Der Niger ist zum diplomatischen Debakel des Westens geworden. Sowohl die französische als auch die US-Regierung mussten diese Woche das Scheitern ihrer Bemühungen einräumen, den Militärputsch in dem westafrikanischen Staat wieder rückgängig zu machen. Die französischen Streitkräfte begannen am Dienstag mit dem Rückzug der Soldaten aus ihrer einstigen Bastion in der Sahelzone, während in Washington zum ersten Mal seit dem Militärputsch vor fast drei Monaten offiziell von einem Coup gesprochen wurde. Weil diese Bezeichnung weitreichende Folgen für die US-Beziehungen zum Niger hat, war Washington bisher davor zurückgeschreckt – auch in der Hoffnung, dass die Junta schließlich doch noch zum Rücktritt bewegt werden könnte.

Französische Soldaten starteten am Dienstag ihren Rückzug aus dem Niger
Französische Soldaten starteten am Dienstag ihren Rückzug aus dem Niger.
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Dass damit in naher Zukunft nicht zu rechnen ist, zeigt auch der Zusammenbruch der Gespräche zwischen der Junta und der algerischen Regierung über eine baldige Rückkehr des Nigers zur Demokratie. Dessen Militärmachthaber hätten "Zweifel an ihrem tatsächlichen Interesse" an einer Vermittlung aufkommen lassen, hieß es in Algier. Die dortige Regierung hatte eine sechsmonatige Übergangszeit vorgeschlagen, in deren Verlauf eine von allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptierte Kommission von Zivilisten Wahlen vorbereiten sollte. Mit diesem Vorschlag war die Junta offenbar nicht einverstanden: Sie fühlt sich nach der diplomatischen Niederlage des Westens und der Abkehr des westafrikanischen Staatenbunds Ecowas von der zunächst angedrohten militärischen Intervention in ihrer Macht gestärkt.

Proteste gegen Frankreich im Niger

Noch vor wenigen Wochen hatte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der Forderung der Junta nach dem Abzug des französischen Botschafters und der knapp 1.500-köpfigen Truppe der ehemaligen Kolonialmacht widersetzt: Paris nehme von einer unrechtmäßig zustande gekommenen Regierung keine Anordnung entgegen, hieß es. Vor dem französischen Quartier in Nigers Hauptstadt Niamey war es daraufhin zu tagelangen Protesten der Bevölkerung gekommen, bis Macron im vergangenen Monat schließlich den Abzug sowohl des Botschafters wie der Soldaten ankündigte.

Die französische Truppe kämpfte bislang an der Seite des nigrischen Militärs gegen islamistische Extremisten. Der Niger galt als letztes Bollwerk des Westens gegen den Extremismus in der Sahelzone, nachdem französische Soldaten sowohl Mali als auch Burkina Faso verlassen mussten. Ihr Abzug aus dem Niger soll bis Anfang des kommenden Jahres abgeschlossen sein. Der Abzug der rund 700 noch in Mali stationierten deutschen Bundeswehrsoldaten läuft nach den Worten eines Sprechers des Einsatzführungskommandos in Potsdam derzeit über den Flughafen in Niamey reibungslos ab und soll Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Washington möchte seine rund 1.100 auf zwei Drohnenbasen im Niger stationierten Soldaten offenbar im Land lassen – was angesichts der offiziellen Bestätigung eines Militärcoups nicht einfach ist. Die US-Gesetzgebung schreibt die Einstellung aller Militär- und Entwicklungshilfe in einem Putschland vor – nur Nahrungsmittelhilfe darf weiter geleistet werden. Von dem Verbot ist US-Hilfe in Höhe von rund 500 Millionen Dollar betroffen, die nun ausgesetzt wird. Die Drohnenstützpunkte sollen allerdings aufrechterhalten bleiben, hieß es in Washington: Dafür sei ein rechtliches Schlupfloch gefunden worden.

USA lassen Forderung fallen

Der Verbleib der US-Soldaten bedeutet, dass Washington Verbindungen zu den Putschisten unterhalten muss: Auch die erst kürzlich entsandte US-Botschafterin Kathleen Fitz-Gibbon soll im Niger bleiben. Die Forderung der US-Regierung, den unter Hausarrest stehenden Präsidenten Mohamed Bazoum wiedereinzusetzen, wurde fallengelassen: Jetzt wird nur noch die Freilassung Bazoums und eine rasche Rückkehr zur Demokratie gefordert.

Unterdessen bekommt die nigrische Bevölkerung die Folgen des Coups in vollem Umfang zu spüren. Nicht nur, dass die Extremisten ihre Angriffe intensiviert haben (seit dem Coup kamen 210 Menschen ums Leben, darunter fast 50 Soldaten). Auch wirken sich die von Ecowas erlassenen Wirtschaftssanktionen für die knapp 28 Millionen Nigrerinnen und Nigrer verheerend aus. Die Junta musste das Staatsbudget um 40 Prozent kürzen: den Anteil, den bisher die finanzielle Hilfe aus dem Westen ausmachte. Außerdem hat Nigeria seine Stromlieferungen eingestellt, und die Grenzen nach Benin und Nigeria bleiben geschlossen. Niger ist der siebtgrößte Uran-Produzent und trotzdem einer der ärmsten Staaten der Welt. (Johannes Dieterich, 11.10.2023)