Othmar Karas
Tritt nicht mehr bei der Europawahl im Juni 2024 an: der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas.
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Die Entscheidung von Othmar Karas, bei der nächsten Europawahl im Juni 2024 nicht mehr anzutreten und sein Amt als EU-Abgeordneter nach dann genau 25 Jahren aufzugeben, kommt nicht überraschend. Der gebürtige Niederösterreicher aus Ybbs (daher auch ein Jugend- und Schulfreund von Ex-SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer) hatte bereits vor Monaten angekündigt, dass er sich zu seiner politischen Zukunft im Herbst definitiv äußern werde.

Videoerklärung von Othmar Karas: "Mir geht es auf die Nerven, von manchen als Linker tituliert zu werden."
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Das hat er nun getan, den Spekulationen ein Ende bereitet, seine Partei würde ihn vermutlich ohnehin gar nicht mehr als Spitzenkandidat nominieren, obwohl er bei früheren EU-Wahlgängen durch Rekordzahlen an Vorzugsstimmen stark zum Erfolg der Volkspartei beigetragen hatte. Nicht zuletzt wegen ihm hält die ÖVP im Europäischen Parlament derzeit sieben Mandate, Platz eins in Österreich.

Dass der ÖVP-Politiker seinen Abschied (auch aus der ÖVP) nun in Form einer "persönlichen Erklärung" bei einer Pressekonferenz inszenierte, also außerhalb des Rahmens seiner eigenen Partei, ist kein Zufall. Karas hatte sich von seinen christdemokratischen Parteifreunden in Österreich im Lauf der Jahre inhaltlich und stilistisch deutlich entfremdet und entfernt. Vor allem als Sebastian Kurz ÖVP-Chef geworden war und nach der Wahl 2017 eine Koalition mit der EU-skeptischen FPÖ einging, trat er zumeist als interner Kritiker auf. Karas verließ auch den Parteivorstand, in dem er als früherer ÖVP-Delegationschef in Straßburg vertreten war.

Vorbild "Mister Europa"

Paradoxerweise wuchs sein innenpolitisches Gewicht in der österreichischen Öffentlichkeit, je mehr er in der ÖVP an Bedeutung verlor. Denn ganz im Sinne seines großen Vorbilds Alois Mock, des Außenministers beim EU-Beitritt des Landes, als "Mister Europa" in Erinnerung, versteht sich auch Karas als Paradeeuropäer schlechthin. Weil die ÖVP von früherer EU-Euphorie immer öfter abrückte, mit EU-kritischen Tönen auftrat und unter Kurz auch mit der einen oder anderen Spitze gegen EU-Institutionen, trat er umso deutlicher als "Proeuropäer" auf. Er scheute nie klare Worte, wenn es darum ging, europäische Gesinnung einzumahnen und nationalistische Tendenzen zu verurteilen.

Bei den Wählerinnen und Wählern zu Hause, in der Öffentlichkeit, kam das immer öfter so an, als stünde Karas in Europafragen im Grunde gegen seine eigene Partei und nicht hinter ihr.

Das wurde umso stärker wahrgenommen, als der Niederösterreicher seit seiner Wahl zum Ersten Vizepräsidenten des EU-Parlaments und Stellvertreter von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola vor knapp vier Jahren vor allem in dieser Funktion auftrat, nicht als EU-Abgeordneter der ÖVP. Diese vor allem auch protokollarisch relevante Unterscheidung ist ihm sehr wichtig.

Mann der Mitte

Nun gehen Karas, der als liberales Aushängeschild der ÖVP in der Tradition eines Erhard Busek gesehen werden kann, und seine Partei also getrennte Wege. Der Niederösterreicher sieht sich als Mann der Mitte. Er sieht "seine" ÖVP auf Irrwegen, weil sie sich allzu sehr "den politischen Rändern", den Rechtspopulisten angenähert hat.

Dass der Abgeordnete, der auch Präsident des Hilfswerks ist, sich ganz aus öffentlichen Funktionen zurückzieht, ist aber unwahrscheinlich. In der einen oder anderen Form dürfte er sich weiter für Europa, sein Herzensanliegen, wie er dem STANDARD zuletzt im August am Rande des Forums Alpbach versicherte, einsetzen.

Was viele schon vergessen hatten: Es geht nicht nur um Stilfragen. Karas war bereits in den 1980er-Jahren ein glühender Vertreter eines EG-Beitritts Österreichs, lange vor den Umbrüchen 1989, die den Kontinent und die spätere Europäische Union völlig veränderten, sowohl durch die Integration und die Währungsunion wie auch durch die Erweiterung nach Osteuropa. Damals war er Chef der Jungen ÖVP und unterstützte die erste Resolution zum Beitritt Österreichs zur damaligen Wirtschaftsgemeinschaft.

Ein starkes Eintreten für humanitäre Werte, für Rechtsstaat und Demokratie, für Aussöhnung und grenzüberschreitende Kooperation, das sind die Säulen gemeinsamer europäischer Politik. Nicht zuletzt dieser Wurzeln hat er sich nun besonnen und daraus die äußerste Konsequenz gezogen. Mit einer ÖVP, die für ihre europäischen Ideale nicht mehr einsteht, so wie er das versteht, will Othmar Karas nichts mehr zu tun haben, beziehungsweise will er für sie nicht mehr Abgeordneter sein. (Thomas Mayer, 12.10.2023)