Es ist ein ganz normales Hotel, das Magdas im dritten Wiener Gemeindebezirk, mit einer Besonderheit: Das Haus im Eigentum der Caritas der Erzdiözese Wien lädt speziell Menschen mit Fluchthintergrund dazu ein, hier eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten. Zu Beginn des Gesprächs steht aber ein ganz anderes Thema als Geflüchtete oder der Arbeitsmarkt im Fokus.

STANDARD: Ein Video, in dem Kanzler Karl Nehammer kritisiert, dass nicht mehr Frauen Vollzeit arbeiten, macht die Runde. Was dachten Sie, als Sie es gesehen haben?

Sonnleitner: Bei uns im Magdas sehe ich in der Praxis, wie Frauen sich abstrudeln, um alles unter einen Hut zu bringen. Wir haben viele Frauen, die Vollzeit arbeiten, aber manchmal unter größten Herausforderungen. Ich spreche da von Olha zum Beispiel: Sie ist aus der Ukraine geflüchtet, lebt seit zwei Jahren mit ihrem Kleinkind alleine in Wien. Sie schafft es, 40 Stunden zu arbeiten, aber unter extremsten Anstrengungen, damit sich das alles mit der Betreuung ausgeht. Es ist daher ein wenig zynisch zu behaupten, dass Menschen nicht mehr arbeiten wollen, das wertet die Lebensrealität vieler ab. Im Video war die Rede von "wir Leistungsträger". Es tut mir im Herzen weh, wenn ich sehe, wie viele Leute bei uns hart arbeiten, in der Küche, im Housekeeping. Ich glaube, das sind die Leistungsträger. Für sie würde ich mir ein bisschen mehr Wertschätzung wünschen.

Kocher: Es ist wichtig zu differenzieren. Die Politik muss so gestalten, dass Menschen, die mehr arbeiten wollen, es aber derzeit nicht können, die Möglichkeit dazu bekommen. Etwa durch den Ausbau der Kinderbetreuung. Dass es nicht nur immer mehr Frauen, sondern auch immer mehr Männer gibt, die Teilzeit arbeiten, weil sie sich das leisten können oder weil das einfach eine neue gesellschaftliche Entwicklung ist, darüber müssen wir aber diskutieren können.

STANDARD: Was ist daran kritisch?

Kocher: Die Zunahme der Teilzeit führt dazu, dass wir weniger Beiträge zum Sozialsystem haben und damit weniger Möglichkeiten, öffentliche Leistungen bereitzustellen. Bei Frauen ist mir bewusst, dass der Großteil Betreuungspflichten hat. Die Nichterwerbsarbeit wird mehr von Frauen als von Männern übernommen. Aber wir wissen auch, dass bei den 1,2 Millionen Teilzeitbeschäftigten von beiden Geschlechtern bei etwa einem Drittel kein klarer Grund erkennbar ist, warum nicht Vollzeit gearbeitet wird. Wenn wir einen Fachkräftemangel haben, brauchen wir eine Diskussion darüber, wie wir Vollzeit möglich und attraktiv machen können.

Sonnleitner: Ich hätte ja eine Vision. Die Familienarbeitszeit ist oft 60 Stunden. Der Mann arbeitet 40 Stunden, die Frau 20 Stunden. Warum nicht beide 30 Stunden? Ich weiß, es gibt viele Gründe, die dagegen sprechen, Männer verdienen mehr. Aber in diese Richtung sollte es gehen.

Kocher: Das ist jetzt schon möglich.

Sonnleitner: Wird aber kaum getan.

Magdas-Chefin Sonnleitner. 2022 eröffnete das neue Magdas-Hotel in Wien mit seinen 85 Zimmern und aktuell 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Heribert Corn

STANDARD: Frauen sind oft in Niedriglohnbranchen konzentriert. Selbst wenn Stunden aufgestockt werden, bleibt deshalb wenig übrig. Kann da die Politik überhaupt etwas tun?

