Fünf gut gelaunte Forschende, die unter freiem Himmel Champagner trinken.
Ferenc Kraus (in der Mitte) beim Feiern mit seinem Team im Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München, wohin er kurz nach seinem erfolgreichen Wiener Experiment wechselte.
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Oft sind es die kleinen Dinge im Leben, die besonders wertvoll sind. Im Fall von Ferenc Krausz war das lebensbestimmende Ding nicht nur klein, etwa einen Billiardstelmeter groß, sondern auch außergewöhnlich kurz. Es existierte gerade einmal für die Dauer von rund einer Attosekunde, eine Zeiteinheit, die der Lebenswelt von Krausz und seinem Team so fern war wie das Alter des Universums, wenn auch am anderen Ende der Skala gelegen. Doch Krausz widmete diesem winzigen Effekt, einem ultrakurzen Laserpuls, seine ganze Aufmerksamkeit, wofür er nun neben Anne L'Huillier und Pierre Agostini mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde.

Die Geschichte seines Interessenfeldes begann allerdings nicht in Wien, sondern in einem Forschungszentrum in Paris-Saclay. In den späten 80er-Jahren war Anne L'Huillier Mitglied eines Teams, das Edelgase mit Licht bestrahlte. Die Experimente enthüllten, dass Argon, wenn es starker Wärmestrahlung ausgesetzt ist, sonderbares Licht aussendet. Argon ist sonst wie die anderen Edelgase äußerst träge und reagiert kaum auf äußere Reize, worauf auch sein Name hindeutet, der auf das griechische Wort für "untätig" zurückgeht. In diesem Fall strahlte das Gas aber gewissermaßen "Obertöne" des eingestrahlten Infrarotlichts ab. Das Phänomen ist aus der Musik bekannt, auch Klaviersaiten schwingen nicht nur in der Frequenz ihrer Stimmung, sondern auch in allen höheren Oktaven. Bei L'Huilliers experimentellem Aufbau war der Effekt aber eigentlich nicht zu erwarten und verlangte nach einer Erklärung.

In den kommenden Jahren widmete L'Huillier (gemeinsam mit Paul Corkum, auf den wir noch zurückkommen wollen) ihre Forschungsaktivitäten diesem Problem. Es stellte sich heraus, dass das Phänomen auf einem Effekt namens Rekollision beruht. Dabei werden Elektronen aus dem Argon herausgeschlagen, können aber unter bestimmten Umständen ihre Richtung umkehren und wieder gen Atomkern stürzen, wodurch die Obertöne entstehen, die teilweise sogar eine höhere Energie haben als das eingestrahlte Licht.

L'Huillier erkannte, dass sich damit ultrakurze Pulse herstellen ließen, doch es stellte sich auch die Frage, wie sich das flüchtige Phänomen belegen ließe. Kein Messgerät der Welt war in der Lage, derart kurze Zeitspannen aufzulösen. Der Durchbruch sollte erst im neuen Jahrtausend gelingen, unter anderem in Wien, wo ein junger, aus Ungarn stammender Physiker namens Ferenc Krausz in seinem Labor mit immer kürzer werdenden Laserpulsen experimentierte.

Video: Physik-Nobelpreis für Austro-Physiker Ferenc Krausz.
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Kurz und gut

Den Anfang machte Pierre Agostini 2001 in seinem Pariser Labor. Er erzeugte auf Basis der Arbeiten L'Huilliers eine Reihe von Lichtpulsen und konnte zeigen, dass sie tatsächlich die Länge von Attosekunden hatten. Seine Methode wurde später "Rabbitt" getauft. In etwa zur gleichen Zeit führte Krausz seine Experimente durch. Er ging aber noch einen Schritt weiter und erzeugte nicht etwa eine Reihe schneller Pulse, die für weitere Anwendungen wenig praktikabel waren, sondern einzelne, isolierte Pulse.

