In seinem Büro in der Äußeren Mariahilfer Straße in Wien deutet nichts auf die Existenz eines Ruheraums hin. Kann das sein bei einem Siesta-Berater? "Sie haben ja nicht alles gesehen", meint Mario Filoxenidis und zeigt auf einen Raum mit ausziehbarem Sofa. Alles relaxed also.

Der Berater Mario Filoxenidis auf der Terrasse seines Büros, in einem Liegestuhl liegend, hinter ihm die Skyline des Wienerbergs.
"Powernapping ist eine Maßnahme für Höchstleister, das Angebot richtet sich an Menschen, die nachhaltig höhere Leistungen erbringen wollen": Mario Filoxenidis, Unternehmensberater und Siesta-Experte.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Wie schlafen Fische? Mangels Lidern mit offenen Augen?

Filoxenidis: Manche mit der rechten und dann mit der linken Gehirnhälfte: Delfine etwa, sie sind immer halb wach. Papageienfische wieder bilden einen Kokon, damit sie von Fressfeinden nicht gerochen werden können: Es gibt unterschiedliche Schlaftechniken. Interessant ist, dass jedes Lebewesen schläft.

STANDARD: Ich frage, weil Sie nicht nur Siesta-Berater sind, sondern auch Taucher.

Filoxenidis: Ja, ich bin in einem Tauchklub, der auch für behinderte Menschen Tauchgänge anbietet. Ich bin schon ein paarmal mit einem Querschnittgelähmten getaucht, der sonst im Rollstuhl sitzt.

STANDARD: Wie kamen Sie auf die Idee, Siesta-Berater zu werden?

Filoxenidis: Ich bin Betriebswirt, habe zehn Jahre bei einer Versicherung gearbeitet und wollte mich selbstständig machen. In Griechenland, wo mein Vater herkommt, hatte ich die Idee, mich damit zu beschäftigen, ob und wie die Schlafkultur eines Landes mit der Leistungsfähigkeit zusammenhängt. Auf dem Land etwa hat man eine andere Schlafkultur als in der Stadt, geht mit dem natürlichen Rhythmus, der sagt: mit der Sonne aufstehen, zu Sonnenuntergang schlafen gehen. Und zu Mittag macht man ein Nickerchen. In der heutigen Arbeitswelt heißt es durcharbeiten, man bekomme ja fürs Arbeiten bezahlt und nicht fürs Schlafen. Erst jetzt setzt sich langsam der Trend durch, dass es um Leistung geht nicht ums Dasitzen. Mit diesen Themen beschäftige ich mich seit 2001, wobei es mir um den wirtschaftlichen, nicht den medizinischen oder biologischen Fokus geht.

STANDARD: Beim Biologischen geht es vor allem um den Rhythmus?

Filoxenidis: Ja, alle Lebewesen haben einen biologischen Rhythmus, eine innere Uhr, die zwischen Wach- und Ruhezustand oszilliert. Und dann gibt es noch Rhythmen, die bewirken, dass man zu Mittag müde wird. Da sind die Körperfunktionen zurückgeschaltet und danach geht es wieder aufwärts.

Ein Delfin im Meer.
Dieser Delfin schläft nicht, denn Delfine sind immer halbwach, wie der Siesta-Berater erklärt.
AFP/Carl de Souza

STANDARD: Wie powernappt man richtig? Gibt es da Regeln?

Filoxenidis: Nein, natürlich nicht. Beim Powernappen kann man nichts falsch machen. Wir sind Menschen und individuell. Es gibt Menschen, die spüren überhaupt kein Mittagstief, obwohl sich Blutdruck und Vitalfunktionen mittags verändern. Wozu sollen die dann Powernappen? Andere sind mit zu wenig Nachtschlaf ausgerüstet und kompensieren das mit einem Powernap. Andere sind müde, weil sie mittags zu viel essen und trinken oder weil sie vom Vormittag gestresst sind. Wieder andere haben ein Boreout: Sie sind müde, weil ihnen am Vormittag langweilig war. Das Spektrum ist also weit. Ob dösen, powernappen oder schlafen: Es geht darum, Erschöpfung zu bekämpfen. Manche legen sich ins Bett, manche gehen spazieren, trinken einen Energydrink oder nehmen Medikamente: Aber allen geht es ums Erholen.

