Phädra in Flammen
Ungleiches Paar: Die unzufriedene Königin Phädra (Sophie von Kessel) findet endlich wieder Glück in der heimlichen Affäre mit der aufmüpfigen Schwiegertochter in spe, Persea (Dagna Litzenberger Vinet).
Marcella Ruiz Cruz

Männer und Macht sind untrennbar miteinander verknüpft. Patriarchale Strukturen durchdringen die Paläste, den Glauben und selbst das Gesetz. Andersdenkende müssen entfernt werden. Neue Reformen sollen alte Traditionen zum Leben erwecken. Das Volk wählt selbst!

Phädra, Königin Athens und ­Gattin des Theseus, ist es leid. Sie hat weder Kraft noch Lust, weiter ein brav lächelnder, funktionierender Teil dieses autoritären Systems zu sein. Ihre Rolle möchte sie abstreifen, sie ist am Ende. In der Neuüberschreibung des antiken Phädra-Stoffes von Nino Haratischwili ­entwächst dieser Sinneswandel jahrelangem Frust und später Emanzipation. Theseus (Ernest Allan Hausmann), ein Macho und notorischer Fremdgeher, kann sich von seiner Macht als alter König nicht trennen, die zwei Söhne sind erwachsen. Phädra steckt in der Identitätskrise.

Phädra, in Flammen der deutsch-georgischen Autorin, die sich gerne Stoffen der Antike widmet, feierte unter der Regie von Tina Lanik am Samstag Österreich-Premiere im Wiener Akademietheater. Ein überraschend politischer Abend, der vor allem durch Phädras Präsenz (Sophie von Kessel) glänzte. Der Funke zündete aber leider nicht immer.

Gefährliche Affäre

Ein blutroter Vollmond dominiert das radikal reduzierte, geniale Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier) – mal strahlt er weiß, dann schwindet er zum Neumond. Seine Phasen geben den Takt vor. Eine subtile Geräuschkulisse von Electric Indigo ergänzt diese ­optische Leere. Man weiß, dramatische Zeiten stehen bevor.

Denn Phädra verliebt sich nicht wie im Mythos durch einen Zauber in ihren Stiefsohn, sondern "versehentlich" in ihre Schwiegertochter in spe, Persea (Dagna Litzenberger Vinet). Diese soll den ältesten Sohn und Thronfolger Demophon (Julian von Hansemann) ehelichen, sich in das System integrieren, eine gute Ehefrau abgeben.

Doch Persea hat eine starke Meinung, ist quirlig und leidenschaftlich. Die Männer langweilen sie bloß. Mit ihrem schwarzen Minikleid und Ganzkörper-Tattoo ist sie ein junges Pendant zu Phädra im roten bodenlangen Fransendress. Nur Persea erkennt den Schmerz der Königin, hält ihr einen Spiegel vor und fragt, wie es nur so weit kommen konnte: „Dass Ihr in Flammen steht, aber niemand das Feuer sieht, das Euch verbrennt?“

Phädra in Flammen
Phädra (Sophie von Kessel) und ihr Gatte Theseus (Ernest Allan Hausmann) haben sich auseinandergelebt.
Marcella Ruiz Cruz

Die heimliche Affäre zwischen den Frauen – Phädra empfindet endlich wieder Glück – entspinnt sich zu einem gefährlichen Zeitpunkt, plant der von Theseus installierte Hohepriester Panopeus (Philipp Hauß) doch eine ganze Reihe neuer Reformen. Zu lange sei kein "Pharmakos" mehr durchgeführt worden, der Menschenopferungs­ritus soll die Götter ehren.

Andersdenkende und Unangepasste können vom Volk zu Sündern gewählt – eine neu erscheinende Klatschzeitung dient als tendenziöse Informationsquelle – und bis zum bitteren Ende durch die Stadt gejagt werden. Wer wird zuerst sterben? Wer wird wen denunzieren?

Schwächlinge und Hexen

Schließlich ist es der zweitgeborene Sohn, Acamas (Etienne Halsdorf), der die Liaison von Schwägerin und Mutter verrät. Obwohl er selbst als zarter, tierliebender Jüngling nicht dem stereotypen Männlichkeitsbild entspricht und zuerst Verbündeter von Persea ist. Dass diese mit ihrem Wissen über heilende Kräuter auch noch dem gängigen Hexenklischee entspricht, macht sie zum perfekten Opfer.

Obwohl die Geschichte in der ­Antike bleibt, sind die politischen Inhalte frappierend aktuell. Rollenzuschreibungen können durch die Umkehrung geschickt hinterfragt werden. Diese Zeitlosigkeit wird auch durch die moderne Sprache von Haratischwili erzeugt. Leider gleitet diese stellenweise in flapsige Dialoge ab, wodurch so manche ­Stelle zu aufgesetzt und erzwungen frech wirkt.

Am stärksten ist das Stück, wenn die zwei Frauen einander Paroli bieten und sich ihre Liebe gestehen – die ihr tragisches Ende bedeutet. (Katharina Rustler, 8.10.2023)