Kocher: Es gibt die Erwartungshaltung, dass in allen Bereichen, wo es noch besonders problematische Verhältnisse gibt, was die Entlohnung betrifft und Geschlechterunterschiede, dass da die Politik eingreifen kann. In der Praxis ist das gar nicht so einfach. Die Löhne verhandeln Gewerkschaft und Arbeitgebervertretung. Es gibt gesetzliche Regeln, die Diskriminierung verbieten, das wird auch umgesetzt. Auf die Jobwahl der Menschen Einfluss zu nehmen ist viel schwieriger, das passiert ja viel früher. Es gibt jede Menge staatliche Programme, um junge Mädchen für Bereiche zu interessieren, in denen später auch höhere Löhne bezahlt werden. Das klappt nur bedingt. Ich weiß es aus dem technischen Bereich, den Naturwissenschaften, der Informatik. In Relation interessieren sich immer noch sehr viele Männer dafür und zu wenige Frauen. Das zu ändern ist nicht leicht, da müssen wir sicher noch besser werden.

STANDARD: Was kann die Politik sonst noch tun?

Kocher: Der entscheidende Faktor ist der Ausbau der Kinderbetreuung, weshalb ich über die klare Ansage der Regierung in diese Richtung froh bin. Fehlende Betreuung ist ein Hauptgrund dafür, dass viele Frauen Teilzeit arbeiten. Wobei, das Problem in Österreich ist gar nicht Teilzeit an sich, sondern dass selbst bei Teilzeit die Stundenanzahl gering ist. Wir haben viele Mütter, die wegen fehlender Kinderbetreuung derzeit nur 16 oder 20 Stunden arbeiten können.

Sonnleitner: Und es wäre gut, wenn die Frauen relativ früh wieder einsteigen. Wenn man lange weg ist, dann wird der Wiedereinstieg schwierig. Wichtig wäre auch, das Gesellschaftsklima zu ändern: Wenn ein Kind bis 16 Uhr im Kindergarten bleibt, heißt es derzeit noch häufig: Was, du lässt dein Kind so lange dort? Da bist du kein guter Vater, keine gute Mutter. In anderen Ländern ist die Debatte schon weiter.

STANDARD: Sie haben vorher gemeint, dass es darum gehen muss, Frauen stärker in technische Berufe zu bringen, weil dort mehr bezahlt wird. Heißt das, Herr Minister, Sie warnen davor, in den Tourismus zu gehen? Dort wird ja eher schlecht bezahlt im Vergleich. 1.800 Euro sind der Mindestlohn in vielen Bereichen.

Kocher: Nein, natürlich nicht. Man muss sich immer die Istlöhne anschauen, die sind oft besser als die Mindestlöhne laut Kollektivvertrag. Es gibt natürlich Tätigkeiten, wo nur geringe Qualifikation erfordert wird, und damit sind auch die Löhne gering. Aber Köchinnen und Köche etwa verdienen mittlerweile in besseren Hotels, nicht Spitzenhotels, im Verhältnis zu anderen Berufen oder Branchen wirklich gut. Im Tourismus ist es besonders schwer, Arbeitszeiten und Familie zu vereinbaren, weshalb die Unternehmen gefordert sind, Kinderbetreuung anzubieten. Der Ausbau muss also nicht nur im öffentlichen Bereich stattfinden, gerade für die Randzeiten braucht es mehr private Angebote.

Sonnleitner: Der Tourismus ist ein super Bereich, in den auch Menschen mit niedriger Qualifikation einsteigen können. Es ist ein wunderschöner Beruf, du hast mit Menschen zu tun, mit vielen Sprachen. Eine Fachkraft kann auch gut verdienen. In der Küche sind es bei uns zwischen 2.400 und 3.700 Euro. Aber natürlich: Oft wird der Mindestlohn bezahlt.