STANDARD: Sie sind Unternehmensberater. Die Eucusa, an der Sie beteiligt sind, macht Erhebungen zu Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit. Ihre Siesta-Consulting kam dann also aus Interesse am Nickerchen dazu?

Filoxenidis: Die Siesta-Consulting ist ein Ein-Personen-Unternehmen, ich führe sie mit einem Kollegen, der für seine Masterarbeit über Powernapping bei mir recherchierte. Er beschäftigt sich auch mit Nachhaltigkeit und damit, welche Wirkung Powernapping in dem Konnex hat.

STANDARD: Wie haben Sie Ihren ersten Kunden akquiriert?

Filoxenidis: Ein Großteil meiner Siesta-Beratung findet in Form von Vorträgen statt. Zum allerersten Vortrag wurde ich vom Geschäftsführer des Alumni Clubs der WU eingeladen, weil er das Thema für so skurril hielt. Irgendwann kam ich in einem ORF-Beitrag vor, eines ergab das andere. Und dann traten die Unternehmen an mich heran.

STANDARD: Welche Unternehmen interessieren sich für Powernapping?

Filoxenidis: Unterschiedlich, zum Teil kommen sie aus dem Gesundheitsbereich. In der Krankenpflegeschule des damaligen SMZ Ost in Wien etwa bekamen die Studierenden ein Budget, um einen Ruheraum auszustatten, ich habe sie beraten, und sie haben das perfekt gemacht. Aus der Einweihung haben sie auf meinen Rat hin ein Event gemacht, und ich hielt eine Keynote. Wir haben aber beispielsweise auch eine steirische Bank beraten, die dann eine große Siesta-Zone gebaut hat, und die Buchhaltungsabteilung einer anderen Großbank.

STANDARD: Wie weit geht Ihr Service? Empfehlen Sie den Kunden auch die richtigen Betten, die Schlafkojen und ihre Einrichtung?

Filoxenidis: Nein, ich moderiere die Prozesse, in denen die Leute ihre eigenen Lösungen erarbeiten. Die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja völlig unterschiedlich: Manchen reicht eine Matte und eine Luftmatratze am Boden, andere wollen eine Luxusausrüstung.

Ein Schläfer schläft im Gras, ein Hut deckt sein Gesicht ab
Auch in der Wiese lässt sich gut Siesta halten.
APA/ZB/Sebastian Kahnert

STANDARD: Wie viele Unternehmen haben Sie inzwischen schon beraten?

Filoxenidis: Relativ wenige. Ich schreibe mehr zum Thema, sehe die Siesta-Consulting eher als Vehikel, um Aufmerksamkeit für das Thema Siesta und Powernapping zu erregen. Geld verdiene ich ausnahmslos mit der Unternehmensberatung, in der ich mich mit Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit beschäftige.

STANDARD: Kennen Sie viele Unternehmen, in denen es Schlafkojen oder derlei Annehmlichkeiten gibt?

Filoxenidis: Ja, einige, aber wie die genützt werden, das weiß ich nicht. Ich kenne eine Schweizer Wirtschaftsprüfungskanzlei, die hat einen Ruheraum um zwei Millionen Franken (rund 2,1 Millionen Euro; Anm.) eingerichtet mit an die zehn Schlafkojen, in die man sich wie in einen Kokon reinkuscheln kann, mit einer Kupferpyramide, über die Wasser pritschelt, und guter Musik: Ausrasten wie im Spa. Und dann gibt es einfachere Ruheräume in diversen Spitälern oder im Haus der Barmherzigkeit in Wien: Die sind spartanischer, aber funktional.

