Kann Andreas Babler Kanzler? Geht es nach dem Sora-Sozialforscher Günther Ogris, sollte der SPÖ-Chef offenbar noch an seinem Image diesbezüglich arbeiten. Tipps und Tricks, wie Babler seine SPÖ bei der Nationalratswahl 2024 auf Platz eins befördern und außerdem eine Mehrheit für eine Ampelkoalition jenseits von Türkis-Blau ermöglichen könnte, hat Ogris auf 46 Seiten in einer Powerpoint-Präsentation zusammengestellt. Doch: Nicht die SPÖ erhielt das Papier, sondern rund 800 Empfängerinnen und Adressaten.

Ein Foto, erschienen zum Interview mit Andreas Babler im STANDARD, findet sich auch in der Unterlage von Günther Ogris wieder.
Christian Fischer

Dieser Fehler bringt das ganze Umfrage-Unternehmen nun in Bedrängnis. Denn: Sora ist jenes Institut, mit dem der ORF in der Wahlberichterstattung zusammenarbeitet. Konkret geht es um Wahlforschung, Hochrechnungen, Analysen. Zumindest war das bisher so. Am Mittwoch beendete der ORF die Zusammenarbeit mit Sora.

Video: Das am Dienstag unbeabsichtigt an die Öffentlichkeit gelangte "SPÖ-Strategiepapier" von Sora hat unangenehme Konsequenzen für das Meinungsforschungsinstitut. Der ORF beendete seine Wahl-Zusammenarbeit.
APA/bes

Zusammenarbeit nicht mehr möglich

Aufgrund des bekannt gewordenen Strategiepapiers von Ogris für die SPÖ sei für den ORF eine weitere Zusammenarbeit rund um die Wahlberichterstattung "nicht mehr möglich und wird daher mit sofortiger Wirkung beendet", heißt es in einer Aussendung. Und weiter: "Insbesondere bei Wahlen sind Glaubwürdigkeit und Objektivität in der ORF-Berichterstattung von essenzieller Bedeutung, auch jeglicher Anschein von Einseitigkeit muss unterbunden werden." Der ORF weise aber auch darauf hin, dass die vergangenen Hochrechnungen von Sora "äußerst präzise waren und niemals irgendein Indiz für eine parteipolitische Einseitigkeit gegeben war".

Günther Ogris hatte sich verklickt: Dass er sein Strategiepapier an 800 Personen verschickt hat, führte zum Aus für die Zusammenarbeit mit dem ORF.
APA/HERBERT PFARRHOFER

Sora gab am Mittwoch zudem den Rückzug von Geschäftsführer und Gesellschafter Ogris aus der Wahlanalyse bekannt. Die Entscheidung habe Ogris mit Mitgründer Christoph Hofinger "einvernehmlich" getroffen, hieß in einer Stellungnahme. Ogris habe in der "langjährigen Zusammenarbeit stets höchste wissenschaftliche Professionalität bewiesen", erklärte Hofinger.

Doch worum geht es in dem Papier, das Sora den Job beim ORF gekostet hat? Beschrieben wird in der Unterlage, wie die SPÖ ihr Profil schärfen, auf welche Themen Babler setzen und wie er auf unangenehme Fragen antworten sollte. Außerdem wird ein Schattenkabinett vorgeschlagen: mit dem Medienmanager Gerhard Zeiler als Finanzminister, dem Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe, Erich Fenninger, für Soziales und der SPÖ-Frauensprecherin Eva Holzleitner als Frauenministerin. Um das Thema Bildung solle sich Marina Hanke, Frauensprecherin in Wien, kümmern.

Kein Auftrag, keine Aufforderung

Unaufgefordert sei die Unterlage entwickelt worden, heißt es von der SPÖ auf Nachfrage: "Wir können diesmal gar nichts dafür." Ogris habe sich schon seit Wochen um einen Termin mit Babler bemüht. Wohl um einen Auftrag zu erhalten. Zu dem Treffen sei es am Montag gekommen. Weder habe es eine Vorbesprechung gegeben noch irgendeine Form von Briefing. Bei dem etwa halbstündigen Meeting habe Sozialforscher Ogris Babler seine Arbeit präsentiert. Doch die Zeit habe nicht ausgereicht, weshalb die Präsentation per E-Mail an die SPÖ geschickt werden sollte. Ogris erwischte aber den falschen Verteiler.

Den Termin hatte Günther Ogris laut SPÖ schon länger forciert. Am Montag reichte die Zeit für die Präsentation nicht.
Heribert Corn

Sora bestätigte in einem Statement an den STANDARD, dass es sich bei der Unterlage um eine "persönliche Hypothesensammlung und Vorversion einer Gesprächsunterlage" von Ogris mit "persönlichen Überlegungen für eine eventuelle Beratungstätigkeit" handelt, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Es bestehe dazu auch kein Auftrag der SPÖ. Ogris arbeite seit Jahrzehnten neben seiner sozialpolitischen Forschung und Wahlforschung auch an strategischen Modellen.

