Ich habe mir vor kurzem ein Longboard gekauft, die Langversion eines Skateboards. Damit kann man zwar keine Tricks wie Tony Hawk in der Halfpipe vollführen, aber es macht Freude, damit durch die Gegend zu gleiten. Also eher gemütlich das Ganze. "Vielleicht habe ich eine Midlife-Crisis?", bemerke ich scherzhaft zum Nachbarn, der mir interessiert-amüsiert bei den ersten Rollversuchen auf dem Gartenweg zuschaut.

Als Skateboard fahrender, Lego-affiner Mensch, der ein Faible für die
Als Skateboard fahrender, Lego-affiner Mensch, der ein Faible für die "Simpsons" hat, darf man sich als "Kidult" bezeichnen. Das Kofferwort aus "kid" (Kind) und "adult" (Erwachsener) macht gerade wieder die Runde. Super, wieder ein Etikett mehr.
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"Andere kaufen sich in meinem Alter einen Porsche oder legen sich ein Gspusi zu", scherze ich, während ich mir die Sneakers binde und die Tennissocken über die Waden hochziehe. Ich sehe mit meinen weiten Shorts und dem Ruderleiberl aus wie ein Jugendlicher in einem Skatepark. Dabei werde ich in wenigen Monaten 45. Fühle mich aber nicht so – nur manchmal, wenn sich der Ischias meldet und ich mir die Haare so frisiere, dass die Geheimratsecken kaschiert werden. Die Eitelkeit ist ein Hund. Das Alter sowieso.

Tendenziell gestresst

Selbstkritisch frage ich mich: Bin ich dem an sich schon infantilen Jugendwahn verfallen? Bin ich gar kindisch, weil ich mich nicht wie ein Mittvierziger verhalte? Also nicht dem entspreche, wie sich noch unsere Elterngeneration einen solchen idealerweise vorgestellt hat? Ein tendenziell gestresster Mann mit einem Immo-Kredit, in einer stabilen Ehe lebend, als liebender Vater mit Vollzeitanstellung, der Rechnungen zu zahlen und auch sonst allerlei Sorgen hat. Der nur verstohlen seiner Leidenschaft für Lego in einem Hobbykeller nachgeht.

Ich kann fast all diese Punkte abhaken. Ich meine sogar behaupten zu können, dass ich mich verantwortungsvoll und vorbildlich verhalte – meistens zumindest. Bei genauerem Hinsehen klingt das aber auch ein bisserl spießig, nach Alltag und nach Hamsterrad.

Die Angebote, um aus diesem auszubrechen und sich wieder jung zu fühlen, werden immer mehr. Was auch immer "jung" heißt, in einer Zeit, in der es keine typischen Lebensläufe mehr gibt und 50 das neue 30 ist. Da springen Erwachsene lustvoll ins Bällebad, das sonst nur Kleinkindern vorbehalten ist, liefern sich eine Polsterschlacht, gleiten kreischend eine Rutsche hinunter, suhlen sich in buntem Schaumstoff, beschmieren Wände mit Farbe. Und haben nicht einmal alibihalber ein Kind dabei.

In Bällebädern toben, Malbücher ausmalen ... was einst Kindern vorbehalten war, dürfen jetzt auch Erwachsene.

Diese Orte tragen so verheißungsvoll kindische Namen wie Ballie Ballerson, Dopamine Land, Museum of Ice Cream oder Bubble Planet. Es gibt sie in New York, London, Madrid, Singapur, Brüssel ... Es sind Räume, die darauf ausgelegt sind, das "innere Kind" zu befriedigen. Man kann dort Aktivitäten nachgehen, die absolut sinnbefreit sind, also vor allem in Bällen baden – ohne Ziel, ohne Plan, ohne Wettbewerbsdruck, just for fun. Aber ein Selfie für Instagram oder ein kurzes Video für Tiktok darf schon sein.

