Zwei Bonobos liegen im Gras, ein Tier liegt auf dem Rücken und kratzt sich den Bauch, das andere kratzt oder streichelt das erste Individuum am Arm.
Bonobos sind bekannt dafür, häufig gleichgeschlechtlichen Sex zu haben. Man könnte sie als prinzipiell bisexuell bezeichnen.
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Bei vielen Tierarten haben Männchen Sex mit Männchen und Weibchen Sex mit Weibchen: In der Forschung kommt man auf mehr als 1.500 Tierarten, von Schimpansen über Pinguine bis hin zu Eidechsen und sogar Bettwanzen. Das schließt nicht aus, dass die Individuen auch mit dem anderen Geschlecht Geschlechtsverkehr haben und so Nachkommen zeugen. Dennoch stellten sich viele Evolutionswissenschafterinnen und -wissenschafter die Frage, weshalb gleichgeschlechtliches Sexualverhalten auftritt, wenn es doch keinen Vorteil für die Fortpflanzung zu haben scheint. Ein spanisches Forschungsteam um José Gómez von der Universität Granada liefert nun weitere Hinweise für folgende Vermutung: Bei sozialen Säugetieren hilft "Homo-Sex" dabei, Konflikte zu reduzieren und Bindungen zu stärken. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht.

Die Forschung in dem Bereich ist noch eher jung, über historische Beobachtungen wurde mitunter aufgrund des homophoben Zeitgeists nicht gesprochen. Der britische Antarktisforscher George Murray Levick dokumentierte etwa 1911 gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bei Adeliepinguinen und bezeichnete es als "ständige verdorbene Handlungen". Dies galt als derart skandalös, dass Levick seine Beobachtungen auf griechisch festhielt, um sie weniger zugänglich zu machen. Der Bericht wurde letztendlich gar nicht veröffentlicht. Erst 2012 wurde er wieder ausgegraben und publik gemacht.

Erklärungsversuche

In der wissenschaftlichen Literatur ist etwas sperrig von "gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten" die Rede, wenn populärwissenschaftlich gern über lesbische, schwule oder bisexuelle Tiere geschrieben und gesprochen wird. Das hat unter anderem den Grund, dass menschliche Konzepte und Begriffe, die noch dazu erst seit relativ kurzer Zeit verwendet werden, schwierig auf andere Spezies zu übertragen sind. Auch seien sexuelle Kontakte mit demselben Geschlecht "von Homosexualität als längerfristiger Bevorzugung des gleichen Geschlechts, wie sie bei Menschen vorkommt, zu unterscheiden", schreibt das Forschungsteam.

Aus der Evolutionsbiologie gibt es verschiedene Erklärungsversuche für gleichgeschlechtlichen Sex unter Säugetieren. Bei zwei großen Hypothesen gilt das Verhalten als evolutionär sinnvolle Anpassung, die vor allem soziale Tiere betrifft:

Andere Annahmen implizieren, dass es sich um keine evolutionäre Anpassung handelt, sondern quasi um ein Zufallsprodukt:

Weil sich das spanische Forschungsteam vor allem mit evolutionär relevanten Hypothesen befasst, testete es die erstgenannten Hypothesen. Es sammelte zunächst dokumentiertes gleichgeschlechtliches Verhalten in einer Datenbank. Unter Primaten ist die Praxis besonders verbreitet und wurde bei mehr als 50 Spezies beobachtet, von Lemuren bis hin zu Menschenaffen.

Von Bison bis Bonobo

Zu den bekanntesten Beispielen gehören die generell sexuell aktiven Bonobos oder Zwergschimpansen. Hier haben die meisten Männchen, insbesondere aber Weibchen gleichgeschlechtlichen Sex. Schon vor einigen Jahrzehnten beobachtete der niederländische Primatenforscher Frans de Waal, dass Bonobos recht harmonisch miteinander verkehren und durch gleichgeschlechtlichen Sex tendenziell Konflikte vermeiden. Bei den Gemeinen Schimpansen gehe es im Gegensatz dazu beim Sex meist um Unterwerfung. Schon daraus wurden dazu passend mögliche evolutionäre Vorteile abgeleitet.

Auch beim amerikanischen Bison dürfte gleichgeschlechtlicher Sex dabei helfen, Dominanz und Hierarchie innerhalb einer Herde zu festigen. Zu den untersuchten Arten gehören außerdem etwa Delfine, Löwen und Wölfe. Das Forschungsteam hält fest, dass es sich nicht um Verhalten handelt, das etwa nur in Gefangenschaft auftritt, sondern auch in freier Wildbahn beobachtet wurde.

Zwei Magellanpinguine liebkosen sich gegenseitig mit ihren Schnäbeln.
Auch unter Magellanpinguinen und anderen Pinguinspezies finden sich gleichgeschlechtliche Paare zusammen.
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Dann testete das Team seine Annahmen, indem man die Verwandtschaft der Spezies im Stammbaum der Arten mit der Häufigkeit des Verhaltens abglich. Die Analyse zeigt, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten unter den Säugetierarten weitverbreitet ist und generell ähnlich oft unter Weibchen wie unter Männchen vorkommt. Es ist zwar nicht zufällig über alle Spezies verteilt, dürfte aber evolutionär mehrfach entstanden sein.

Hilfreiche Strategie

Die Daten sprechen dafür, dass gleichgeschlechtlicher Sex dabei hilft, "soziale Beziehungen zu erhalten und Konflikte abzuschwächen", schreibt das Forschungsteam. Immerhin zeigte es sich insbesondere bei sozialen Arten. Zudem komme Sexualverhalten unter Männchen eher bei jenen Arten vor, bei denen Artgenossen mitunter einander töten. Dies könne bedeuten, dass es in diesen Spezies besonders wichtig sei, Gewaltpotenzial zu mindern – was auch durch sexuelle Praktiken geschehen könne.

Die Gruppe gibt aber auch zu bedenken, dass das Phänomen nicht sonderlich gut erforscht ist. Die Fachleute können nur von jenen Daten ausgehen, die in der wissenschaftlichen Literatur gesammelt wurden, und daraus Schlüsse ziehen. Darüber hinaus ist es möglich, dass mehrere Aspekte zusammenkommen. Auch etwa genetische Mechanismen spielten hier eine Rolle.

Für die Fachleute spricht die Auswertung aber dafür, dass gleichgeschlechtlicher Sex sehr wohl eine Art der evolutionären Anpassung sein könnte. Genauer gesagt gehe es um konvergente Evolution, also um Verhalten, das sich mehrfach in vielen Arten entwickelte, weil die Umweltbedingungen ähnliche Ansprüche an sie stellen. Damit wäre das Sexualverhalten unter Weibchen und das unter Männchen sehr wohl ein Vorteil und von der natürlichen Selektion beeinflusst. "Kurz gesagt", resümiert das Forschungsteam, "stehen unsere Ergebnisse im Einklang mit der Idee, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bei Säugetieren keine Fehlanpassung und kein abnormales Verhalten ist, sondern eine konvergente Anpassung, die dazu beiträgt, soziale Beziehungen aufrechtzuhalten und Konflikte innerhalb eines Geschlechts zu reduzieren." (Julia Sica, 3.10.2023)