Collage Beamte
Dem Staat gehen die Staatsdiener aus. Wie konnte es soweit kommen?
Collage: Fatih Aydogdu

In der Hohenstaufengasse im ersten Wiener Gemeindebezirk laufen die Fäden zusammen. Nach dem Portierskammerl beim Eingang der ehemaligen Bankzentrale öffnet sich der Raum zu einem prunkvollen Empfangssaal mit glänzendem Boden. Hier residiert Christian Kemperle, quasi Personalchef des Bundes.

"Prunkvoll, aber in die Jahre gekommen", sagt der Sektionschef über das Gebäude – und dasselbe könnte er auch über Österreichs Beamtenschaft sagen. Der Altersschnitt liegt im Staatsdienst bei rund 45 Jahren. Das Beamtenministerium unter Werner Kogler (Grüne) prognostiziert, dass im kommenden Jahrzehnt fast die Hälfte der 135.000 Bundesbediensteten in den Ruhestand treten wird. Auf Landes- und Gemeindeebene ist die Situation mit fast 230.000 Beschäftigten ähnlich. Dabei herrscht jetzt schon allerorts Mangel – bei Lehrkräften, in der Pflege, bei ärztlichem Fachpersonal. "Eine riesige Herausforderung", räumt Kemperle ein. Wie will und kann der Staat die Lücken füllen – und wie kam es überhaupt so weit?

Die Diagnose

Die demografische Entwicklung ist freilich keine Überraschung. Alle zehn bis 15 Jahre erstellt das Beamtenministerium Prognosen über die Entwicklung des Personalstands. "Derzeit sind wir mitten in der Pensionierungswelle", sagt Kemperle. In der Lehrerschaft etwa wird heuer und nächstes Jahr der Höhepunkt erreicht. In anderen Bereichen flacht die Kurve erst 2026 allmählich ab. Allein beim Lehrpersonal ist das keine Kleinigkeit: Unterrichtende an Volks-, Mittel- und Berufsschulen zählen mit fast 70.000 Vollzeitstellen zu einer der größten Gruppen im öffentlichen Dienst. Strategisches Denken ließ man in der Vergangenheit oft vermissen. Allzu gut ist noch in Erinnerung, dass vor Jahren die damalige Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) von einer Lehrerausbildung abgeraten hat. Es ist ein Teil der Erklärung, warum es knirscht.

Polizisten bei einer Kontrolle eines Lastwagens.
Nicht schlecht bezahlt, aber stressig und nicht gerade familienfreundlich: Die Polizei bereitet die größten Probleme, obwohl die Zahl der Planstellen in der Vergangenheit aufgestockt worden ist.
APA/EXPA/LUKAS HUTER

Die mit Abstand größten Probleme bereitet die Polizei – obwohl die Zahl der Stellen so hoch ist wie noch nie. 2015 gab es 27.900 Bedienstete, im Vorjahr waren es 32.000. Familienunfreundliche Arbeitszeiten, stressiger Job – laut Kemperle sind dort nicht nur die Pensionierungen ein Problem, sondern auch die wenig attraktive Umgebung des Arbeitsplatzes. Ein Alleinstellungsmerkmal in der Arbeitswelt ist das freilich nicht. Das ist auch Kemperle klar. "Auch Handwerkerinnen und Handwerker zu finden ist schwer, der Fachkräftemangel trifft uns genauso wie die Privatwirtschaft", sagt er. An diesem Punkt hakt Wifo-Arbeitsmarktforscher Helmut Mahringer ein: "In einem Markt, wo das Angebot enger wird, muss sich die Nachfrageseite bewegen." Das treffe eben auch die öffentliche Hand.

Dort, wo man mit vielen Unternehmen in einem Teich fischt, geht es auch darum, die Leute zu halten. Vor allem in schnell wachsenden Bereichen wie der Pflege. Dort wird der Bedarf an zusätzlichen Kräften bis zum Jahr 2030 auf rund 70.000 geschätzt – auch das aufgrund des demografischen Wandels. Die Menschen werden älter, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Manches gereicht dem öffentlichen Dienst laut Mahringer sogar zum Vorteil gegenüber der Privatwirtschaft: Man rekrutiere viele Uni-Absolventen. Da sei auch die Konkurrenz mit Unternehmen nicht so groß.