"Irgendwann haben wir als Gesellschaft eine Grenze gezogen, die bestimmte Formen des Spielens als unreif einstuft." – Soleil Kohl

Zusammengefasst unter dem Begriff "Kidulting", einem Kofferwort aus "kid" (Kind) und "adult" (Erwachsener), erwächst hier ein Trend. Dabei bezeichnete man bereits in den 1960er-Jahren einen Erwachsenen, der bewusst kindliche oder Kindern zugeordnete Verhaltensweisen, Hobbys oder Vorlieben hat, als "Kidult". Mit dem Unterschied, dass man sich heute nicht mehr dafür zu schämen braucht. Es ist okay. So gesehen darf ich mich als Skateboard fahrender, Lego-affiner Mensch, der ein Faible für die "Simpsons" hat, als Kidult bezeichnen. Super, wieder ein Etikett mehr.

Glückshormone

Offenbar ist die Sehnsucht Erwachsener nach der eigenen oder einer als perfekt verklärten Kindheit groß. Was sich auch im Zuspruch widerspiegelt. So ist Ballie Ballerson in drei britischen Städten vertreten und zählt pro Monat 25.000 Besucherinnen und Besucher, die gerne ein Bällebad nehmen. Enthusiasten sagen, dass solche Orte die Kreativität, die menschliche Verbundenheit und die Freude steigern. Sie würden den Botenstoff triggern, nach dem Dopamine Land benannt ist, das Glückshormon Dopamin. Die Psychologie unterstreicht seit längerem den therapeutischen Nutzen des Eskapismus, der temporären Befreiung von Zwängen, der wohl auch mit dem Besuch von Bubble Planet und Co einhergeht, für das seelische Gleichgewicht: #MentalHealth, #Selfcare usw.

Gerade in Zeiten, in denen sich gefühlt eine Krise an die andere reiht, sind Ablenkungen gefragter denn je. Negative Emotionen wie Stress, Traurigkeit, Wut und Ohnmacht haben neue Spitzenwerte erreicht, wie dem Gallup Emotions Report zu entnehmen ist. Das mag auch eine Erklärung sein, warum Kidulting so verlockend wirkt. Man möchte sich für ein paar Stunden aus der Realität verabschieden.

Dabei muss es gar nicht das Bällebad sein. Mit Erstaunen hat man schon vor einigen Jahren festgestellt, dass etwa Brettspiele und Puzzles wieder in Mode sind, dass sich auch Erwachsene sowohl für Malbücher als auch für Videospiele begeistern können. Oder sich ihre Kindheitserinnerungen durch Lego-Spielen zurückholen. Alles Tätigkeiten, bei denen man abschalten kann.

Kulturpessimismus

Kein Wunder, dass die Spielzeugindustrie entsprechende Produkte in petto hat und damit ordentlich Kasse macht. Nostalgische Gefühle beschwörende Filme wie "Barbie" oder "Super Mario" – beides Blockbuster – tragen ihr Scherflein dazu bei. Das Kidult ist ein milliardenschwerer Wirtschaftsfaktor geworden. Das US-amerikanische Marktforschungsinstitut NPD Group schätzt Kidults als den aktuell "größten Wachstumsmotor für die gesamte Spielzeugbranche" ein. Sie seien "für ein Viertel aller Spielzeugverkäufe im Wert von jährlich neun Milliarden US-Dollar verantwortlich".

Das Wondr in Amsterdam bietet unter anderem Rutschen und einen Marshmallow Pool.
Das Wondr in Amsterdam bietet unter anderem Rutschen und einen Marshmallow Pool.
Wondr

Genau hier knüpft auch die (aktuelle wie alte) Kritik an dem ganzen Trend an: Werbung und Medien würden die Infantilisierung der gesamten Menschheit vorantreiben. Mit dem sinistren Hintergedanken, sie zu unmündigen Konsumentinnen und Konsumenten zu machen. Man rufe in Werbebotschaften und Produkten mit Retroanmutung die Sehnsucht nach einer Kindheit hervor, die es nie gab. Würde dabei kindlichen Narzissmus und Egoismus über erwachsene Reflexion und Verantwortlichkeit stellen.