Dass Meinungsforschungsinstitute auch für die Parteien arbeiten, ist gang und gäbe. Laut der SPÖ hat Sora allerdings derzeit keine Aufträge von den Roten. Interne SPÖ-Umfragen werden vom Institut für empirische Sozialforschung (Ifes) abgewickelt. Ein aktueller Auftrag werde gerade vergeben.

ÖVP will Aufklärung

"Peinlich" nennen manche in der SPÖ das neuerliche Hoppala – aber diesmal wenigstens nicht aus eigener Schuld. Drastischer fällt das Urteil jener Parteien aus, gegen die das Papier auch gerichtet ist: FPÖ und ÖVP.

Dass der ORF die Zusammenarbeit mit Sora beendet, ist laut ÖVP die richtige Entscheidung. "An sich sind solche Kooperationen nichts Verwerfliches", sagte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Aber dass ein Institut, das mit dem ORF bei der Wahlberichterstattung zusammenarbeitet, ein Strategiepapier erstellt, sei problematisch. Außerdem glaube man der Erzählung, dass es sich dabei um ein Angebot handle, nicht. Stocker sieht in dem Papier bereits eine Beratungsleistung – es enthalte schließlich "Negative Campaigning".

Die ÖVP hat in dem Papier ihr eigenes Kapitel. Blockade von sozialem Fortschritt soll der ÖVP im Wahlkampf vorgeworfen werden, dass sie immer mehr zur FPÖ werde und "die Hure der Reichen" sei. Um die Ampelkoalition zu ermöglichen, müsse die SPÖ in ihrer Erzählung das "Image der Neos in Richtung ÖVP drängen, damit sie von der ÖVP Stimmen" gewinnen.

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker fordert bei einer Pressekonferenz: Aufklärung.
APA/HELMUT FOHRINGER

Die ÖVP fordert nun Aufklärung. Etwa darüber, ob Sora geplant habe, gewisse Leistungen doppelt zu verkaufen. Schließlich würden unter dem Punkt "Kooperation an Wahltagen Sora-SPÖ" auch etwa Hochrechnungen angeboten – etwas, das Sora ja auch für den ORF gemacht hat. Die SPÖ müsse offenlegen, erklärte Stocker, welche Vertragsverhältnisse mit Sora bestanden hätten oder noch bestünden. Der ORF habe die "Mindestkonsequenz" gezogen. Auch der Sender solle die Vertragsinhalte mit Sora offenlegen. "Wir legen gerne jene Vertragspartner offen, mit denen auch der ORF zusammenarbeitet", sagte Stocker auf die Frage, ob er auch die Zusammenarbeit der ÖVP mit Meinungsforschungsinstituten offenlegen werde.

FPÖ wittert "Silberstein-Methoden"

FPÖ-Chef Herbert Kickl zeigte sich entsetzt über das Papier. Die Vorschläge von Ogris seien "nichts anderes als ein Aufmarschplan für eine links-linke Bundesregierung" und die Vernaderung des politischen Mitbewerbers. "Das sind Silbersein-Methoden, die im Gewand der Sozialdemokratie daherkommen", befand der FPÖ-Chef mit Verweis auf den Berater Tal Silberstein.

Dass Kickl erzürnt ist, liegt wohl auch an dem Inhalt des Papiers: Unter dem Punkt "FPÖ-Storytelling" werden Vorschläge genannt, wie man die Blauen im Wahlkampf framen könnte: Die FPÖ "will den Menschen Rechte nehmen", "schürt den Hass auf Kinder, die mehrere Sprachen sprechen können", und "nützt jede Gelegenheit, um den Sozialstaat zu schwächen", lauten die vorgeschlagenen Wordings. Noch deutlicher fällt eine Überschrift aus: "FPÖ = Hass". Das Duell um die Kanzlerschaft müsse lauten "Babler oder Kickl" – "Liebe oder Hass".

Derzeit ist Babler allerdings noch entfernt von einem Zweikampf. Umfragen sehen die FPÖ mit deutlichem Abstand auf Platz eins. Zuletzt attestierte eine Market-Umfrage im Auftrag des STANDARD der SPÖ 24 Prozent, die FPÖ lag um fünf Prozentpunkte vorne.

Die Liebe und den Hass hatte übrigens auch schon Hillary Clinton im US-amerikanischen Wahlkampf 2016 bedient. Ihr Slogan "Love trumps hate" war am Ende allerdings ohne Erfolg – und Donald Trump Präsident. (Oona Kroisleitner, 27.9.2023)