STANDARD: Wie leicht ist es für Sie, Personal zu finden?

Sonnleitner: Wir tun uns leicht. Weil wir auf Menschen hinschauen, die die anderen vergessen oder gar nicht anschauen.

STANDARD: Geflüchtete.

Sonnleitner: Ja, deswegen gibt es uns ja. Deswegen lade ich die Branche ein, genauer auf die Leute zu schauen, die schon im Land sind. Entscheiden wir schnell, wer bleiben darf, und investieren wir viel Energie und Geld in diese Menschen, damit sie schnell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Meine Erkenntnis ist schon, dass die Leute arbeiten wollen, dass sie für sich selber sorgen möchten, dass sie niemandem auf der Tasche liegen wollen. Das müssen wir nur ermöglichen.

STANDARD: Wie?

Sonnleitner: Es gab früher das freiwillige Integrationsjahr (2018 wurde es von Türkis-Blau abgeschafft, Anm.). Da konnten Asylberechtigte Erfahrung im Unternehmen sammeln, gleichzeitig noch Mindestsicherung bekommen. Das hat Unternehmen Spielraum gegeben, die Personen einzusetzen und auszubilden. 2015 hat sich unser jetziger Rezeptionsleiter, der damals aus Syrien kam, beworben, seine Deutschkenntnisse waren noch nicht gut. Im Rahmen des Integrationsjahrs hat er ein Jahr bei uns in allen Abteilungen mitgearbeitet. Dann sprach er gut Deutsch, stieg in die verkürzte Lehre ein, machte sie in eineinhalb Jahren fertig. Zwei Jahre später leitete er die Rezeption. Seine Frau hatte die Chance nicht, ist lange in Deutschkursen gesessen. Bis sie einen Job hatte, dauerte es doppelt so lange wie bei ihm. Das ist für mich ein schönes Beispiel: Schnell in die Leute investieren, dann kostet es insgesamt weniger.

Arbeitsminister Martin Kocher will neue Programme für die Integration Geflüchteter.
Heribert Corn

Kocher: Ich bin zu 100 Prozent der gleichen Meinung. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir gemeinsam mit dem AMS ein Intensivprogramm für die Integration in den Arbeitsmarkt auf die Beine stellen. Wenn klar ist, die Menschen dürfen bleiben, dann muss es ganz klar sowohl Qualifizierungsmaßnahmen, Deutschkurse und Integration in den Arbeitsmarkt möglichst rasch und parallel geben. Es gibt zum Teil Pilotprojekte, die müssen wir besser ausrollen. Aber ein solches Intensivprogramm ist, glaube ich, die Zukunft.

STANDARD: Aktuell laufen Budgetverhandlungen. AMS-Chef Johannes Kopf fordert bis zu 100 Millionen Euro zusätzlich für 2024 für die Integration Geflüchteter. Unterstützen Sie ihn?

Kocher: Ich werde mich nie über Budgetzahlen vor der Budgetrede des Finanzministers äußern. Aber es ist klar, dass das ein Punkt ist, der uns wichtig ist, was die Integration betrifft, und wir werden uns dafür einsetzen.

STANDARD: Aber Sie machen weiter eine Unterscheidung: Menschen, die kein Asyl haben, sollen weiter keine Chance haben, hier zu arbeiten?

Kocher: Wir haben die Möglichkeit, dass Menschen, die als Asylwerber hier sind, ab dem vierten Monat arbeiten können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist gegeben. Da gibt es dann eine Arbeitsmarktprüfung ...

Sonnleitner: So ein Zugang ist ganz schwer zu bekommen ...

Kocher: Tatsächlich ist es in Wien schwer, und ich finde das richtig. Wir haben derzeit 37.000 Asylberechtigte auf Arbeitssuche, zum Großteil in Wien. Diese Leute müssen wir zuerst in den Arbeitsmarkt bringen. In anderen Bundesländern, wo es Arbeitslosenquoten unter drei Prozent im Sommer gibt, ist es sicher einfacher, Asylwerber anzustellen.

