Frau Schach
Ein eher seltenes Bild: eine Frau beim Schachspiel.
IMAGO/Sri Loganathan

Eine Studie der New York University (NYU) hat ergeben, dass Frauen und Mädchen mit Hindernissen konfrontiert werden, wenn es um ihre wahrgenommenen intellektuellen Fähigkeiten geht. Untersucht wurde die geschlechtsspezifische Voreingenommenheit im Schach. Und man ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Eltern, Trainer und Mentoren das Potenzial von Mädchen unterschätzen.

Die Autoren der Studie, zu denen mit Jennifer Shahade auch eine zweifache US-Meisterin im Frauenschach gehört, fanden heraus, dass Trainer und Eltern der Meinung seien, dass "Brillanz" im Schach erforderlich sei und dass dies auch der Grund sei, warum viele weibliche Schützlinge mit dem "Spiel der Könige" eher aufhören würden. Dass Mädchen es mit weniger unterstützenden Umfeldern zu tun hätten oder dass dies ein Grund sei, das Spiel sein zu lassen, glauben weder Trainer noch Eltern.

Frauen unterrepräsentiert

"Während es inspirierend ist zu sehen, wie eine fiktive Frau in einem von Männern dominierten Bereich gewinnt, sind Frauen in der realen Welt im Schach nach wie vor unterrepräsentiert", sagt Sophie Arnold, Hauptautorin des Artikels zur Studie im Journal of Experimental Psychology. Arnold nahm damit Bezug auf das Serienjuwel Das Damengambit. In dieser Netflix-Miniserie wird das Leben des fiktiven Schachwunders Beth Harmon porträtiert und so auch dargestellt, wie sie in einem von Männern dominierten Wettbewerb ständig unterschätzt wird.

"Es ist auffällig, dass selbst Eltern und Trainer, die ein begründetes Interesse am Erfolg von Mädchen haben, Vorurteile gegen sie haben und möglicherweise auch blinde Flecken haben, was die Hindernisse für den Erfolg der Mädchen angeht", sagte Andrei Cimpian, Professor für Psychologie an der NYU.

Shahade, Autorin von Chess Queens und Play like a Girl!, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Mädchen überhaupt daran interessiert seien, an einer Aktivität teilzunehmen, bei der ihnen ihr Potenzial von den eigenen Eltern herabgestuft wird, bevor sie überhaupt begonnen haben.

Im US-Schachverband sind nur 13 Prozent aller Akteure Frauen. Als Gründe für die Geschlechterungleichheit haben sich frühere Studien weitgehend auf etwaige Defizite im Können von Frauen fokussiert und dabei die Rolle erwachsener Führungspersönlichkeiten außer Acht gelassen.

Nach Arnolds Ansicht könnte diese wissenschaftliche Ausrichtung dazu führen, dass die Überrepräsentation von Männern im Schach eher als ein Mädchen- und Frauenproblem denn als ein Problem des Schachsports erscheint. Die große Kluft zwischen den Geschlechtern sei aber mehr auf Voreingenommenheit und Wahrnehmungen von wichtigen Menschen im Leben von Mädchen, eben Eltern und Trainern, zurückzuführen.

300 Eltern und Mentoren befragt

Für die Studie wurden an die 300 Eltern und Mentoren befragt. Auffällig ist, dass 90 Prozent der Mentoren Männer sind, die vom US-Verband rekrutiert wurden. In der zugrunde liegenden Umfrage wurden rund 650 Jugendspielerinnen und -spieler bewertet. Darüber hinaus wurden Eltern befragt, ob sie Brillanz als Eignung voraussetzen würden. Eltern und Trainer gingen davon aus, dass die höchsten Potenzialwerte von Spielerinnen niedriger waren als jene von Spielern und dass Brillanz im Schach eine Voraussetzung für Erfolg ist.

Dass ihre eigenen Annahmen ein Hindernis für den Erfolg der Mädchen im Schach darstellen können, haben sowohl Eltern als auch Trainer nicht erkannt.

Offener Brief

Die Schachwelt wurde seit jeher von Männern beherrscht. Mehr als 100 hochrangige Schachspielerinnen und -trainerinnen haben kürzlich einen offenen Brief über "sexistische und sexuelle Gewalt" in der Schachwelt unterzeichnet und sehen darin einen der Hauptgründe, warum Frauen und Mädchen mit dem Schachspiel aufhören. Zudem können geschlechtsspezifische Vorurteile Mädchen auch davon abhalten, überhaupt mit dem Schachwettkampf zu beginnen, wenn ihre eigenen Eltern und Mentoren nicht davon überzeugt sind. (Thomas Hirner, 6.10.2023)