Stadt
Das Rückstrahlvermögen von Dächern zu erhöhen ist ein effektives Mittel gegen die Hitze in der Stadt. Ein neuer, anpassungsfähiger Dachziegel könnte das ermöglichen.
Georges Schneider / picturedesk.

Die fortschreitende Klimakatastrophe wird auch zunehmend Einfluss auf die Gestaltung von Häusern und Wohnungen haben und Architekturen, Bauweisen und Materialien verändern. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Frage, wie stark die Dächer die eintreffende Strahlung aufnehmen oder abstrahlen. Forschende von Joanneum Research sind etwa im Projekt Kelvin dem Einfluss dieses Faktors am Beispiel Wien nachgegangen. Das Ergebnis: Hochreflektierende Dächer mit einem Rückstrahlvermögen von 70 Prozent samt Umsetzung von Dachbegrünungen dort, wo sie möglich sind, würde zu einem Rückgang der Hitzetage in der Stadt von bis zu 29 Prozent führen.

Hohes Reduktionspotenzial

Weitere Maßnahmen wie reflektierende Fassaden würden die Stadt noch weiter kühlen und ein theoretisches Hitzetage-Reduktionspotenzial von bis 53 Prozent eröffnen.

Zur Frage, wie man den Dächern auf sinnvolle Weise dieses Rückstrahlvermögen geben kann, haben sich Julien Presland und Joseph Gansger ausführlich Gedanken gemacht. Bereits im Rahmen ihres mittlerweile abgeschlossenen Architekturstudiums an der FH Kärnten beschäftigten sie sich mit nachhaltigen Bauweisen.

Eine Projektarbeit führte damals auch zu einer Erfindung, die sie nun im Rahmen ihres 2023 in Spittal an der Drau gegründeten Start-ups Solution Zero zum marktfähigen Produkt machen wollen.

Flexibler Dachziegel

Dabei handelt es sich um ein Dachziegelsystem, das das Rückstrahlungsverhalten gezielt an den Verlauf der Jahreszeiten anpasst. "Wenn man dem Dach eine Oberfläche gibt, die es im Sommer um vier Grad kühler macht, sinkt seine Temperatur auch im Winter. Diesen Aspekt haben wir optimiert. Unsere Dachziegel schützen das Haus im Sommer vor dem Überhitzen und im Winter vor dem Auskühlen", erklärt Gansger.

Ausgangspunkt für die Erfindung, die aktuell noch im Patentierungsprozess steckt, sind die unterschiedlichen Sonnenverläufe im Sommer und im Winter. Die Idee ist, den Ziegeln eine Oberflächenstruktur zu geben, die die Strahlung der Sonne auf ihrer sommerlichen Bahn über den Himmel reflektiert, jene auf ihrer Bahn im Winter dagegen absorbiert. "Wir haben einen Algorithmus entwickelt, der auf Basis der geografischen Koordinaten, der Lage des Gebäudes, der Steilheit des Daches und anderer Parameter die optimale Oberflächenbeschaffenheit der Ziegel berechnet, sodass sie im Sommer kühlen und im Winter Wärme aufnehmen", sagt Presland.

Laufende Weiterentwicklung

Auch wenn es genau an Ort und Lage angepasst wird, muss das individuelle Dach dennoch keine Sonderanfertigung sein. "Unser Ziel ist, mit wenigen Ziegelvarianten die gesamte Bandbreite erforderlicher Geometrien abdecken zu können", sagt Gansger. "Unser Produkt soll nicht wesentlich teurer als ein Standardziegel sein. Wir möchten es für einen breiten Einsatz zugänglich machen." Für das Berechnen der Strukturen mit ihren unterschiedlichen Rückstrahlverhalten nutzen die Entwickler Methoden aus dem mathematischen Bereich der fraktalen Geometrie. Details wollen die Start-up-Gründer wegen des laufenden Patentverfahrens noch nicht preisgeben. Erste Prototypen entstanden bereits während der Lockdowns in der Corona-Pandemie.

Optisch soll sich an den Ziegeln, zumindest von einem üblichen Betrachtungswinkel der Stadtbewohner aus gesehen, nichts ändern. Sie erscheinen weiterhin im gewohnten Rot oder Anthrazit. Aus bestimmten Flugperspektiven wirken die Dächer dagegen heller. Die Effekte in einem größeren Zusammenhang werden derzeit mittels Simulationsmodellen gemeinsam mit Joanneum Research erforscht – auf dessen Projekt Kelvin stießen die Gründer zu Beginn ihrer Ziegelentwicklung.

Innovative Abdeckung

Unterstützt wurde die Forschung an den "Zebraziegeln", wie sie die Gründer nennen, unter anderem vom Austria Wirtschaftsservice (AWS), dem Kärntner Gründungszentrum Build! und der Förderagentur FFG. Für die Fertigung wird bereits mit einem heimischen Industrieunternehmen verhandelt. Die innovative Dachbedeckung soll zudem nicht das einzige Produkt des Start-ups bleiben. "Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung verschiedener nachhaltiger Baumaterialien", erklärt Presland. "Immerhin ist die Baubranche einer der großen Mitverursacher der Klimakrise." Die Gründer haben dabei die Adaptierung traditioneller Baumaterialien, aber auch die Forschung an innovativen Produkten, etwa aus biobasierten Kunststoffen, im Blick.

Gleichzeitig ist es Presland und Gansger ein Anliegen, auch weitere Studierende bei eigenen Unternehmensgründungen zu unterstützen und zu motivieren. Projekte in ihrem Umfeld beschäftigen sich etwa mit der Entwicklung von Baumaterialien aus Pilzmyzel oder mit KI-Systemen zur Optimierung von Bauprozessen. Die Kultivierung einer Gründerszene in Spittal an der Drau unterstützen sie auch durch einen Co-Creation-Space. Presland: "Wir haben ein ehemaliges Sägewerk gemietet. Es dient nicht nur uns als Werkstatt für unsere Entwicklungen, sondern wir bieten den Raum auch anderen Start-ups für ihre Arbeit an." (Alois Pumhösel, 15.10.2023)