Es gebe für Österreich viele Möglichkeiten, den Frauen in Afghanistan zu helfen, schreibt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, in ihrem Gastkommentar. Die Regierung bleibe aber leider untätig.

Heute ist Weltfrauentag. Es ist ein Tag des Respekts und der Wertschätzung für Frauen und Mädchen weltweit – und auch des Kampfs für die Rechte von jenen, die in ihrem Frau-Sein unterdrückt, diskriminiert und um ihre Würde gebracht werden. Unschwer denkt man dabei an die Millionen Frauen in Afghanistan und im Iran.

Frauen werden in Afghanistan mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Auch Studieren ist verboten.
Foto: AFP / Wakil Kohsar

Es ist aber – leider – auch ein Tag der vielen Worte, oder anders gesagt: der großen Lippenbekenntnisse vonseiten der Politik. Zur prekären menschenrechtlichen Lage von Frauen und Mädchen in Afghanistan etwa stammen sie aus dem Innenministerium. Man "beobachte die Lage dort und nehme die Besorgnis von Menschenrechtsorganisationen sehr ernst". Viel mehr könne man nicht tun beziehungsweise hätte man ohnehin schon mehr getan als andere. So lautete jüngst die Reaktion auf eine Forderung von Amnesty International, gemeinsam mit hunderten Frauen aus Österreichs Wirtschaft, Politik, Kultur und Medien, sich endlich für die schutzbedürftigsten Menschen in Afghanistan einzusetzen und vor allem Frauen und Mädchen die Möglichkeit zu geben, in Österreich Sicherheit zu finden.

"Wie sieht es aber nun mit den "Taten" Österreichs aus? Woran lassen sie sich am heutigen Weltfrauentag messen? Am Nichtstun."

Wenn wir bei Lippenbekenntnissen im Zusammenhang mit Afghanistan bleiben, dann ist wohl das bekannteste jenes von Außenminister Alexander Schallenberg im August 2021, als die Taliban dort die Macht übernahmen: "Wir werden die Taliban an ihren Taten messen." Seither geht Afghanistan unaufhaltsam in die falsche Richtung, die Menschenrechtslage verschlechtert sich gerade in jüngster Zeit rasant und die erbarmungslosen Menschenrechtsverstöße durch die Taliban gehen Tag für Tag weiter.

Menschen, die sich öffentlich gegen diese Missstände aussprechen, werden willkürlich inhaftiert. Besonders betroffen sind – man kann regelmäßig darüber lesen – Frauen und Mädchen: Sie sind mittlerweile praktisch aus jedem Bereich des öffentlichen Lebens ausgeschlossen, dürfen nicht mehr studieren, großteils keinen Beruf ausüben, ja nicht einmal mehr allein das Haus verlassen. Sie "sterben einen langsamen Tod", hat es eine Betroffene im Gespräch mit Amnesty International ausgedrückt.

Schwache Bilanz

Die Bilanz der "Taten", an denen Schallenberg die Taliban messen wollte, ist wohl eindeutig. Wie sieht es aber nun mit den "Taten" Österreichs aus? Woran lassen sie sich am heutigen Weltfrauentag messen? Am Nichtstun. Mit langwierigen und teils sehr juristischen Formulierungen erklärt die Bundesregierung, warum es keine zusätzlichen Aufnahmemöglichkeiten für Frauen aus Afghanistan geben wird. Humanitäre Aufnahmeprogramme – eine von vielen Möglichkeiten, um ihnen rasch und unbürokratisch Schutz zu bieten – sind im Regierungsprogramm nicht vorgesehen. (Das waren übrigens die Corona-Pandemie oder die Energiekrise auch nicht. Dafür wurden aber Lösungen gesucht, weil sie politisch gewollt waren.)

Keine Rede davon, für Frauen und Mädchen sowie besonders gefährdete Gruppen in Afghanistan sichere und legale Wege zu schaffen, damit sie in unserem Land Schutz und Aufnahme finden können. Keine automatische Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Frauen und Mädchen aus Afghanistan, wie dies zum Beispiel in Schweden und Dänemark erfolgt. Kein Ansatz für eine vorübergehende Aussetzung der Visumspflicht oder zumindest eine Beschleunigung der Bearbeitung aller Visa insbesondere bei Familienzusammenführungen. Kein Aufgreifen der Idee, die Nachbarländer Afghanistans stärker zu unterstützen, damit diese die Grenzen offen halten. Keine Relocation- und Resettlement-Programme, um den Druck von den betroffenen Ländern zu nehmen und zu verhindern, dass dort illegale Pushbacks stattfinden.

Populistische Politik

All diese Vorschläge liegen auf dem Tisch, werden aber mit langwierigen Erklärungen gleich wieder von diesem gefegt. Da müssen sich die Bundesregierung und besonders eine der beiden Regierungsparteien schon die Frage gefallen lassen, was sie durch ihre populistische Außen- und Fremdenpolitik, die sich vor allem durch Untätigkeit auszeichnet, erreichen möchten. Eine echte Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit ist sie jedenfalls nicht. Dazu bräuchte es ein Umdenken. Die Verantwortlichen sollten sich daran erinnern, dass Politik die Menschen, ihre Würde und ihre Rechte in den Mittelpunkt stellen muss.

Feministische Leitlinien

Ein positiver Ansatz dafür wurde vergangene Woche in Deutschland mit den sogenannten Leitlinien feministischer Außenpolitik vorgestellt. Dieser im Kern menschenrechtsbasierte Politikansatz weckt große Hoffnungen. Es geht letztlich darum, den Schutz von Menschen, die besonders stark von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, als Kern der Außenpolitik zu betrachten.

Das sind zunächst einmal große Worte. Es liegt an uns, die Verantwortlichen an ihren Taten zu messen. Der heutige Weltfrauentag ist dafür ein geeigneter Anlass. Für die Frauen und Mädchen, deren Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wie in Afghanistan. Aber auch für alle Menschen in Österreich, die sich von Politik mehr erwarten als nur leere Worthülsen und Untätigkeit. (Annemarie Schlack, 8.3.2023)