Die Ursache

Strukturelle Änderungen am Arbeitsmarkt – viele gehen in Pension, weniger Jüngere kommen nach – sind das eine. Das andere ist die spezifische Situation bei den Beamten. Mit 45 Jahren ist der Altersschnitt im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch (siehe Grafik). Zwar wächst die Bevölkerung, das Wachstum geht aber weniger auf Geburten zurück als auf Zuwanderung.

Für den öffentlichen Dienst ist das ein Problem: Vor allem bei der Polizei und beim Bundesheer dürfen nur Personen mit österreichischem Pass arbeiten. Kemperle sieht in den Aufnahmestopps der Vergangenheit einen weiteren Grund für den hohen Altersschnitt: "Wir hatten etwa Sparmaßnahmen in den Jahren 2011, 2012 und 2014. Das wirkt sich jetzt aus."

Schlanker Staat auf dem Prüfstand

Wurde da auf dem Weg zum schlanken Staat übers Ziel hinausgeschossen? Nein, meint Thomas Wieser, Proponent der Initiative Bessereverwaltung.at. Der Ökonom hat guten Einblick in die Untiefen des Staates, war er doch lange Sektionschef im Finanzministerium. "Schlanken Staat haben wir ja nur in wenigen Teilbereichen, es gibt eine ganze Reihe von Bereichen in Ländern und größeren Städten oder Gemeinden, die wahrlich nicht knapp dotiert sind", urteilt Wieser. Einerseits stark unterbesetzte, andererseits durchaus überbesetzte Bereiche, das sei die Realität. Tatsächlich liegt die Größe des staatlichen Sektors gemessen an der Zahl der Bediensteten in Österreich unter dem Schnitt der OECD-Länder. In Norwegen ist er fast doppelt so groß, in der Schweiz und in Deutschland aber erheblich kleiner.

Für Herbert Bayer zählt die Finanzverwaltung nicht zu den überbesetzten Sektoren. "Wir haben eine hohe Pensionierungsquote und viele junge Mitarbeiter. Die 40-Jährigen fehlen uns", sagt der Vorsitzende der GÖD-Finanzgewerkschaft. Im Mai wurden 500 Stellen ausgeschrieben – laut Bayer gibt es auch wieder mehr Bewerbungen. In unsicheren Zeiten seien sichere Jobs gefragt. Die Probleme blieben aber. "Auch die Fluktuation ist gestiegen." Bayer hofft, dass heuer im Besoldungsrecht bei den Vertragsbediensteten noch nachgebessert wird.

Bewegt hat sich schon etwas. Mit 1. Jänner ist ein Gesetzespaket in Kraft getreten, das den öffentlichen Dienst für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger etwa bei Polizei und Justiz attraktivieren soll. "Wir haben jetzt auch ein großes Lehrlingspaket gestartet", sagt Kemperle. "Wir passen die Gehälter an jene der Privatwirtschaft an." Weil es dafür gesetzliche Regelungen brauche, sei man aber immer etwas später dran als der private Arbeitsmarkt.

Christian Kemperle
Christian Kemperle kennt die Baustellen im öffentlichen Dienst. Es sind viele.
© Christian Fischer

Die Therapie

Mehr Geld könnte ein Teil der Lösung sein – in manchen Fällen. Gut ausgebildete Finanzbeamte, etwa aus der Konzernprüfung, werden gern einmal von Konzernen abgeworben, sagt Gewerkschafter Bayer. Laut Personalbericht des Beamtenministeriums bezahlt die Privatwirtschaft höhere Spitzengehälter. Profitieren würden vor allem Männer. Dafür verdienen Frauen im öffentlichen Dienst deutlich mehr als Angestellte in der Privatwirtschaft.

