Dass das österreichische politische System von freien und demokratischen Wahlen getragen wird – darüber herrscht noch relativ große Einigkeit im Land: 63 Prozent der wahlberechtigten Männer und 53 Prozent der Frauen sagen, dass demokratische Wahlen für das Funktionieren des Systems in Österreich wichtig sind. Im Schnitt sind das 58 Prozent, was im Umkehrschluss allerdings auch bedeutet, dass etwa vier von zehn Befragten dem demokratischen System nicht trauen.

Sitzungssaal Parlament
41 Prozent wollen eine grundlegende Änderung des politischen Systems.
Heribert Corn

Und tatsächlich sagen 41 Prozent bei einer weiteren Frage, dass es eine grundlegende Änderung des politischen Systems in Österreich geben sollte. Das geht aus der September-Umfrage des Linzer Market-Instituts im Auftrag des STANDARD hervor.

Bekanntlich hat es sich die FPÖ zum Ziel gesetzt, das politische System, dessen Eliten nach freiheitlicher Erzählung "ein Erstarken der patriotischen Kräfte in ganz Europa zu verhindern" trachten, zu ändern – wie kürzlich bei der gemeinsamen Pressekonferenz von FPÖ-Chef Herbert Kickl und der AfD-Frontfrau Alice Weidel betont wurde. DER STANDARD ließ daher fragen: "Es wird ja manchmal gefordert, dass das politische System in Österreich grundlegend geändert werden soll. Was meinen Sie, sollte das bestehende politische System in Österreich im Wesentlichen erhalten bleiben, oder sollte es da eine grundlegende Änderung geben?"

Darauf sagen lediglich 59 Prozent der 800 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten, dass das bestehende politische System in Österreich erhalten bleiben sollte. Die engagiertesten Verfechter des bestehenden Systems sind erklärte Wählerinnen und Wähler der SPÖ – 80 Prozent wollen es erhalten –, der ÖVP (75 Prozent), der Grünen (74 Prozent) und der Neos (67 Prozent).

Diejenigen aber, die angeben, dass sie die FPÖ oder gar nicht wählen würden, geben mehrheitlich an, dass es eine grundlegende Änderung des politischen Systems geben sollte.

Auch linkes Lager für Änderungen

"Die grundsätzliche Systemkritik, die von der FPÖ an ihren als 'Systemparteien' bezeichneten Mitbewerbern geäußert wird, dürfte verfangen", sagt Market-Politikforscher David Pfarrhofer. Er betont allerdings, dass auch die KPÖ in ihrem aktuellen Programm das "totalitäre Herrschaftssystem des heutigen Kapitalismus" beklagt, was in Teilen des linken Lagers ebenfalls hängenbleibt: "Auch in der kleinen deklarierten Anhängerschaft der Kommunisten und der Bierpartei ist etwa die Hälfte für eine grundlegende Änderung des Systems."

Bevor diese Grundsatzfrage gestellt wurde, legte Market den Umfrageteilnehmern eine Liste mit 32 Merkmalen vor, die auf das österreichische politische System mehr oder weniger stark zutreffen dürften, und fragte: "Was macht Ihrer Meinung nach das österreichische politische System aus? Ich meine: Wie ist das derzeit, wie funktioniert das System in Österreich?"

Demokratie und freie Meinungsäußerung

Dabei herrschte mit 58 Prozent am ehesten Zustimmung zur Demokratie, gefolgt vom Recht auf freie Meinungsäußerung mit 51 Prozent, der Neutralität (50 Prozent) und der sozialen Sicherheit im Krankheitsfall (48 Prozent). Allerdings: Bei all diesen Punkten zeigen die freiheitlichen Wählerinnen und Wähler sowie jene Befragten, die derzeit gar keiner Partei zuneigen, eine weit unterdurchschnittliche Zustimmung.

Während es 58 Prozent der erklärten Sozialdemokraten für das Funktionieren des politischen Systems für wichtig halten, "dass die Nazi-Diktatur abgelehnt wird und Neonazis bestraft werden", so schließen sich dieser Meinung nur 30 Prozent der Freiheitlichen an.

Ganz deutliche Unterschiede gibt es auch bei der Bewertung der Sozialpartnerschaft: "Dass es mit der Sozialpartnerschaft ein funktionierendes System der Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt", wird von 46 Prozent der SPÖ-Wählerschaft, aber nur von 21 Prozent der Freiheitlichen hochgehalten.

Bürokratie gehört zum Rechtsstaat

Selbst dort, wo das politische System Österreichs die Opposition stärkt, bleibt die Anhängerschaft der FPÖ skeptisch: So schätzen die Anhänger von Neos, SPÖ und Grünen überdurchschnittlich stark die Kontrollrechte des Rechnungshofs, die Freiheitlichen tun das in viel geringerem Maße.

Ein Drittel der Befragten sieht es als systemimmanent, dass mit dem Rechtsstaat viel Bürokratie einhergeht. 29 Prozent sagen dasselbe über den Föderalismus ("dass die Macht zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt werden kann").

Allgemein gering ausgeprägt ist das Vertrauen in die unabhängigen Medien und den ORF und dessen Berichterstattung als Stützen des Systems. Auch dass Flüchtlinge in Österreich Zuflucht finden, wird nur von 21 Prozent als systemrelevant angesehen – am ehesten noch von erklärten Grünen. Als sehr wenig relevant für das System Österreich wird der (immerhin verfassungsrechtlich garantierte) Schutz von sprachlichen Minderheiten gehalten. Und am untersten Ende der Liste findet sich die österreichische Praxis, "dass man Parteien und Politiker bitten kann, dass sie sich für ein persönliches Anliegen einsetzen" – nur jeder Neunte meint, dass das zum System unseres Landes dazugehört.

Was bei einer genaueren Analyse der Daten ebenfalls auffällt: Die befragten Jungwähler unter 30 sowie Frauen tun sich im Schnitt schwerer, Merkmale des politischen Systems als bedeutsam wahrzunehmen. 17 Prozent der Frauen und 23 Prozent der Befragten unter 30 trauen sich gar kein Urteil zu, weshalb diese Befragten auch unterdurchschnittlich stark die demokratischen Wahlen für systemrelevant halten. Ähnlich ist es bei der Alterssicherung: Lediglich 13 Prozent der jungen Befragten und 34 Prozent der Frauen halten das Pensionssystem für typisch für Österreich – bei den Befragten über 50 sind es dagegen 55 Prozent.

Auch in diesem Punkt sind die FPÖ-Wähler skeptisch: Nur ein Drittel von ihnen hält die soziale Sicherheit im Falle von Alter oder Krankheit für bedeutsam für das politische System Österreichs. (Conrad Seidl, 2.10.2023)

Was das politische System ausmacht