Bekam überraschend türkise Post: der Neos-Abgeordnete Helmut Brandstätter.
Bekam überraschend türkise Post: Neos-Abgeordneter Helmut Brandstätter (links).
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Es war Freitag, 14.41 Uhr, als einem Mitarbeiter des ÖVP-Parlamentsklubs ein folgenschwerer Fehler unterlief. Vor dem Wochenende wollte der türkise Funktionär offensichtlich noch ein überarbeitetes, 14-seitiges Dokument innerhalb der Partei weiterleiten. Ins Adressfeld tippte er drei Empfänger, zwei weitere setzte er in cc.

Die E-Mail ging unter anderem an den ÖVP-Klubdirektor. Der Inhalt: brisant. Die Nachricht enthält sehr ausgefeilt wirkende Pläne für einen neuen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der auch das Handeln des grünen Koalitionspartners, insbesondere von Umweltministerin Leonore Gewessler, auf "sachfremde Motive" überprüfen soll.

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Dieses Ansinnen war bis dahin Geheimsache. Jedenfalls bis besagter Mitarbeiter zu kontrollieren vergaß, ob in der Adresszeile auch alles seine Richtigkeit hatte. Dahin war nämlich der Mail-Kontakt des Neos-Abgeordneten Helmut Brandstätter gerutscht. Es war eine Verwechslung. Unter den türkisen Klubreferenten gibt es einen Mitarbeiter mit sehr ähnlichem Namen, der noch dazu im bereits abgelaufenen ÖVP-U-Ausschuss mit Agenden betraut gewesen war. Das E-Mail-Programm hatte vor dem Versand allerdings Neos-Mann Brandstätter vorgeschlagen.

Das Konzept ging somit an die Parlamentsadresse des Abgeordneten von der pinken Konkurrenz. Zunächst blieb das Papier wohl unbemerkt. Wie oft Brandstätter jenes Postfach kontrolliert, ist in der Partei nicht überliefert. Bei den Neos verfügt man über eigene Mailadressen, die mit "neos.eu" enden. Der Pressesprecher der liberalen Bundespartei erfuhr jedenfalls erst am Montag gegen 11.30 Uhr von dem überraschenden Irrläufer aus türkisen Gefilden.

Pinkes Déjà-vu

Bei den Neos erlebte man eine Art Déjà-vu. Im Mai 2021 verschickte der ehemalige ÖVP-Fraktionsführer im Ibiza-U-Ausschuss, Andreas Hanger, "Sudeldossiers" über die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper irrtümlich an Krisper selbst. Hanger sprach damals im Nachgang von einer "Faktensammlung".

Nun saßen Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Co auf Material, das das Koalitionsklima aus Sicht der Oppositionspartei in keinem guten Licht erscheinen lassen könnte. Für 15.15 Uhr beriefen die Neos eilig eine Pressekonferenz ein. Meinl-Reisinger beklagte einen erneuten Tiefpunkt in der heimischen Innenpolitik und forderte Neuwahlen.

ÖVP kalmiert – Grüne auch

Geht es nach der türkis-grünen Koalition, wird das aber nicht passieren. Im Gegenteil. Die Kanzlerpartei spielte das Papier bisher herunter. Aktuell sei kein U-Ausschuss geplant, sagte ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Es handle sich bloß um "Überlegungen" für den Fall, dass die Opposition mit einem neuen U-Ausschuss-Thema um die Ecke biegt.

Und bei den Grünen? Da sieht man die Sache intern auch gelassen. An Neuwahlen denkt beim Juniorpartner niemand. Denn: Die ÖVP habe ja nichts gemacht, sondern nur etwas vorbereitet. (Jan Michael Marchart, 3.10.2023)