Game of Thrones
Der Autor George R. R. Martin baute ein Imperium auf den Flügeln von Daenerys Targaryens schuppigem Freund Drogon. Die Adaption von "Das Lied von Eis und Feuer" wurde auch für den Streamer HBO zum Welterfolg.
imago images / Cinema Publishers

Ob "Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden" oder "Der Winter naht": An den Zitaten aus zwei der wohl berühmtesten Fantasy-Romanzyklen, J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe und George R. R. Martins Das Lied von Eis und Feuer, ist man auch abseits der Fan-Szene kaum vorbeigekommen. Besonders in den letzten Jahren erleben dystopische Welten und magische Wesen einen neuerlichen Höhepunkt: Endlose Buchfortsetzungen und unzählige Verfilmungen machen es beinah unmöglich, den Geschichten rund um Hexen, Rittern und Drachen zu entrinnen.

Stichwort Drachen: Die feuerspeienden Flugdinosaurier sind der Garant für erfolgreiche Geschichten. Vom Drachen Smaug aus Herr der Ringe über den rumänischen Hornschwanz in Harry Potter bis hin zu Daenerys Targaryens Drogon in Das Lied von Eis und Feuer, gemeinhin auch bekannt als Game of Thrones: Wer die schuppigen Fabelwesen übers Papier gleiten lässt, steigt nicht selten in den Olymp der Fantastik-Literatur auf.

Populär durch Serien

Dass die Flucht in magische Welten auch mit der Sehnsucht nach einer Alternative zu den Schrecken der Realität zutun hat, glaubt Wolfgang Kirchner. Der österreichische Autor schreibt selbst Fantastik und ist Obmann des Wiener Vereins "Fantasy-Schmiede", der einmal im Jahr die vergleichsweise kleine Szene-Messe Fantasy-Con veranstaltet. "Bei der letzten Ausgabe im Frühjahr sind mit über 400 Besuchern alle unsere Erwartungen übertroffen worden", berichtet er. Man spüre, dass jüngere Blockbuster-Produktionen in der Literatur einen Aufschwung bewirkt haben.

Fantasyliteratur
Drachen als Erfolgsrezept: Wer die schuppigen Fabelwesen übers Papier gleiten lässt, steigt nicht selten in den Olymp der Fantastik-Literatur auf.
HBO

"Bei Fantasy geht es aber nicht immer nur um Realitätsflucht, sondern auch um alternative Lebensweisen und Lösungsansätze", sagt Kirchner. "Dass viele Welten in mittelalterlichen Zeitsträngen angesiedelt sind und ohne moderne Technik auskommen, ist kein Zufall."

Ein populäres Beispiel der Mittelalter-Fantasy, das in den letzten Jahren kaum jemandem verborgen geblieben ist, ist die HBO-Serie Game of Thrones, die auf der Romanreihe Das Lied von Eis und Feuer basiert. 1996 hat George R. R. Martin seinen ersten Teil veröffentlicht, und obwohl seit 2011 kein weiteres Buch erschienen ist, warten Fans noch immer auf eine – 2013 angekündigte – Fortsetzung. Einblicke in Buchkapitel und kryptische Tweets des Autors verursachen bei der Leserschaft regelmäßig Schnappatmung und zeigen: Selbst zwölf Jahre Wartezeit reichen nicht aus, um das Interesse zu schmälern.

Rekordverdächtige Adaptionen

Dass der Boom in der Fantasyliteratur auch konkret mit der rekordverdächtigen Serienadaption zusammenhängt, ist kein Zufall. Seit der Veröffentlichung von Game of Thrones schießen Streaming-Adaptionen wie Pilze aus dem Boden. Jüngstes Beispiel ist Das Rad der Zeit des US-amerikanischen Schriftstellers Robert Jordan: Die Reihe umfasst 15 Werke und wurde zwischen 1990 und 2013 veröffentlicht – die gleichnamige Serie feierte beim Streaming-Riesen Amazon Prime Premiere und bugsierte die Bücher knapp zehn Jahre später in die Spiegel-Bestellerliste. Bisher wurden über 800.000 Ausgaben verkauft, Tendenz steigend. Ähnlich verhält es sich mit der The Witcher-Saga oder Legenden der Grisha, die beide für Netflix adaptiert wurden.

Das Rad der Zeit Staffel 2 - offizieller Trailer | Prime Video
Amazon Prime Video Deutschland

Einer immerwährenden Beliebtheit erfreut sich Tolkiens Trilogie Der Herr der Ringe, die Urmutter der modernen Fantastik-Literatur. Vor rund 20 Jahren habe die Verfilmung von Peter Jackson zu millionenfachen Absätzen geführt, jetzt befeuere die Amazon-Serie Ringe der Macht den Verkauf von Tolkiens Texten abermals, bestätigt Mareike Rhiemeier vom Verlag Klett-Cotta.

Autoren-Netzwerk

Dass magische Welten auch im deutschsprachigen Raum immer beliebter werden, weiß Stefan Cernohuby vom Phantastik-Autoren-Netzwerk, kurz Pan. Der Wiener betreut über 400 Mitglieder, die entweder als Förderer oder aktive Schreiberinnen teilnehmen. Der Verband wurde 2015 als Pendant zu Netzwerken in der Krimi- oder Romantikliteratur gegründet und verzeichnet seitdem steten Zuwachs.

"In den letzten Jahren sind wir verstärkt auf Literaturmessen vertreten und bewegen uns nicht nur in Szene-Events", berichtet er. "Das Interesse, das im internationalen Vergleich hierzulande bisher gering ausgefallen ist, steigt mittlerweile auch." Auf der Frankfurter Buchmesse hat Pan ein Tagesprogramm gefüllt, auch in Leipzig und Basel sei man inzwischen fester Bestandteil. Nur in Österreich bleibe die große Repräsentanz noch aus, berichtet Cernohuby: Die Buch Wien habe wiederholt kein Interesse an einer Kooperation bekundet.

Der Herr der Ringe
Immer mehr Leserinnen und Leser suchen Zuflucht in dystopischen Fantasiewelten, wie hier im Elbenreich von "Der Herr der Ringe".
imago images/Mary Evans

Wie man es also dreht und wendet, der Rummel rund um die Fantastik scheint nicht abzureißen, sondern immer mehr anzusteigen. Ob nun die Flucht aus der Realität oder die Freude an der Vorstellungskraft, Fantastik-Literatur ist schon lange nicht mehr nur der Nerd-Kultur vorbehalten. Trefflich formuliert und zusammengefasst hat das der kürzlich verstorbene Michael Gambon (1940–2023) als Dumbledore in J. K. Rowlings Harry Potter: "Worte sind (...) unsere wohl unerschöpflichste Quelle der Magie." (Caroline Schluge, 4.10.2023)