Nur noch 2,5 Hektar pro Tag – dieses Ziel beim Bodenverbrauch in Österreich ist und bleibt eines: fern. Im Vorjahr dürfte die Flächeninanspruchnahme laut der Umweltorganisation WWF mit zwölf Hektar pro Tag weiterhin zweistellig gewesen sein ("amtliche" Daten gibt es noch nicht), im Gesamtjahr wurden damit neuerlich Flächen in der Größe Eisenstadts von Grünland in Verkehrsflächen, Siedlungen oder Gewerbegebiete umgewandelt. Eine bundesweite Bodenstrategie gibt es weiterhin nicht, die Verhandlungen laufen. Vor dem Sommer hätte es an dieser Front, wie berichtet, fast eine Einigung gegeben, doch den Grünen ging der Text zu wenig weit. Jetzt will man im Herbst die Strategie vorlegen.

Eine Siedlung mit einer neuen Straße.
Pro Tag werden in Österreich etwa zwölf Hektar Boden als Bauland in Anspruch genommen.
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"Anreiz für Verbauung"

Doch ein ebenso wichtiger Hebel, um den Flächenfraß einzudämmen, ist aus Sicht vieler Expertinnen und Experten der Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, über dessen Neuaufstellung für die nächsten fünf Jahre gerade wieder verhandelt wird. Er regelt die Verteilung der Steuereinnahmen.

"Dabei gibt es zwei direkte Einnahmequellen für die Gemeinden", erklärt der Raumplaner Hans Emrich, der bei den Verhandlungen über die Bodenstrategie federführend dabei war. "Einmal die Ertragsanteile aus dem Finanzausgleich, die sich an der Gemeindegröße orientieren." Hier ist die Rechnung relativ einfach: Mehr Einwohnerinnen und Einwohner bedeuten mehr Geld für die Gemeinde. Das verleitet natürlich dazu, neue Siedlungsgebiete auszuweisen. "Die zweite Möglichkeit, wie man sich als Gemeinde aktiv mehr Geld holen kann, ist die Ansiedlung von Betrieben." Diese zahlen an ihrem Standort die Kommunalsteuer direkt an die Gemeinde, sie orientiert sich an der Anzahl der Beschäftigten. "Beides hat in den vergangenen Jahrzehnten den Flächenfraß befeuert" – daran gibt es für den Experten nichts zu rütteln.

Die Gemeindefinanzierung müsse deshalb auf neue Beine gestellt werden. "Bodenverbrauch darf nicht mehr die maßgeblichste Quelle sein, das Gemeindebudget zu erhöhen." Hier müsste man dringend ansetzen, sagt Emrich.

"Bodenschonenden Umgang honorieren"

Er ist mit dieser Ansicht nicht allein. "Die gegenwärtigen Grund- und Kommunalsteuern sind ein Anreiz für Verbauung", weiß auch Wifo-Expertin Margit Schratzenstaller, die im Auftrag der Hagelversicherung die Studie "Steuerpolitische Instrumente zur Verringerung des Bodenverbrauchs in Österreich" verfasst hat und darin einige Vorschläge macht. Eine Reihe bestehender Steuern seien ein "Impulsgeber" für den Bodenverbrauch, "das ist weder ökonomisch noch sozial vernünftig und geht auch zulasten der Umwelt", sagt die Expertin. Eine Strukturreform könne eine Mehrfachdividende bringen: "Indem man die bodenvernichtenden Gemeindesteuern adaptiert, erzielt man positive Umwelteffekte."

Bei der Kommunalsteuer könnte eine verpflichtende Aufteilung der Einnahmen unter mehreren Anrainergemeinden helfen, Anreize für Umwidmungen zu verringern und die Zersiedelung einzudämmen. "Gegenwärtig werden ja bauwütige Gemeinden mit ihren Gewerbeparks etc. über die Kommunal- und Grundsteuer belohnt, dabei sollen aber bodenschonende Gemeinden honoriert werden." Einen ganz ähnlichen Vorschlag hatten auch bereits die Neos gemacht.

