Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sein grüner Vize Werner Kogler.
Die türkisen Pläne für einen neuen U-Ausschuss könnten für das Koalitionsklima der nächste herbe Dämpfer sein.
APA/GEORG HOCHMUTH

Erst vergangene Woche verschickte das Meinungsforschungsinstitut Sora ein SPÖ-Strategiepapier irrtümlich an 800 Mailkontakte und schlitterte in eine tiefe Krise. Nun hat sich auch die Kanzlerpartei ganz offensichtlich verklickt. Laut den Neos ging nämlich überraschenderweise aus dem türkisen Parlamentsklub ein Verlangen nach einem neuen Untersuchungsausschuss im Postfach des Neos-Abgeordneten Helmut Brandstätter ein. Dieser hat mit der ÖVP wahrlich nichts zu tun.

"Das, was noch fehlt, ist das Datum, das eingesetzt werden soll", sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger in einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Offenbar sei es der Plan, den U-Ausschuss im Oktober einzusetzen, mutmaßte die Liberale. "Das ist ein Frontalangriff auf den eigenen Koalitionspartner und ein Bruch der Koalition, das ist völlig klar." Alles in allem sei diese Causa ein "neuer Tiefpunkt, ein erneuter neuer Tiefpunkt eines Niveaus der Innenpolitik in Österreich, das nur noch einer politischen Schlammschlacht gleicht, wo sich die Österreicherinnen und Österreicher, und ich kann es wirklich verstehen, zunehmend mit Grauen abwenden und sich das einfach nicht verdient haben".

Video: ÖVP plante U-Ausschuss gegen SPÖ, FPÖ und Grüne.
APA

Meinl-Reisinger hält den von der ÖVP vorgeschlagenen U-Ausschuss für "Missbrauch eines parlamentarischen Instruments". Es soll dabei nie darum gehen, den politischen Mitbewerber mit "Schlamm zu bewerfen", sondern um die Kontrolle der heimischen Verwaltung und die politische Verantwortung dafür zu klären. "Dagegen verwehren wir uns ganz entschieden", sagte Meinl-Reisinger. "Wir brauchen Neuwahlen – jetzt."

ÖVP könnte alleine einen U-Ausschuss einsetzen

Der U-Ausschuss, dessen Einsetzung die ÖVP offenbar überlegt, wäre eine Art Rundumschlag gegen drei andere Parteien. Untersucht werden soll auch der aktuelle Koalitionspartner, vor allem das Handeln von Umweltministerin Leonore Gewessler, aber auch von Vizekanzler Werner Kogler. Das dürfte koalitionsintern schwer zu verdauen sein.

So haben die Grünen in Form von Nina Tomaselli und David Stögmüller zwar stark ÖVP-kritisch an den letzten beiden U-Ausschüssen teilgenommen (Ibiza und ÖVP-Korruption), eingesetzt hatte sie allerdings die Opposition. Beim Ibiza-U-Ausschuss hatten die Grünen sogar gemeinsam mit der ÖVP eine Prüfung des Untersuchungsgegenstands vom Verfassungsgerichtshof verlangt.

Da derzeit kein U-Ausschuss läuft – auch wenn die Opposition Pläne hat, etwa zu Kika/Leiner –, könnte die ÖVP kraft ihrer Mandatsstärke alleine einen U-Ausschuss einsetzen. Das könnte allerdings nur als Koalitionsbruch interpretiert werden. Dementsprechend war hinter den Kulissen rasch von "Gedankenspielen" die Rede.

Untersuchungszeitraum ab 2007 bis jetzt

"Die österreichische Bundespolitik steht seit längerer Zeit in der Kritik, wonach das Handeln vieler Spitzenpolitikerinnen und -politiker auf Bundesebene überwiegend den Interessen von Parteien und ihren Mitgliedern diene und nicht dem Interesse der Allgemeinheit", heißt es auf den 14 Seiten, die dem STANDARD vorliegen. "Im Besonderen lautet der Vorwurf, dass bei der Vergabe von Inseraten oder bei der Beauftragung von Gutachten, Studien und Umfragen nicht Rechtsrichtigkeit, Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, sondern das Naheverhältnis zu einer politischen Partei die ausschlaggebende Rolle gespielt habe."

Datiert ist das recht konkret wirkende Konzept mit 16. September 2023. Brisant dabei: Untersucht werden soll demnach nicht nur, ob SPÖ oder FPÖ zu ihren Regierungszeiten in Zusammenhang mit Inseratenschaltungen und Medienkooperationsvereinbarungen, Umfragen, Gutachten und Studien sowie bei der Beauftragung von Werbeagenturen "aus sachfremden Motiven gehandelt haben" – sondern auch, ob der Vorhalt auf die Grünen, also auf den eigenen Koalitionspartner, zutrifft.

Geht es nach der ÖVP, sollen auch "ausgegliederte Rechtsträger" vom Untersuchungsgegenstand erfasst werden, "soweit sie der mittelbaren oder unmittelbaren Ingerenz von Mitgliedern der Bundesregierung und Staatssekretärinnen bzw. -sekretären, die mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) oder mit der Partei Die Grünen – Die Grüne Alternative verbunden sind, unterliegen". Ebenso will die Kanzlerpartei "staatsanwaltliches Handeln" in einem möglichen U-Ausschuss unter die Lupe nehmen.

