EU-Flaggen
Die EU-Staaten haben sich auf einen Asylkompromiss geeinigt.
REUTERS/YVES HERMAN

Brüssel/Berlin – Im Streit um die Asylreform haben sich die EU-Staaten auf einen Kompromiss geeinigt. Die Mitgliedsländer machten nach Angaben der spanischen Ratspräsidentschaft bei der Sitzung der ständigen Vertreter am Mittwoch in Brüssel den Weg für die sogenannte Krisenverordnung frei, die als letzter Baustein der Reform gilt. Diplomaten bestätigten die Einigung. Die Krisenverordnung sieht deutlich verschärfte Maßnahmen vor, wenn – wie es heißt – durch Migrantinnen und Migranten eine Überlastung der Asylsysteme droht.

Über die Krisenverordnung könnte etwa der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt.

Italien setzte sich weitgehend durch

Streit gab es zuletzt zwischen Deutschland und Italien um die Rolle privater Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer. Mit dem Kompromiss hat sich nun Italien weitgehend durchgesetzt: Auf Drängen der rechtsextremen Regierung in Rom wurde nach Diplomatenangaben ein Absatz aus dem Gesetzestext genommen, der sich auf die Einsätze der Seenotretterinnen und Seenotretter bezog. Er besagte, dass die Folgen dieser Rettungseinsätze nicht für die Feststellung des Krisenfalls herhalten dürften. Der Absatz steht nun nur noch als Zusatzklausel in dem Entwurf.

Dennoch begrüßte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Einigung: "Wir haben in Brüssel bis zur letzten Minute hart und erfolgreich darum gerungen, dass es nicht zu einer Aufweichung von humanitären Mindeststandards wie dem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung kommt." Die Regelungen für das Feststellen einer Krise könnten zudem "nur in sehr stichhaltig begründeten Fällen überhaupt gezogen werden". Allerdings habe Deutschland Baerbock zufolge "deutlich zu Protokoll gegeben", nicht ganz überzeugt zu sein, da "in einem Krisenfall bei den Grenzverfahren weiter jedes Extrem – von der vollen Aussetzung bis zur vollen Anwendung – zur Verfügung stünde".

Video: EU einigt sich auf Asyl-Krisenverordnung.
AFP

Kritisch äußerte sich die österreichische Grüne Monika Vana. Eine Reform der EU-Asyl- und Migrationspolitik sei zwar überfällig. "Leider bedeutet der vorliegende Entwurf des Rats kein Ende des Chaos und Leids an den Außengrenzen, und die Aufgabe der Seenotrettung ist ein Kniefall vor Italiens Postfaschisten."

Humanitäre Bedenken

Deutschland hatte die Krisenverordnung wegen humanitärer Bedenken lange blockiert. In Brüssel hatte Berlin die Ablehnung des Vorschlags für die Verordnung damit erklärt, dass EU-Staaten das Regelwerk nutzen könnten, um Schutzstandards für Migranten auf ein zweifelhaft niedriges Niveau abzusenken. Regierungskreisen zufolge hatte am Mittwoch vergangener Woche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) informell von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hat und angeordnet, den Widerstand gegen die Krisenverordnung aufzugeben. Ende September stimmte Deutschland dann einem ersten Kompromiss zu, den Italien aber kritisierte.

Italien ist über die Insel Lampedusa besonders von Ankünften über das Mittelmeer betroffen: Eine von Tunesien nicht umgesetzte Migrationsvereinbarung, gutes Wetter und teilweise menschenunwürdige Bedingungen innerhalb Tunesiens hatten vor allem im September zu mehr Überfahrten geführt – die in vielen Fällen immer noch tödlich enden.

Kreuze aus den Überresten der auf der Insel gelandeten Boote auf dem Friedhof von Lampedusa, wo Opfer der Schiffbrüche begraben sind.
Kreuze aus den Überresten der auf der Insel gelandeten Boote auf dem Friedhof von Lampedusa, wo Opfer der Schiffbrüche begraben sind.
AFP/TIZIANA FABI

Nach der Einigung heute ist nun der Weg frei für Verhandlungen über das ganze Asyl- und Migrationspaket mit dem EU-Parlament. Dieses hatte eine Einigung der Mitgliedstaaten auf eine Position zur Krisenverordnung zur Kondition gemacht, damit auch über andere Teile des Pakts weiterverhandelt wird. Die seit der verstärkten Fluchtbewegung im Jahr 2015 umkämpfte Asylreform soll bis zur Europawahl im Juni 2024 stehen.

Grundsätzlich sehen die Pläne für die EU-Asylreform unter anderem einen deutlich härteren Umgang mit Menschen aus Ländern vor, die als relativ "sicher" gelten. Sie sollen künftig nach einem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob die Antragstellerinnen oder Antragsteller Chancen auf Asyl haben. Wenn nicht, soll die betreffende Person umgehend zurückgeschickt werden. EU-Länder, die keine Geflüchteten aufnehmen wollen, sollen zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. (APA, Reuters, red, 4.10.2023)