Wifo-Forscher Mahringer verweist auf andere Therapien: Unternehmen versuchen vermehrt, nicht nur Junge zu rekrutieren, sondern auch weiterzubilden und umzuschulen. Der Weg funktioniert auch in die umgekehrte Richtung: Thomas E. hat vor Jahren den Sprung von der Privatwirtschaft in die Pädagogik gewagt. Vom Nachrichtentechniker in Leitungsfunktion hat er umgesattelt und dann in einer Mittelschule unterrichtet. Die Gehaltseinbußen waren nicht gering, aber: "Ich wollte etwas ganz anderes machen, noch etwas Sinnvolles."

Von Quereinstieg ohne Lehramtsstudium im Speziellen oder Homeoffice und flexibler Arbeitszeit im Allgemeinen war damals noch keine Rede, auch nicht im Verwaltungsdienst. Da sei man mittlerweile sehr flexibel, sagt Kemperle: "Wir können Homeofficetage von null bis fünf anbieten. Das Dienstrecht ist da sehr flexibel." Auch eine Viertagewoche sei möglich, aber nicht bei vollem Lohnausgleich. Verantwortlich sind die einzelnen Dienststellen. "Es kommt auch vor, dass wir an diese herantreten und ihnen sagen, dass sie flexibler werden sollen", sagt Kemperle. Auch der Staat hat also erkannt, dass er sich anstrengen muss – spät, aber doch.

Die Kritik

Dass die aktuellen Maßnahmen reichen werden, um die Personalengpässe zu beseitigen, halten die Neos für unwahrscheinlich. Sie kritisieren in einem Policy-Paper, dass es nach wie vor an langfristiger Planung mangle. Wo bleibt die strategische Steuerung, fragt auch Ökonom Wieser. Er vermisst Führungsqualität. Mit hierarchischen Modellen wie vor 30 Jahren lasse sich heutzutage keine Organisation qualitativ managen. Das sei auch ein Grund, dass sich die öffentliche Hand schwertue, Mitarbeiter zu halten. "Wenn man die Misere mit den Management-Dysfunktionalitäten auch aufgrund der aufgeblähten Kabinette ansieht, so ist es wenig verwunderlich, wenn die Personalfluktuation steigt", sagt Wieser. Das führt zurück zum Kernproblem: Zu viele gehen, zu wenige kommen.

Der Anteil der Älteren in der Verwaltung ist in Österreich hoch, zeigt eine Grafik.

Man habe es auch verabsäumt, für Arbeitskräfte aus dem Ausland attraktiv zu werden, schreiben die Neos. "Auch wo die Staatsbürgerschaft nicht vorausgesetzt wird, tut sich die Republik schwer damit, aktiv und offen Karrierechancen für EU-Bürger:innen und Drittstaatsangehörige zu bewerben." Die Diskussion beginnt gerade, ob EU-Bürger auch zu Polizei und Bundesheer gehen können. "Aus meiner Sicht sollte man das andenken", sagt Sektionsschef Kemperle.

Hilfe durch Digitalisierung

Kemperle sieht die nächsten Jahre auch als Chance, den öffentlichen Dienst umzustrukturieren. "Wir versuchen, Routinearbeiten durch die Digitalisierung zu ersetzen und die frei werdenden Arbeitsplätze in andere Bereiche umzuschichten." Insgesamt wird der Personalstand aber nicht sinken, im Gegenteil: Der Bundesdienst wird weiter wachsen.

Umsteiger Thomas E. ist mittlerweile schon in Pension, er ist sogar länger geblieben, als es hätte sein müssen. Würde er den Schritt heute noch einmal gehen? "Auf jeden Fall, ich habe es nie bereut."

Personalchef Kemperle wird wohl aus der Pension beobachten, ob das Kunststück der Modernisierung gelingt. Sein Regelpensionsalter erreicht er in drei Jahren. (Regina Bruckner, Jakob Pfügl, 8.10.2023)