Um diese Technik namens Streaking zu realisieren, musste er seine in den 90er-Jahren entwickelten Methoden zur Herstellung ultrakurzer Laserpulse nutzen, die allerdings noch eine Dauer von einigen Tausend Attosekunden hatten. Mit ihrer Hilfe erschuf er Pulse, die nur noch etwa 650 Attosekunden dauerten. Die Ergebnisse des Experiments wurden im Fachjournal "Nature" veröffentlicht, die Arbeit trug den unscheinbaren Namen "Attosecond Metrology".

Forschen ohne Toilette

Co-Autor Reinhard Kienberger, der damals Doktorand bei Krausz war und heute an der Technischen Universität München forscht, erinnert sich, dass er und Michael Hentschel das Experiment im Schichtbetrieb betreuten. "Man musste den Laser am Vormittag warmlaufen lassen, am Nachmittag justieren, erst ab etwa 19 Uhr ging das Messen los", erzählt Kienberger. "Wir haben Spät- und Vormittagsschichten abgewechselt."

Am Tag des Experiments hatte Kienberger Spätschicht. "Die Messung hat von 20 Uhr bis 5 Uhr Früh gedauert. Man durfte das Labor nicht verlassen, weil durch das Öffnen der Tür kalte Luft aus dem Gang hereingekommen wäre und die Stabilität des Lasers verlorengegangen wäre", sagt Kienberger. Das habe ungewöhnlicher Lösungen bezüglich der Notwendigkeit einer Toilette bedurft. Um 5 Uhr zeigte sich, dass das Experiment erfolgreich gewesen war: "Ich habe voller Begeisterung Ferenc Krausz angerufen, der dann sofort von zu Hause ins Labor kam. Ich weiß noch, wie er den Bildschirm mit den ausgewerteten Daten fotografiert hat." Dass sie einen Rekord aufgestellt hatten, sei Kienberger bewusst gewesen, allerdings nicht, dass sich daraus ein ganzes Forschungsgebiet eröffnen würde.

Es zeigte sich nämlich, dass die Methode genaue Rückschlüsse auf das Verhalten von Elektronen um Atome erlaubt. Krausz benutzt das Bild einer "Schnellkamera", die 3D-Filme dieser unglaublich winzigen Vorgänge erzeugt. So war es etwa möglich, jenen Effekt genauer zu untersuchen, der einst Albert Einstein den Nobelpreis einbrachte. Einsteins Relativitätstheorien wurden nie mit dem Nobelpreis gewürdigt, er erhielt ihn für seine Erklärung des Photoelektrischen Effekts. Dabei geht es um das Herauslösen von Elektronen aus einem Festkörper mithilfe von Licht. Einstein konnte zeigen, dass Licht aus Teilchen bestehen muss, und legte damit den Grundstein für die Quantenphysik.

Dieser Effekt passiert allerdings nicht augenblicklich, sondern hat eine komplexe Dynamik, wenn auch auf winzigen Zeitskalen – in der Größenordnung von Attosekunden. Mithilfe seiner neuen Methoden konnten Krausz und sein Team diese Vorgänge erstmals auflösen. Diese Arbeiten führte Krausz aber bereits in Garching durch, also in Deutschland.

Erstautor der damaligen Studie war Martin Schultze, der bei Krausz promovierte und inzwischen an der Technischen Universität Graz forscht. Schultze erinnert sich an die Zeit in Garching, damals sei die Gruppe von Krausz noch neu, aber schon relativ groß gewesen. "Es war nicht sehr viel Zeit, sich um die einzelnen Projekte zu kümmern", sagt Schultze. Bei regelmäßigen Treffen seines Teams habe ihn Krausz mit seiner detaillierten Einsicht in die Arbeit der einzelnen Leute verblüfft. "Ich habe mir oft nicht erklären können, warum er sich so gut auskennt. Er konnte blitzschnell umschalten."

