Regisseur Emre Akal hat eine bunte Künstlerfamilie im Rücken. Theater betrachtet er als universelle Kunstform.
Regisseur Emre Akal hat eine bunte Künstlerfamilie im Rücken. Theater betrachtet er als universelle Kunstform.
Klara Wildberger

Theater ist ein perfekter Ort, um eine Möglichkeit zu beschreiben", sagt Emre Akal. Seit jeher interessiert den Münchner Regisseur und Autor der Blick nach vorn, auf eine kommende Welt, für die wir jetzt schon Verantwortung tragen. "Wo werde ich sein, wenn ich sechzig bin?", fragte sich der 1981 Geborene schon als junger Mensch. Was bedeuten Orte, Systeme, das Menschsein an sich?

Nicht ganz die einfachsten Überlegungen, die Akal anstellte. Sie sind bis heute sein Antrieb geblieben, zu arbeiten. Deshalb stehen in seinen Theaterproduktionen auch Zukunftsfragen im Zentrum. Und deshalb inszeniert er jetzt Elfriede Jelineks Klima-Stück Sonne/Luft am Schauspielhaus Graz.

Emre Akal ist aber auch ein Zukunftssucher im Theaterbetrieb an sich. Dieser wurde aus Gewohnheit bis vor wenigen Jahren von sehr homogenen Personengruppen gestaltet und verantwortet. Um zukunftsfitter zu werden, sprich die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit besser abbilden zu können, arbeiten Theater nun daran, selbst diverser zu werden. Und da kommt Emre Akal erneut ins Spiel.

Opa war Kunstmaler

Gemeinsam mit Autorin und Schauspielerin Antigone Akgün war Akal Initiator des "Ayse X Staatstheaters", eines auf drei Jahre angelegten Projekts, das sich mit zukunftsträchtigen Formen der künstlerischen Zusammenarbeit befasste und bei seiner Gründung 2019 in Deutschland hohe Wellen schlug. Über achtzig namhafte Personen aus dem Theaterbetrieb waren mit dabei, darunter Julia Wissert (Intendantin in Dortmund) oder Guy Dermosessian (Leitung Diversität Schauspielhaus Düsseldorf).

Der Name "Ayse X Staatstheater" erinnert an die türkischstämmige Schauspielerin Ayse Cetin, die als Zwölfjährige nach Deutschland kam, sich aus dem Geschäft aber zurückzog, nachdem sie nur stereotype Rollen abliefern sollte.

Stereotype Rollen

Einer stereotypen Rolle hätte auch Emre Akal entsprechen und so seine Karriere schneller vorantreiben können. Wollte er aber nicht. "Welche Erwartungen gibt es an mich, weil ich Emre Akal heiße?", fragt er rhetorisch. Theater begreift er als entschieden universeller, als beim Tun stets die eigene Herkunft miteinkalkulieren zu müssen. Akal stammt aus einer Istanbuler Künstlerfamilie. Sein Großvater war ein bekannter Kunstmaler, dessen Bilder das visuelle Interesse des Regisseurs mitgeprägt haben. Akals Vater wiederum war Schauspieler am Staatstheater in Istanbul und politisch aktiv, weshalb er nach Deutschland übersiedelte.

Wie also steht es heute um die Diversität an deutschsprachigen Sprechtheaterbühnen? Akal ortet "spürbare Veränderungen", es gebe eine Sensibilität für das Thema, die Umsetzung aber setze einen Bewusstseinswandel voraus. Deshalb beurteilt er die Installation von Diversitätsbeauftragten an den Bühnen als zweischneidig. Denn eine solche Stelle, so wichtig sie auch sei, berge die Gefahr, sich der Verantwortung zu entziehen, indem man sie an eine Person delegiere. Zudem plädiert Akal für einen breiten Diversitätsbegriff, der auch Alter und Geschlecht mitberücksichtigt.

Lustig, wulstig

Blickt man auf die knallige Optik seiner bisherigen Bühnenarbeiten, meint man Ähnlichkeiten zu Ersan Mondtags comichafter Ästhetik zu erkennen. Aber Akal wiegelt ab, ihm sei bei aller Lust an der Form doch mehr daran gelegen, den Menschen auf der Bühne zu spüren (etwas, das man den Arbeiten Mondtags aufgrund von deren Maskenhaftigkeit eher abspricht).

Für das poppige Outfit der Inszenierungen ist regelmäßig das Künstlerduo Mehmet und Kazim verantwortlich, Cousins des Regisseurs, die in der Malklasse bei Markus Oehlen in München ausgebildet wurden. Wie zauberhaft, wulstig, fantastisch und lustig die Entwürfe des Duos sein können, sieht man auf Szenenbildern von Göttersimulation, das Emre Akal im Vorjahr an den Kammerspielen München inszenierte, wo er seit 2021 als Artist in Residence tätig ist.

Sonne/Luft wird im Doppelpack erstmals in Österreich zu sehen sein. Akal, übrigens österreichischer exil-DramatikerInnenpreis-Träger 2020, siedelt den Text in einer Weltraum-Arche an, die uns mit auf den Weg in eine neue Welt nimmt. Die Menschheit wird hier schon alles hinter sich gelassen haben. Inspirieren ließ sich Akal dafür auch vom israelischen Historiker Yuval Harari und seinen universalhistorischen Thesen. Diese beinhalten für die Menschheit neu gültige Machtinstanzen. (Margarete Affenzeller, 13.10.2023)