40.000 Hektar Leerstand – geschätzt

Schratzenstaller wies in einem Pressegespräch auch auf eine weitere Tatsache hin: Es gibt wahnsinnig viel brachliegende Strukturen in Österreich. Das Umweltbundesamt erhob 2017 die Zahl von 40.000 Hektar, eine grobe Schätzung. "Das entspricht in etwa der Fläche der Stadt Wien", sagt Schratzenstaller. Eine verpflichtende bundesweite Leerstandsabgabe und die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbauförderung und die Verwendung eines Teils der Mittel für Altbausanierung könnten helfen, den Leerstand einzudämmen.

Das Wifo und die Österreichische Hagelversicherung schlagen auch vor, eine österreichweite Leerstandsdatenbank zu schaffen; in manchen Bundesländern gibt es dafür bereits zaghafte Ansätze, "aber niemand weiß wirklich, wie viel in Österreich leer steht", heißt es dazu aus der Hagelversicherung. Laut der Schätzung soll es aber jedenfalls allein rund 13.000 Hektar an Industriebrachen in Österreich geben. Eine bundesweite Datenbank, in der Investoren nach brachliegenden Liegenschaften suchen könnten, wäre hier ein Meilenstein.

Schratzenstaller ist optimistisch, was die Chancen auf Reformen für die Eindämmung des Bodenverbrauchs betrifft. Emrich vermisst aber ein grundsätzliches Bekenntnis dazu, "dass wir ein strukturelles Problem haben". Dass schon in den aktuellen Finanzausgleichsverhandlungen etwas zum Besseren "gedreht" werden kann, glaubt er nicht. "Da gibt es viel zu viele andere Themen." In der Bodenstrategie ist gemäß dem aktuellen Entwurf die "Anpassung finanzieller Instrumente" im Übrigen auch erst für den nächsten Finanzausgleich im Jahr 2030 vorgesehen. Bis dahin solle eine Arbeitsgruppe, aufbauend auf aktuellen Studien wie jener des Wifo, die komplizierte Materie entscheidungsreif aufbereiten.

"Bodenstrategie auf Länderebene"

Dabei sind nach Ansicht Emrichs ganz stark auch die Länder gefordert. Denn dort passiere allgemein noch zu wenig punkto Flächensparen. Genau dort müsste nun aber "der Prozess zur Bodenstrategie fortgeführt werden, denn Raumplanung ist Ländersache". Politik, Wirtschaft und Wohnbau müssten sich in den einzelnen Bundesländern zusammensetzen und "über die Verteilung knapper werdender Ressourcen reden". Dazu müsste aus Emrichs Sicht auch gehören, dass das bundesweite Ziel von nur noch 2,5 Hektar an Bodeninanspruchnahme pro Tag auf die einzelnen Länder heruntergebrochen werde. "Die Verteilungsdiskussion ist auf Länderebene zu führen: Wer braucht noch wie viel an Fläche, wer muss sich zurückhalten? Wie viel braucht die Industrie, und wo kann sie das noch bekommen?" Um unbebautes Bauland mobilisieren zu können, schlägt auch Emrich vor, die Abgaben darauf schrittweise zu erhöhen, "bis es unrentabel ist, dieses zu horten".

Immerhin: Was das Flächenrecycling betrifft, gibt es seit dem Vorjahr die Initiative "Brachflächendialog" des Klimaschutzministeriums, das mittlerweile auch eine entsprechende Förderschiene etabliert hat; Deadline für die nächste Förderrunde ist der 2. Oktober. Und am 27. November wird es den zweiten "Brachflächengipfel" samt Verleihung des Erdreich-Preises geben, für Projekte die besonders bewusst mit Boden umgehen. (Martin Putschögl, 12.9.2023)