Österreichbezug

Ist Krausz nun also ein österreichischer Nobelpreisträger? Unbestritten ist, dass Krausz neben der Staatsbürgerschaft seines Geburtslandes Ungarn auch die österreichische trägt. Das Nobelpreiskomitee zieht üblicherweise das Geburtsland heran, wonach er als Ungar gilt. Doch die nobelpreiswürdige Leistung erbrachte Krausz in Wien. Besonders hebt er die Bedeutung seines Mentors Arnold Schmidt hervor, der ihm die nötige Freiheit gegeben habe. Dass er nun von drei Ländern vereinnahmt werde, findet Krausz "wunderbar": "Wir sollten hier in Europa alle Europäer sein." Er freue sich, diesen drei Ländern mit dem Preis etwas zurückgeben zu können. Aktuell hat er auch ein Forschungsprojekt in Ungarn laufen, bei dem er sich mit medizinischen Anwendungen der Attosekundenphysik beschäftigt.

Ein Portrait von Krausz anlässlich der Verleihung des Wittgensteinpreises 2002.
Wissenschaftsfonds FWF

Doch zu etwas gut

Wird Großes in der Physik entdeckt, ist die Frage nach möglichen Anwendungen nicht weit. Krausz weicht dem Thema gern charmant aus. Auf die Frage, was derartige Forschung mit uns Menschen zu tun habe, antwortete er bei einer Pressekonferenz anlässlich des Nobelpreises, dass Elektronen der Klebstoff seien, der die Atome zusammenhalte und damit die Moleküle bilde, aus denen auch wir Menschen aufgebaut sind. Es gehe beim Studium dieser ultrakurzen Elektronenbewegungen letztlich darum, auch uns selbst zu verstehen. Damit ist Krausz diplomatischer als sein Nobelpreiskollege Anton Zeilinger, der stolz verkündete, dass gute Grundlagenforschung "zu gar nichts gut" sein müsse.

Großes Aufsehen außerhalb von Fachkreisen erregte das Wiener Experiment damals nicht. Es liegt in der Natur der Nobelpreisarbeiten, dass sich ihre Bedeutung oft erst Jahrzehnte später erkennen lässt. Der österreichische Wissenschaftsfonds FWF erkannte das Potenzial früher: Krausz erhielt 1996 den Start-Preis, der die Förderung junger Forschender zum Ziel hat. Bereits 2002 erhielt Krausz den ebenfalls vom FWF vergebenen Wittgensteinpreis, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung des Landes, die auch gern "Austro-Nobelpreis" genannt wird. Zahlreiche weitere Preise folgten, etwa der Wolf-Preis, den er erst 2022 ebenfalls gemeinsam mit L'Huillier erhielt. Dritter im Bunde war damals bemerkenswerterweise nicht Agostini, sondern der zuvor erwähnte Paul Corkum. Krausz betonte, dass auch er den Nobelpreis verdient gehabt hätte und dass wohl nur die Regel, den Preis auf nicht mehr als drei Personen aufzuteilen, eine Auszeichnung Corkums verhindert habe.

In Fachkreisen war die Außerordentlichkeit der Arbeiten im Wiener Labor von Krausz also schon lange bekannt. Anton Zeilinger bemerkte anlässlich des diesjährigen Physik-Nobelpreises, er sei in dessen Wiener Jahren in dessen Labor gewesen und habe schon damals bemerkt, dass hier besondere Dinge passierten. Krausz verließ Wien letztlich in Richtung Garching bei München. Auch wenn internationale Engagements und Wechsel des Forschungsstandorts in der Wissenschaft an der Tagesordnung stehen und Krausz ausdrücklich die Unterstützung während seiner Wiener Zeit lobt, wo er alles zur Verfügung gehabt habe, was er benötigt habe, nennt Schmidt als Grund für den Weggang nicht zuletzt die bessere Finanzierung der aufwendigen Experimente an der neuen Stelle, wo Krausz bereits früh ein großes Team um sich scharen konnte. Das bestätigte Krausz auch im "ZiB 2"-Interview. Das Umfeld der Max-Planck-Institute in Deutschland sei weltweit einzigartig und habe ihn überzeugt, doch er denke gern an die Zeit in Wien. Es habe sich um die produktivsten Jahre seiner Karriere gehandelt, und er komme immer wieder gern hierher zurück. (Reinhard Kleindl, 4.10.2023)