Kindergarten für Erwachsene

Ewig kindische Erwachsene (und viel zu früh erwachsene Kinder) seien eine Folge von Unterhaltung und Massenkultur, stellte bereits der Medienwissenschafter und Kulturkritiker Neil Postman in den 1970ern fest. Diesen Gedanken griff Benjamin Barber Anfang der Nullerjahre in seinem Bestseller-Essay "Consumed!" noch einmal auf. In alarmistischem Tonfall zeichnete er ein Bild vom unmündigen, infantilisierten Menschen, der keine vernünftigen Entscheidungen mehr treffen könne und als solcher eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Ein Umstand, den populistische Parteien tatsächlich auszunutzen pflegen. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme.

Andere befürchten den Verlust von Vorbildern, wenn sich niemand mehr "seinem Alter entsprechend" benimmt. Ein entsprechender Beitrag in der Krone wurde just mit einem betagteren, auf einem Skateboard liegenden Mann illustriert. Der offensichtlich Spaß daran hat. Aber wenn das schon ein Zeichen für Infantilisierung ist, könnte man tatsächlich verzweifeln. Bedenklicher ist da schon, Stichwort Vorbildwirkung, wenn sich zwei Tech-Milliardäre über die sozialen Medien zu einer Rauferei auffordern. Na ja, zumindest einer von ihnen hatte wohl keine schöne Kindheit und muss vielleicht irgendetwas kompensieren.

Der Big Kid Kindergarten hat im September auch in Wien Station gemacht.

"Während sich Kritiker auf die Infantilisierung konzentrieren, sollte man besser fragen, was unsere moderne Welt so schrecklich macht, dass wir das Bedürfnis haben, ihr zu entkommen", meint Soleil Kohl. Die Mittzwanzigerin ist Kleinkinderzieherin und hat heuer in Edinburgh den Big Kid Kindergarten eröffnet. Und ja, es ist tatsächlich ein Kindergarten für Erwachsene, wo man mit Bauklötzchen spielt, bastelt, malt ... Die Idee dazu kam ihr während der Pandemiejahre. Sie wolle Erwachsenen einen Raum geben, in dem sie miteinander spielen, sich inspirieren lassen können, einfach einmal die Welt weniger ernst nehmen müssen.

Soleil Kohl mag den Begriff Kidulting nicht. "Er impliziert, dass Spielen nur etwas für Kinder ist, was einfach nicht stimmt", erklärt sie. "Irgendwann haben wir als Gesellschaft eine Grenze gezogen, die bestimmte Formen des Spielens als unreif einstuft." Was sie stört, ist das "Preisschild", das an Orten wie Dopamine Land angebracht ist. Und dass man dort nicht zum Interagieren mit anderen Spielenden aufgefordert wird. Ein Ziel von Big Kid Kindergarten sei es daher trotz des Namens, Menschen zu zeigen, dass Spielen überall möglich sei, sagt sie. Dafür sei nicht einmal Spielzeug notwendig.

Starke Reaktionen

Spielen ermögliche, mit anderen in Kontakt treten, daran glaube sie fest. "Ich sage gerne, dass wir das Spiel ernst nehmen." Besonders starke Reaktionen habe sie bei queeren und neurodiversen Menschen und solchen, deren Kindheit nicht rosig war, festgestellt, schildert Soleil Kohl weiter. So gesehen ist ihr Konzept fast mit einer Therapie gleichzusetzen. Das mit dem Kampfbegriff Infantilisierung zu belegen sei für sie grober Unfug.

Wahrscheinlich sollte man wie bei jedem heiß debattierten Trend auch hier den goldenen Mittelweg suchen. Also nicht nur sein inneres Kind akzeptieren, sondern es auch immer wieder einmal frei laufen lassen. Auch wenn es utopisch klingen mag: Der mündige Mensch sollte in der Lage sein, kindlich, jugendlich, erwachsen und altersweise zugleich zu denken. Außerdem ist es, frei nach Ben Furman, nie zu spät für eine gute Kindheit. Und eine Runde auf dem Longboard selbstverständlich. (RONDO, Markus Böhm, 12.10.2023)