroys Satire scharf hält.

Mehrmals ist Justus Neumann nach Australien übersiedelt, 1987 dann endgültig: nach Bruny Island, eine Insel südöstlich von Tasmanien. Dort mögen einander Koala und Känguru eine gute Nacht wünschen. Der Klimawandel habe, sagt Neumann, vom Eiland vorderhand noch nicht Besitz ergriffen. Einzig Angst vor Buschfeuern plagt die Tasmanier.

"Weil wir vor Ort ein relativ kühles Klima haben, spüren wir die zwei, drei Grad, die es mehr hat, nur positiv, indem es jetzt schöner ist." Neumann fügt hinzu: "So ein Glück muss man haben!" Dazu funkeln seine Augen, und man ahnt, er habe einen freundlich, aber mit voller Absicht hinters Licht geführt.

Mit Parkinson auf der Bühne

Vor nicht allzu langer Zeit bekam Neumann die Diagnose Parkinson gestellt. Anstatt zu heulen und mit den Zähnen zu knirschen, bemüht er sich um ein Auskommen mit der Krankheit: "Ich muss damit so umgehen, dass ich weiter lustig bleibe!"

Andere würden nach einer solchen Diagnose anfangen zu schnitzen oder Marathon zu laufen, Justus Neumann bemüht sich um sokratische Heiterkeit. Er hat aus dem Umgang mit Parkinson ein doppeltes Stück gewonnen. Mit ihm gastiert er jetzt im Wiener Muth im Augarten.

Der Auftakt Die Weisheit des Herrn Parkinson enthält höheren Unsinn: philosophische Blödeleien. Es gehe darum, die Unabwendbarkeit des Sterbens zu akzeptieren. Neumann sagt: "Der Tod ist ein Schritt ins Glück. Wenn man so will." Seine Äuglein funkeln. Der Tod wie das Leben gehörten eigentlich in der Volksschule als Hauptfächer gelehrt.

Die zweite Hälfte des Abends wirft daraufhin alle Logik über den Haufen. Neumann schlüpft – lesend – in die Rolle einer alten Ballerina. Neumann erklärt: "Sie ist im Begriff zu sterben und durchmisst noch einmal die brutale Welt, damit sie glücklich Abschied nehmen kann." Untertitel des Requiems: Der Tod ist ein Geigensolo aus Watte.

Surreale Satzkreationen

Lauter surreale Sätze hat der Schauspieler erfunden und niedergeschrieben. "Ein Pfarrer lacht sich rot." Oder: "Ein Sessel sägt sich ein Bein ab und wartet auf einen müden Kronprinzen." Diese Übung in "écriture automatique" hat lauter Wucherungen erzeugt, Novellen in Pillenform. Früher habe er "die Texte anderer Leute aus sich herausgewurstelt". Heute hingegen kämen die Sätze zu ihm. Er wolle sie als sterbende Ballerina umtänzeln, jedoch "ohne Spitze".

Heute sagt Justus Neumann: "Die Zeit der virtuosen Körperbeherrschung ist vorbei. Ich sitze und stehe." Flach liegen und sich den Bauch halten vor Lachen sollen ohnehin die anderen. Verschmitzter Zusatz: "Blödeln kostet nichts und ist lustig." (Ronald Pohl, 30.9.2023)