Wir sind im Zeitalter der sogenannten Polykrise: Krieg, Inflation und Teuerung, Klimakrise und Fluchtbewegungen hängen alle zusammen und sind alle schwer lösbar. In Österreich hat die Kanzlerpartei den Kopf aber offenbar ohnehin woanders: beim Wahlkampf gegen den eigenen Koalitionspartner. Das zeigt eine irrgelaufene E-Mail, die die Neos erreichte. Darin findet sich ein Verlangen für einen U-Ausschuss aus ÖVP-Feder. Aus dem Papier geht hervor, dass sich das Parlament monatelang mit Umweltministerin Leonore Gewessler und Vizekanzler Werner Kogler (beide Grüne) und deren Amtsführung befassen soll, ebenso mit früheren roten und blauen Regierungsmitgliedern.

Gewessler, Nehammer, Kogler 
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP, Mitte links), flankiert von Leonore Gewessler und Werner Kogler, deren Arbeit seine Partei in einem U-Ausschuss überprüfen will
APA/ROLAND SCHLAGER

Die ÖVP will vor allem eines zeigen: Die anderen Parteien sind so korruptionsanfällig wie sie selbst. Der Unterschied ist freilich, dass gegen zahlreiche Politiker der Volkspartei, genau wie gegen die Bundespartei als Verband, Ermittlungen geführt werden – jedoch nur vereinzelt gegen Politiker anderer Fraktionen. Das ist übrigens kein "Feldzug" der Korruptionsstaatsanwaltschaft; dass genug Verdachtsmomente vorhanden sind, ist oftmals gerichtlich bestätigt worden.

Das politische System wird desavouiert

Öffentlich will Kanzler Karl Nehammer, dass wir "an dieses Österreich glauben". Doch statt Optimismus verbreitet seine Partei vor allem Zynismus. Und ganz offensichtlich beschäftigt sie sich intensiv mit Neuwahlen. Denn wann sollte ein mehrmonatiger U-Ausschuss gegen den eigenen Koalitionspartner denn eingesetzt werden? Während man noch gemeinsam regiert?

Es stimmt zwar, dass die grünen Abgeordneten Nina Tomaselli und David Stögmüller in den vergangenen U-Ausschüssen ÖVP-kritisch unterwegs waren. Verlangt und beschlossen hat die Untersuchungsgremien allerdings stets die Opposition. Alles andere wäre auch Irrsinn: Wer seinem Partner so misstraut, dass er ihn parlamentarisch untersuchen will, sollte wohl die Partnerschaft beenden. "Übliche parlamentarische Arbeit", wie es ÖVP-Klubchef August Wöginger nennt, ist so ein Papier jedenfalls nicht. Es ist ein Misstrauensbeweis gegenüber den Grünen. Die sollten sich tiefgehend damit beschäftigen, was sie in dieser Koalition noch erreichen wollen. (Fabian Schmid, 2.10.2023)