Etwas mehr als 6000 Haushalte werden in Österreich im Rahmen der Erhebung EU-SILC dazu befragt, wie sich ihre Einkommenssituation verändert hat und wie sie im Alltag finanziell zurechtkommen. Damit nicht allein der subjektive Eindruck entscheidend ist, werden auch Verwaltungsdaten bei der Auswertung hinzugenommen, etwa über die tatsächliche Einkommenssituation. Die EU-SILC-Befragungen laufen europaweit nach demselben Muster ab und bieten den besten Überblick zur Armutsentwicklung im Land. Einziger Nachteil der Sache: Die Auswertung der Daten erfolgt mit großer Verzögerung.

So gibt es etwa für Österreich Zahlen zur Armutsentwicklung für 2022. Aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die meisten relevanten Kennzahlen zu Einkommen sich auf das Jahr 2021 beziehen. Das liegt daran, dass die Daten über Jahreseinkommen nur mit großer Verzögerung vorliegen. Die Zahlen für die Entwicklung 2022 kommen zum Beispiel erst in den kommenden Wochen bei den Statistikern an.

Ein Bub im Vorschulalter hebt den Deckel eines Topfes und schaut hinein.
Die Zahl der Menschen, die sich elementare Ausgaben nicht leisten können, ist zuletzt gestiegen. Wie belastbar die Zahlen sind, ist aber offen – die beste Erhebung zur Armut geschieht zeitverzögert.
IMAGO/Zoonar

Für die laufende Diskussion darüber, wie und ob die Teuerungskrise die Armut vergrößert hat, ist das natürlich viel zu spät. Die Debatte waren ja nach dem berüchtigten Video von Kanzler Karl Nehammer hochgekocht.

Daher wird aktuell Zahlenmaterial aus anderen Quellen genutzt, um das soziale Lage zu vermessen. So führt etwa die Statistik Austria regelmäßig eine in der Corona-Zeit entwickelte Befragung ("So geht’s uns heute") durch und nutzt das Tool zur Armutsmessung, obwohl dabei keine Verwaltungsdaten verwendet werden und das Sample mit 3000 Haushalten kleiner ist als bei SILC. Die Ergebnisse der Befragung zeigten, dass hochgerechnet zwischen eins und 1,2 Millionen Menschen Schwierigkeiten haben, mit ihrem laufenden Einkommen auszukommen. Der Wert ist seit Beginn der Teuerungskrise relativ stabil. Dass die Auswertung vom subjektiven Meinungsbild dominiert wird, zeigt auch die Tatsache, dass seit mehr als einem Jahr bei der Auswertung gut ein Drittel der Befragten angeben, dass ihr Einkommen im vergangenen Jahr gesunken sei. Angesichts steigender Bruttolöhne und einer niedrigen bis konstanten Arbeitslosigkeit ist klar, dass hier etwas durcheinanderkommt. Die Menschen vermischen Preise und Einkommen. Deutlich gestiegen ist der Anteil der Menschen, die sich grundlegende Ausgaben nicht leisten können, wie etwa jeden zweiten Tag ein warmes Hauptgericht zu essen oder einmal im Jahr auf Urlaub zu fahren.

Vermessung des Wohlstands

Am Mittwoch hat auch die Arbeiterkammer ihren großen Bericht zur Wohlstandsentwicklung veröffentlicht, und auch dort lautet die Botschaft, dass die Probleme zunehmen. Die Arbeiterkammer hat die Entwicklung in fünf Feldern ausgewertet, darunter im Bereich Umwelt, ökonomische Stabilität, Einkommen und Einkommensverteilung, Arbeit sowie Lebensqualität. Ergebnis: Zum ersten Mal, seitdem der Bericht 2018 vorgestellt wurde, gebe es "Rückschritte bei allen fünf Wohlstandszielen".

Die Arbeiterkammer hat selbst keine Erhebungen durchgeführt, sondern stützt sich auf andere Analysen. Demnach ist die Zahl der Menschen, die 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben, deutlich angestiegen: von 6,3 auf 7,4 Prozent der Befragten. Auch die Einkommensungleichheit, gemessen als Unterschied des verfügbaren Einkommens zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel, hat zugelegt. Aus einer Befragung zur Arbeitsplatzzufriedenheit lässt sich herauslesen, dass diese etwas abgenommen hat.

Ein Bub und ein Mädchen beißen in einen Hamburger. 
Die Debatte, ob die Teuerungskrise die Armut vergrößert hat, hat Kanzler Nehammer losgetreten. Er verwies darauf, dass ein Hamburger bei McDonald's billig sei.
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Im Bereich der Lebensqualität, die in den vergangenen Jahren noch positiv oder neutral beurteilt wurde, machten sich laut AK vor allem die hohen Wohnkosten und die steigenden Kosten in anderen Lebensbereichen negativ bemerkbar. "Viele Menschen können durch die massive Teuerung ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr bestreiten", sagte AK-Sozialpolitikleiterin Sybille Pirklbauer zusammenfassend.

Bei genauerer Betrachtung allerdings leidet auch diese Auswertung darunter, dass das beste Datenmaterial schon etwas älter und somit gar nicht geeignet ist, um damit die aktuelle Inflationskrise zu bewerten. So stammt der gemessene Anstieg der Belastung durch die Wohnkosten aus der SILC-Erhebung. Wie erwähnt wird in den neuesten Daten das Jahr 2021 erfasst. Das Gleiche gilt für die Einkommensungleichheit, auch diese Zahlen stammen aus der Zeit vor dem Höhepunkt der aktuellen Inflationskrise. (András Szigetvari, 4.10.2023)