STANDARD: Ihr Ziel ist die Enttabuisierung der Siesta oder des guten alten Mittagsschläfchens. Wie kam es überhaupt zu diesem Tabu?

Filoxenidis: Das Tabu entstand in der industriellen Revolution und mit der Erfindung des elektrischen Lichts, das die Arbeit außerhalb der natürlichen Tagesrhythmen erlaubte. Es folgten die Dienstleistungsgesellschaft und letztlich die Globalisierung, die bewirkt, dass wir in verschiedenen Zeitzonen zusammenarbeiten. So kommt es zur Aufweichung der natürlichen und sozialen Rhythmen, nun haben wir eine 24-Stunden-sieben-Tage-Woche-Gesellschaft. Wir fordern Dienstleistungen, die ständig angeboten werden müssen, es gibt viele, die im Schichtdienst oder zu Tagesrandzeiten arbeiten müssen. Wir haben ein Kunterbunt in unseren Schlafkulturen, aber in unserer Gesellschaft gilt: Wenn du im Büro die Augen schließt, bist du ein Owezahrer.

STANDARD: In Japan nicht, dort heißt das Inemuri und ist ganz üblich.

Filoxenidis: Das stimmt.

STANDARD: Auf der anderen Seite gibt es in Japan Karoshi, die völlige Überarbeitung. Ist es also so, dass man sich im Powernapping ein paar Minuten ausrasten darf, damit man bis spät abends Hochleistungen für den Arbeitgeber erbringen kann? Powernapping als Mittel zur Ausbeutung quasi?

Eine Frau, die erschöpft an ihrem Computer sitzt, den Kopf in die Hand gestützt.
Niemand müsse bis zur totalen Erschöpfung arbeiten, sagt der Berater, Powernapping sei eine Maßnahme für "Menschen, die nachhaltig höhere Leistungen erbringen wollen".
Imago/Zoonar/Kasper Ravlo

Filoxenidis: Nein. Niemand muss bis zum Karoshi arbeiten, man entscheidet sich ja freiwillig für ein Leben in Höchstleistung, dazu, Karriere zu machen und entsprechende Arbeitszeiten zu akzeptieren. Powernapping ist eine Maßnahme für Höchstleister, das Angebot richtet sich an Menschen, die nachhaltig höhere Leistungen erbringen wollen. Es soll doch jeder entscheiden, was er macht, wenn er müde ist. Meine Prognose, dass sich die Arbeitswelt so entwickelt, dass die Leistung und nicht die Arbeitszeit zählt, bestätigt sich, nehmen Sie nur die Viertagewoche oder Homeoffice-Regelungen. Auch die Arbeitswelt ist sehr bunt geworden, und warum soll man in dieser bunten Welt nicht auch schlafen dürfen, dann, wenn man es braucht?

STANDARD: Zählt der Powernap zur Arbeitszeit?

Filoxenidis: Arbeitnehmer und Arbeitgebervertreter müssen natürlich ein Regelwerk dafür haben. Wobei bei uns der Fokus meist auf jene wenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelegt wird, die Owezahrer sind. Die sind aber Owezahrer mit und ohne Schlafregelungen, so gesehen würde das Powernapping das Owezahn verkürzen. (lacht; Owezahrer: Dialektausdruck für einen Faulpelz; Anm.)

STANDARD: Werden Sie wegen Ihrer Ideen auch manchmal belächelt?

Filoxenidis: Man kennt mich als seriösen Unternehmensberater. Wenn ich dann mit meiner Siesta-Beratung komme, löst das zunächst immer ein Lächeln aus. Die Leute sagen mit offenem Mund: "Ist ja völlig verrückt" – bis ich ihnen erkläre, worum es geht.

STANDARD: Wie viel Kaffee können sich Arbeitgeber sparen, wenn sie Powernapping ermöglichen?

Filoxenidis: Na, Sie stellen Fragen. Ich weiß es nicht. (Renate Graber, 9.10.2023)