Sonnleitner: Man könnte aber auch noch einen Tick großzügiger denken. Ich weiß, das schreckt dann das rechte Lager auf. Aber die Leute sind ja da, die sind in Österreich. Man könnte schauen: Was gibt es denn da für Potenziale, was brauchen wir? Das wäre ein guter Test: Wenn sich jemand schon in der Lehre bewährt, zu sagen: Na gut, dann soll er Österreich auch zur Verfügung stehen können. Ich finde, da muss man ein bisschen offener denken. Wir tun das nicht, suchen aber gleichzeitig auf den Philippinen nach Pflegekräften.

Kocher: Ich verstehe den Ansatz. In Einzelfällen ist es auch für mich schwer verständlich, warum die Menschen nicht bleiben können. Aber ich will, dass die Menschen schon mit einem Aufenthaltstitel nach Österreich kommen, deshalb haben wir auch die Rot-Weiß-Rot-Karte reformiert. Mittlerweile ist es so, dass jemand mit guter Ausbildung in einem Mangelberuf diese Karte auch erhält. Wenn wir das für alle anbieten, die da sind, gibt es wieder den Anreiz, über Schlepper und gefährliche Routen nach Österreich zu kommen, weil man weiß, man kann im Land bleiben, wenn man nur ankommt. Das halte ich für falsch. Man muss sich die erfolgreichen Einwanderungsländer anschauen, Australien, Vereinigtes Königreich, die USA. Die unterscheiden sehr strikt zwischen Asylbereich und Arbeitsmigration.

Sonnleitner: Aber dann muss man die Zugänge zu Österreich einfach noch ein Stück besser machen. Es gibt die Rot-Weiß-Rot-Karte für Besserqualifizierte. Aber wir brauchen ja auch Leute, die noch nicht gut qualifiziert sind, und die fangen wir noch nicht ab. Da spreche ich jetzt mit dem falschen Minister – aber zum Beispiel Resettlement-Programme zu machen, wo Geld investiert wird, um Leute schon im Ausland auszubilden und dann zu uns zu holen, fehlen. Das wäre schon eine tolle Sache.

STANDARD: In Deutschland warnen führende Ökonomen, dass rechte Parteien mit ihrer Antimigrationspolitik den Wohlstand gefährden. Ist das auch in Österreich so?

Die Chefin des Magdas-Hotels in Wien, Gabriela Sonnleitner, diskutiert mit Arbeitsminister Martin Kocher über Teilzeit und Zuwanderung.
Die Chefin des Magdas-Hotels in Wien, Gabriela Sonnleitner, diskutiert mit Arbeitsminister Martin Kocher über Teilzeit und Zuwanderung.
Heribert Corn

Kocher: Also, wir brauchen, und ich denke, das bezweifelt niemand außer vielleicht die FPÖ, ein gewisses Maß an Zuwanderung, um die Lücke am Arbeitsmarkt zu schließen. Ich finde, alles, was jetzt von sehr rechten und rechtspopulistischen Parteien gemacht wird, um diese Vorstellung zu unterminieren, dass wir qualifizierten Zuzug brauchen, ist gefährlich für den Wohlstand in unserem Land. Wir hatten diese Zuwanderung aber auch bisher schon, und es hat gut funktioniert. Wir sind ein Land, wo die Integration entgegen der Wahrnehmung von vielen eigentlich gar nicht schlecht läuft. Zumal wir in den vergangenen Jahren große Herausforderungen hatten: Es sind viele Asylberechtigte auf den Arbeitsmarkt gekommen. Viele wurden gut integriert. Ich bin also eigentlich recht optimistisch, dass wir viel weiter sind, was die Integration betrifft, als wir selbst glauben. (András Szigetvari, 2.10.2023)