Insgesamt soll geklärt werden, ob im Zeitraum vom 11. Jänner 2007 bis Oktober 2023 "gesetzliche Bestimmungen umgangen oder verletzt wurden sowie ob dem Bund oder anderen Rechtsträgern dadurch Schaden entstanden ist".

Rote "Urheber", rechte Blaue und eine grüne Firma

Die ÖVP hat jeder Partei, der sie einen Vorhalt machen möchte, ein eigenes Kapitel gewidmet. Allen voran steht die SPÖ. Da probieren die Türkisen die Ermittlungen rund um das „Beinschab-Österreich-Tool" praktisch umzudeuten. Dabei ging es vorrangig um mutmaßlich frisierte Umfragen zugunsten von Altkanzler Sebastian Kurz, die im Boulevardblatt "Österreich" erschienen und vom Finanzministerium finanziert worden sein sollen.

Das empfindet die ÖVP nun als "äußerst beunruhigend", ohne sich selbst ins Spiel zu bringen. Stattdessen will die Kanzlerpartei "den Urheber solcher potenziellen Machenschaften" ermitteln und hat dabei die SPÖ – konkret Ex-Kanzler Christian Kern – im Auge. In einer ihrer Einvernahmen soll die Meinungsforscherin Sabine Beinschab über mutmaßliche Absprachen zwischen der Meinungsforscherin Sophie Karmasin, der SPÖ und einer Gratiszeitung berichtet haben, "bei denen die Wünsche der SPÖ hinsichtlich Umfrageergebnisse im Vordergrund standen", heißt es in dem türkisen Verlangen.

Bei der FPÖ will die ÖVP prüfen, warum diese viele Inserate bei rechtsextremen Medien wie "Info-Direkt" oder dem mittlerweile aufgelösten "Wochenblick" gebucht hätte. Außerdem soll der schon seit Jahrzehnten immer wieder auftauchende Fall rund um die Werbeagentur "Ideen.schmiede" neu aufgerollt werden. An der soll der jetzige Parteichef Herbert Kickl einst Anteile gehalten haben; es gab diesbezüglich Ermittlungen, aber keine Anklage.

Die ÖVP will nun untersuchen, ob es in Kickls Zeit als Innenminister Aufträge an die Ideen.schmiede gegeben habe. Bekannt ist, dass diese "kostenfrei" ein Logo für die von Kickl ins Leben gerufene Polizeieinheit "Puma" entwickelt hat. Auch Studien, die von den Ministerien der einstigen Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein und Verteidigungsminister Mario Kunasek beauftragt wurden, sollen Thema werden.

Gewessler im Mittelpunkt

Bei den Grünen fokussiert sich das ÖVP-Verlangen auf Umweltministerin Leonore (im ÖVP-Papier meist: Eleonore) Gewessler. Da geht es etwa um Aufträge ihres Ministeriums an das Unternehmen von Lothar Lockl, der in den 2000er-Jahren grüner Bundesgeschäftsführer war und später die Präsidentschaftskampagne von Alexander Van der Bellen leitete. Mittlerweile ist Lockl ORF-Stiftungsratsvorsitzender.

Für die ÖVP wirft die Beauftragung an Lockls Firma Fragen auf, weil die nicht Best-, aber Billigstbieter gewesen sei. Außerdem wolle man sich "nicht transparente Vorgänge" rund um Marketingaktionen wie das "Klimaticket"-Tattoo beim Musikfestival Frequency ansehen. Die ÖVP vermutet sogar – ohne dass es darauf in Akten Hinweise gäbe –, dass die Meinungsforscherinnen Sophie Karmasin (ÖVP) und Sabine Beinschab auch Studien für das Umweltministerium verfasst hätten.

ÖVP: Kein U-Ausschuss geplant

Und was sagt die ÖVP zu alldem? Es habe immer wieder Gerüchte über einen neuen U-Ausschuss gegen die Volkspartei gegeben, heißt es in einer Aussendung des türkisen Klubchefs August Wöginger. "Das Dokument ist daher nichts Neues, sondern Teil der üblichen parlamentarischen Arbeit", sagte Wöginger. "Es ist eine von vielen Überlegungen, die laufend angestellt werden, für den Fall, dass Oppositionsparteien einen weiteren UsA (U-Ausschuss, Anm.) planen, damit Einseitigkeiten in der parlamentarischen Aufklärungsarbeit vermieden werden." Aufgrund der Sora-Affäre der SPÖ seien Aktualisierungen überlegt worden, führte Wöginger aus. Ein U-Ausschuss seitens der Türkisen sei allerdings derzeit nicht geplant.

Grüne: "Diesen politischen Stil lehnen wir ab"

"Es erstaunt, worüber man sich alles Gedanken machen kann, anstatt sich um seriöse Arbeit zum Wohle der Österreicher:innen zu kümmern", sagte die grüne Generalsekretärin Olga Voglauer in einer Aussendung. "Wir gehen davon aus, dass alle in der ÖVP nach einer – sicherlich turbulenten – Woche wieder Nervosität abbauen und ins Konstruktive zurückfinden." Die Bevölkerung erwarte sich von einer Regierungspartei, dass sie ihre Energie in die Arbeit für das Land investierte. "Nebelgranaten, Taktierereien, das Anschütten politischer Mitbewerber:innen gehören da nicht dazu. Diesen politischen Stil lehnen wir ab", erklärte Voglauer. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 2.10.2023)