Narges Mohammadi
Die 51-jährige Narges Mohammadi wurde 1998 zum ersten Mal verhaftet.
AFP/NARGES MOHAMMADI FOUNDATION/

Der Friedensnobelpreis für eine im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftierte Frau: Es packt einen die blanke Angst, dass sich die Schergen der Islamischen Republik an Narges Mohammadi für die internationale Bloßstellung rächen. Mehr als einmal hat die jetzt 51-jährige iranische Menschenrechtsaktivistin öffentlich gemacht, welche Arten von Folter und sexuellen Misshandlungen missliebige Frauen wie sie in der Haft erdulden müssen. Man weiß, was ihr droht. Andererseits ist die internationale Aufmerksamkeit, die sie und ihre Leidensgenossinnen bekommen, viel wert. Ihr werdet gesehen und gehört, das ist die Botschaft des Nobelpreiskomitees in Oslo.

Und das ist ein Nebeneffekt des von den Frauen angeführten Aufstands, der Mitte September 2022 nach dem Tod der jungen Kurdin Mahsa "Jina" Amini geografisch und sozial breitgestreut den Iran erfasst hatte. Gerade jetzt wieder gibt es einen ähnlichen Fall, Armita Garawand, ein junges lebensfrohes Mädchen aus Teheran, das nach einer Konfrontation mit der Sittenpolizei in der U-Bahn nun in einem Krankenhaus im Koma liegt. Wieder ging es um die Kopftuchpflicht, die die Behörden nun noch strenger durchzusetzen versuchen als vorher. 44 Jahre nach der von den Islamisten usurpierten Revolution von 1979 misst das Regime an einem Stück Stoff den islamischen Charakter des Landes.

Enttäuschte Hoffnungen

Woher Narges Mohammadi, deren Gesundheit schon seit langem schwer angeschlagen ist, die Kraft nimmt, sich immer wieder aufzulehnen, ist ihr Geheimnis. Sie ist kein Kind der "feministischen Revolution" von 2022, wie sie von Aktivistinnen und Aktivisten oft genannt wird. Es ist eher umgekehrt. Sie ist eine Inspiration für den langen zähen Widerstand. Ihr Kampf dauert seit einem Vierteljahrhundert an. Selbstverständlich hätte sie sich irgendwann einmal ins Ausland absetzen und von dort weiterkämpfen können, wie ihr Mann oder wie ihre Vorgängerin als iranische Friedensnobelpreisträgerin, die Juristin Shirin Ebadi.

Das Leben von Narges Mohammadi, einer Physikerin und Ingenieurin, ist eng mit der Hoffnung verknüpft, die viele Iraner und Iranerinnen Ende der 1990er-Jahre, also zwanzig Jahre nach der Revolution, erfasste. 1997 war Mohammed Khatami zum Präsidenten gewählt worden, der als – immer innerhalb des Systems bleibender – reformfreudiger Intellektueller den Hardlinern ein Dorn im Auge war. Schon früh in Khatamis erster Amtszeit reagierten sie brutal auf alles, was den Wunsch nach Veränderungen in der Gesellschaft anzeigte. Das betraf vor allem die Universitäten. Auch Narges Mohammadi entwickelte ihren Aktivismus in ihren Tagen als Studentin. 1998 wurde sie das erste Mal verhaftet. 1999 wurden Proteste von Studierenden an den Hochschulen niedergeknüppelt. Es war das erste große gesellschaftliche Aufstehen in der Islamischen Republik, andere sollten folgen.

Narges Mohammadi ging den eingeschlagenen Weg immer weiter, ab 2003 auch an der Seite von Shirin Ebadi in der von ihr gegründeten Menschenrechtsorganisation. Da war es auch schon klar, dass der Ansatz Khatamis, das islamische System zu reformieren und dadurch zu erhalten, nicht mehr im Einklang zu bringen war mit der Sehnsucht vieler Menschen nach Demokratie und Freiheit von den durch die Religion ausgeübten Zwängen.

Auf Khatami folgte als Präsident Mahmud Ahmadinejad, aus der Sicht der Konservativen ein Aufsässiger anderer Art, aber, obwohl der erste (und bisher letzte) Nichtmullah im Präsidentenamt, bestimmt kein Hoffnungsträger für die junge Generation. Die Jungen identifizierten sich längst nicht mehr mit den Zielen einer antiwestlichen Revolution (eines Teils!) ihrer Eltern. 2013 keimte wieder Hoffnung auf: Hassan Rohani, zwar ein Regimeinsider, aber immerhin ein Pragmatiker, machte Wahlkampf mit dem Symbol eines Schlüssels. Aufgesperrt wurde damit nichts.

Der endgültige Bruch

2014 folgte vonseiten Narges Mohammadis, die erst seit kurzem wieder in Freiheit war, der letzte Bruch: Ihre Rede am Grab des in Haft gewaltsam zu Tode gekommenen Bloggers Sattar Beheshti wurde zu einer großen Anklage an das System. Zwar war sie 2020 noch einmal auf freiem Fuß, aber da liefen schon die nächsten Verfahren gegen sie.

Mohammadi war damit endgültig zu dem geworden, als das die regimetreuen Medien sie nach der Nobelpreisverkündigung sofort identifizierten: ein Sicherheitsrisiko. Der "westliche" Preis ist in diesem Denken damit nichts anderes als eine Verschwörung gegen die Werte der Islamischen Revolution – wie ja demnach auch der Aufstand von 2022 von den Feinden des Iran orchestriert wurde. Dabei beweist niemand klarer als Narges Mohammadi, dass der Widerstand direkt aus der Gesellschaft kommt. (Gudrun Harrer, 6.10.2023)