Während die geschichtswissenschaftliche These "In Linz beginnt’s" in Fachkreisen als umstritten gilt, tauchte in der Vorwoche eine neue, durchaus vergleichbar fundierte Theorie auf: In Linz hört’s niemals auf.

Wir verdanken diesen bahnbrechenden, unsere bisherigen Vorstellungen von Raum, Zeit und Kausalität infrage stellenden Denkansatz der oberösterreichischen Landesregierung. Auslöser ihrer revolutionären Erkenntnis war eine Klage der Umweltschutz-NGO All Rise beim Verfassungsgerichtshof, mit der die Republik und die Bundesländer Nieder- und Oberösterreich für Schäden durch den nach wie vor ungebremsten Bodenverbrauch in unserem Land haftbar gemacht werden sollen. Auch die Umsetzung rechtlich bindender EU-Richtlinien soll so auf dem Gerichtsweg durchgesetzt werden.

Seltsame Klagsbeantwortung in seinem Namen: Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP).
FOTOKERSCHI.AT/HANNES DRAXLER

In ihrer im Namen von Ministerin Karoline Edtstadler vorgebrachten Beantwortung der Klage überrascht die Republik Österreich mit einer unkonventionellen Verteidigungsstrategie, indem sie Fehlverhalten, das sie in einem EU-Vertragsverletzungsverfahren bereits gestanden hat, dem VfGH gegenüber nun plötzlich bestreitet. Das wirkt ähnlich durchdacht, als würde man bei einer von zwei Polizisten durchgeführten Verkehrskontrolle dem einen Beamten gegenüber diverse Vergehen ansatzlos zugeben, während man bei dem anderen die gleichen Delikte strikt in Abrede stellt. Ein Verhalten, das entweder kognitive Dissonanz, radikales Falschverstehen der "Good Cop, Bad Cop"-Taktik oder einfach Blödheit darstellt.

Gedankliche Sternstunde

Das Land Oberösterreich schafft es aber im Namen von Landeshauptmann Thomas Stelzer, da noch einen draufzusetzen. Bezüglich Rechtfertigung ist man in Linz ähnlich schambefreit wie die Republik. Gegenüber der EU-Behörde hatte man zuvor schon zugegeben, die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU nicht umgesetzt zu haben, in der Klagsbeantwortung wird vor dem VfGH genau das bestritten. Dann aber schwingt sich der leider anonym gebliebene Autor der offiziellen, natürlich mit Steuergeld bezahlten Replik der Landesregierung zu einer gedanklichen Sternstunde auf: "Die nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels lösen keine individuelle Betroffenheit aus, sondern erfassen letztlich die gesamte Menschheit. Eine besondere, unmittelbare und individuelle Betroffenheit liegt nicht vor."

Heureka! Eine Nachricht, die bei den von durch maßlose Bodenversiegelung verschärften Hochwasserkatastrophen in Oberösterreich unmittelbar betroffenen Individuen zunächst für ungläubiges Staunen sorgen könnte. Aber das wird rasch heller Begeisterung weichen, spätestens wenn die Untertanen Stelzers realisieren, welch sorgenfreie Zukunft sie erwartet. Egal ob Hochwasser, Trockenperiode oder Apokalypse: Das mag für die Menschheit das eine oder andere Problem mit sich bringen, die einzelnen Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher sind davon aber nicht betroffen.

Und wenn, wie von der Astrophysik prophezeit, in circa 3,5 Milliarden Jahren die dann um 40 Prozent heller leuchtende Sonne das Leben auf der Erde vernichten könnte, würde es nicht überraschen, wenn sich die verbliebene Menschheit hoffnungsvoll im Großraum Linz versammelt. (Florian Scheuba, 5.10.2023)