Schmusechor
Tanzt aus der Reihe: Der Wiener Schmusechor steuerte drei Videos für die Ausstellung bei – ein knalliger Hingucker!
Schmusechor

Den Begriff "systemrelevant" finde sie ganz fürchterlich. Nur wenig könne Soli Kiani damit anfangen. Genau aus diesem Grund habe Günther Oberhollenzer die im Iran geborene und in Wien lebende Künstlerin für seine erste Ausstellung im Künstlerhaus ausgewählt. Der Widerspruch habe ihn gereizt. Der neue Leiter (seit Oktober 2022) der Einrichtung am Wiener Karlsplatz hat insgesamt 18 künstlerische Positionen ausgewählt, die sich mit ebenjenem Thema der Systemrelevanz beschäftigen – zumindest in seinen Augen.

Das kann wie bei Soli Kiani dann in einer scharfen Regimekritik münden. In für sie typischen Skulpturen aus miteinander verknüpften Seilen prangert sie das repressive System im Iran an und verwebt es wortwörtlich mit Erzählungen der dort andauernden Protestbewegung. Für sie sei "systemrelevant" eine trennende Bezeichnung, Kunst hingegen eine einende Kraft.

Soli Kiani übt mit ihren Seil-Skulpturen scharfe Kritik am Regime im Iran.
Soli Kiani / Kunstdokumentation.com

Endloser Kaffeenachschub

Ganz anders wurde das Thema von Xenia Lesniewski aufgegriffen, die wie insgesamt sieben Eingeladene einen Beitrag extra für die Schau entworfen hat. Ein ganzes Zimmer verwandelt sich unter ihrer Regie zum Pausenraum – eine scharfe Gesellschaftskritik und zugleich ein innenarchitektonischer Skandal. "Extra hässlich" habe sie das Setting gestaltet, sagt sie: Über einem weißen Kunstledersofa hängen geschmacklose Poster mit Marketingsprüchen wie "Uncertainty" oder "Complexity". Der Vollautomat auf der Küchenzeile ist dem Leistungswahn verfallen und lässt das Kaffeehäferl 24/7 überlaufen.

Spätestens seit der Pandemie hätten alle einen Bezug zu dem Begriff "systemrelevant", den Oberhollenzers Schau zur Diskussion stellen möchte. Worum es genau geht, kann allerdings nicht ganz greifbar gemacht werden. Ist das System Kunst gemeint, dessen Grenzen hinterfragt werden? Werden systemkritische Werke gezeigt? Oder Kunstschaffende, die im lokalen System von Bedeutung sind? Für den künstlerischen Leiter seien die ausgewählten Werke einfach relevant, erklärt er. Vielleicht müsste man also vom System Oberhollenzer sprechen?

Dass es sich um eine sehr persönliche Präsentation handle, gibt er sogar im Einleitungstext zu. Die Schau sei in gesetzten Schwerpunkten auch als Vorgeschmack auf sein künftiges Programm zu verstehen.

Peter Senoner
Peter Senoners androgyne Figur eröffnet die Ausstellung "Systemrelevant".
Peter Senoner/Galerie Alessandro

Keine Dialoge suchen

Die Zusammenstellung wirkt so, als ob Oberhollenzer viele seiner Versprechen jetzt schon einlösen wolle: Zugänglichkeit, Diversität, Lokalität. Diese Punkte dürfen durchaus abgehakt werden, wenn nur auch der thematische Überbau besser funktionieren würde. Denn Parallelen zwischen den gezeigten Werken zu finden stellt sich als Herausforderung dar. Statt Dialoge zu suchen, sollten die einzelnen Arbeiten lieber für sich betrachtet werden – es gibt so manches zu entdecken.

Zum Beispiel produzierte der Schmusechor – eine bunte Poptruppe aus Wien mit beachtlicher Fanbase – drei Videos für die Ausstellung. Es ist wahrlich ein Vergnügen, wenn die insgesamt 35 Sänger und Sängerinnen unter der Leitung von Dirigentin Verena Giesinger in knalligen Kostümen vor der Wotrubakirche ihr Konzert geben.

Obwohl man es hier nicht mit bildender Kunst zu tun hat, freut man sich über diesen Grenzübertritt. So auch über partizipative Installationen wie jene von Hannes Egger. Mit einer Putzstation aus roten Utensilien soll das Publikum motiviert werden, sich um die Kunst und den Ausstellungsraum zu kümmern. Radios dürfen eingeschaltet, den verlautbarten Handlungsanweisungen darf gefolgt werden. Beispielsweise mal kräftig auszukehren.

Małgorzata Mirga-Tas
Ihre monumentalen Stoffcollagen katapultierten die Roma-Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas auf die internationale Kunstbühne.
BARTOSZ GORKA

Bunte Mischung mit Star

Ebenfalls anpacken kann man bei der grandiosen Installation Karin des Grazer Künstlers Alfredo Barsuglia. Aus der Hinterlassenschaft einer verstorbenen Dame ohne Nachfahren bestückte er ein ganzes Regal wie einen Setzkasten. Aus dem Sammelsurium aus Porzellanfiguren, Nähkörben, Geschirr, Schmuck oder Lampen darf sich das Publikum laut Anweisung des Künstlers jeweils einen Gegenstand aussuchen und mitnehmen – solange der Vorrat reicht. Karin lebt so in unseren Wohnzimmern weiter.

Die Stärke der Ausstellung ist definitiv ihre Mischung aus weniger bekannten Positionen, lokalen Kunstschaffenden, die aktuell gefragt sind, sowie einem internationalen Star: Mit vier Arbeiten ist Małgorzata Mirga-Tas vertreten. Als erste Roma-Künstlerin bespielte sie den polnischen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2022. Ihre monumentalen Stofffresken katapultierten sie auf die internationale Kunstbühne. Definitiv ein relevanter Move fürs System. (Katharina Rustler, 4.10.2023)