Wer auf Instagram oder Pinterest nach Inspiration für die eigenen vier Wände sucht, sieht seit einigen Jahren vor allem eines: verdammt viel Beige. Couch, Fernsehtisch, Wollteppich, Vasen, Bilderrahmen, Blumentöpfe: 50 Shades of Beige gehören zu einer durchgestylten Wohnung dazu. Bei Kim Kardashian natürlich auch, der ultimativen Influencerin. Ihr 60-Millionen-Luxushaus in Kalifornien hat sie sich ganz in neutralen Farbtönen eingerichtet. Furchtbar fad, kritisieren Fans auf Instagram gern. Genau der Effekt ist gewünscht: Ihr Haus müsse Zen sein, weil das Leben draußen das Gegenteil sei, erklärt Kardashian.

Helle Naturtöne sind reizarm und wirken beruhigend – sind aber beim Wohnen auch nicht immer ganz praktikabel.
Helle Naturtöne sind reizarm und wirken beruhigend – sind aber beim Wohnen auch nicht immer ganz praktikabel.
Getty Images/CreativaStudio

Ob die 42-Jährige wohnpsychologisch bewandert ist, ist vermutlich eines der sehr wenigen Dinge, die man über Kardashian nicht weiß. Aber sie hat schon recht. Für die Linzer Wohnpsychologin Barbara Perfahl ist der Beige-Boom eine Reaktion auf die vielen Unsicherheiten der heutigen Zeit. "Wenn es schon in der Welt rau und laut zugeht, dann herrscht zumindest daheim Ruhe und Entspannung", sagt sie. Wie bei den Kardashians. Während sich bei Farben wie Rot der Puls beschleunigt, ist Beige eine reizarme Farbe, die uns nicht weiter aufregt. Und noch etwas spricht laut Perfahl für Beige: Es ist eine naturnahe Farbe, kann uns also eine gewisse Nähe zur Natur vorgaukeln, selbst wenn wir inmitten der Stadt sitzen.

Kein Mut zur Farbe

Stefanie Szöke von Live your home hat eigentlich ein Faible für Wandfarben. Sie hat schon Altbauwohnungen mit dunkelblauen und pinken Wänden oder verschnörkelten Tapeten aufgemotzt. Doch das sind die Ausnahmen. "Die meisten bleiben neutral", sagt Szöke. Häufig, weil der Mut zur Farbe fehlt und Möbel eine Investition sind, die gut überlegt sein will. Darum entscheiden sich viele für die sichere Seite. "Man will ja nicht alle drei Jahre ein neues Sofa kaufen." Ganz so extrem wie vor einigen Jahren sei der Trend ihrer Beobachtung nach nicht mehr.

Auch wenn Kim Kardashians Haus es nicht vermuten lässt: Beige muss nicht fad sein. Wenn die Farbe einheitlich sei, sei es umso wichtiger, unterschiedliche Strukturen zu mixen. "Und gut ist immer auch, wenn man andere Akzente hat", sagt Szöke – also zum Beispiel mit schwarzem Metall auf Lampen oder Sesseln. Einen ganz entscheidenden Nachteil hat Beige jedenfalls beim Wohnen: Es ist nicht in jeder Kombination praktikabel. Manchmal müssen Kundinnen und Kunden da auch auf den Boden der Realität zurückgeholt werden, sagt Szöke: "Velours in Cremeweiß ist schön – aber darauf färben ja sogar dunkle Jeans ab." Daher sei das Material als Sofabezug nicht geeignet.

Nudeln mit Tomatensauce

Und auch helle Teppiche unter dem Esstisch werden zwar oft gewünscht, wollen aber gut überlegt sein – vor allem, wenn Kinder im Haus sind, die gern Nudeln mit Tomatensauce essen. "In einem solchen Fall arbeite ich gern mit Outdoor-Teppichen", sagt Szöke. "Die kann man nämlich abkärchern."

Apropos Kinder: Wohnpsychologin Perfahl sieht Kinderzimmer, die ganz in neutralen Tönen gehalten sind, kritisch. Zwar würden Kinder auch reizarme Bereiche brauchen, etwa im Schlafbereich; im Spielbereich dürfen und sollten die Farben aber knallen: "Gerade kleine Kinder brauchen Kontraste." Ein beiges Kinderzimmer sei daher sicher nicht ideal – "aber Kinder arbeiten da eh dagegen", sagt Perfahl. Mit sehr bunten Buntstiften und Wasserfarben oder nicht ganz sauberen Händen an weißen Wänden.

Die Farbgebung zu Hause kann man aber auch für sich nutzen, sagt Wohnpsychologin Perfahl: "Wer ohnehin ein hohes Stresslevel hat, kann sich runterregulieren", sagt sie. "Und wer schwerer in die Gänge kommt, kann Farbe einsetzen, um sich zu aktivieren." Es muss ja nicht gleich Feuerrot sein.

Reduktion hilft

Um ein bisschen Ruhe daheim reinzubringen, kann aber auch schon Wegräumen helfen, sagt Szöke: "Manchmal sind Räume völlig überladen", da helfe es zu reduzieren – oder zumindest zu gruppieren.

Als Inspiration sind die Fotos der perfekten Wohnungen auf Instagram okay – als Wohnrealität sollte man sie aber nicht missverstehen. "Manchmal sieht man erst auf den zweiten Blick, dass eine Tür oder ein Fenster gar nicht mehr aufgehen kann, weil irgendetwas davorsteht", sagt Szöke.

Und in die Kästen sieht man ohnehin nie, in denen sich vielleicht sogar bei Kim Kardashian das knallbunte Chaos stapelt. (Franziska Zoidl, 7.10.2023)