Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz steht ab nächsten Mittwoch vor Gericht.
APA/GEORG HOCHMUTH

Würde die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) alle gleich behandeln, hätte sie auch gegen Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner oder gegen einen ihrer eigenen Staatsanwälte ein Verfahren wegen des Verdachts auf Falschaussage einleiten müssen – oder eben keines gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP): So heißt es sinngemäß in einem Schriftsatz, den Kurz-Verteidiger Otto Dietrich am Donnerstag bei Gericht eingebracht hat.

Der Schriftsatz wurde am Freitag vom Team Kurz den Medien zur Verfügung gestellt. Aus der 20-seitigen Gegenäußerung lässt sich ableiten, wie sich der Altkanzler ab Mittwoch vor dem Straflandesgericht Wien verteidigen wird.

Dietrich – der beispielsweise auch Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics oder den Oligarchen Dmytro Firtasch berät – argumentiert, dass Reinhold Mitterlehner faktisch Falsches ausgesagt habe. Der Vorgänger von Kurz als ÖVP-Obmann habe sich acht Tage nach seiner Einvernahme bei der WKStA gemeldet, um seine Angaben zu ändern, weil er sich "geirrt" habe. Diese Möglichkeit hätten Ermittler ihm eingeräumt.

"Na" oder "Nein"

Ein Oberstaatsanwalt der WKStA habe hingegen vor dem U-Ausschuss davon gesprochen, dass in der Causa Casinos zwei Einvernahmen von Beschuldigten wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden seien. Tatsächlich habe es sich um vier Termine gehandelt. Hätte die WKStA den bei diesen Aussagen angelegten Maßstab auch bei Kurz angewendet, hätte sie gar keine Anklage erheben dürfen, schreibt Dietrich.

Aber auch inhaltlich weist er die Vorwürfe zurück. Von mehreren Deutungsmöglichkeiten wähle die WKStA "regelmäßig diejenige Interpretation, die die Aussage als falsch erscheinen lässt". Da geht es etwa darum, ob ein von Kurz zu Satzbeginn geäußertes "Na" als "Nein" gedeutet werden kann. In anderen Fällen habe die WKStA "die Aussage von Sebastian Kurz geradezu ins Gegenteil verdreht".

Die Ermittler würden im Strafantrag außerdem den Untersuchungsgegenstand des Ibiza-U-Ausschusses, in dem Kurz falsch ausgesagt haben soll, "selektiv und verkürzt" wiedergeben. Denn zwei von der WKStA nicht angeführte Beweisthemen – "Begünstigung von Dritten" und "Verdacht des Gesetzeskaufes" – würden "strafrechtliche Vorwürfe" implizieren und sinngemäß zeigen, dass die Opposition die untersuchten Vorgänge auch kriminalisieren wollte. Deshalb habe für Auskunftspersonen sehr wohl die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung bestanden – ein Umstand, mit dem ein sogenannter Aussagenotstand begründet werden kann, der vor Strafe schützt.

Die "Vernehmungssituation"

Auch auf die "Vernehmungssituation" im U-Ausschuss geht der Verteidiger des Ex-Kanzlers ausführlich ein. Die lasse sich mit einer Befragung vor Gericht, Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei weder faktisch noch rechtlich vergleichen. Denn beim U-Ausschuss werde nach einer "politischen Wahrheit" gesucht, im Strafverfahren nach der materiellen Wahrheit. Zudem sei im U-Ausschuss aufgrund der Zeitvorgaben ein ständiger Themenwechsel unvermeidbar, das führe auch zu Druck auf die Auskunftsperson und verkürzten Antworten. All dies habe die WKStA nicht berücksichtigt.

Auch das Kurz unterstellte Motiv sei falsch: Die WKStA führt aus, Kurz habe eine Schädigung der Marke (jener von Kurz und der neuen ÖVP, Anm.) vermeiden wollen und deswegen falsch ausgesagt, als er etwa seine Involvierung in Öbag-Personalbestellungen bestritt – flapsig formuliert, weil die neue ÖVP ja damit warb, Methoden wie Postenschacher gehörten der Vergangenheit an. Dabei habe die WKStA jedenfalls das "viel größere Risiko" für Kurz übersehen, dass er die Marke mit einer strafrechtlichen Verfolgung wegen einer Falschaussage wesentlich stärker geschädigt hätte, heißt es in der Gegenäußerung.

Hat Kurz von Chats gewusst?

In der Gegenäußerung verweist Dietrich auch auf Aussagen der ehemaligen Verfahrensrichterin und vormaligen Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH) Ilse Huber, die gemeint habe, dass "Mörder vor Gericht besser behandelt werden als Auskunftspersonen von der Opposition".

Zu guter Letzt befasst sich der Rechtsanwalt auch mit der Frage, ob Sebastian Kurz zum Zeitpunkt seiner Aussage im U-Ausschuss von der Auswertung zahlreicher Chats von Thomas Schmids Handy gewusst habe. Die WKStA geht ja davon aus, dass er damit nicht gerechnet hat; Dietrich stellt das anders dar. Es sei schon seit Februar 2020 bekannt gewesen, dass das Handy ausgewertet werde und erste Medienberichte habe es schon Anfang Juni gegeben – also vor Kurz' Befragung am 20. Juni. In der sei es auch zu übergriffigen Äußerungen gegen den damaligen Kanzler gekommen, wofür der Anwalt etliche Zitate ins Treffen führt.

In der Hauptverhandlung, die am Mittwoch um 9.30 Uhr beginnt, wird Dietrich diese Argumente vortragen und den Freispruch des Angeklagten beantragen. (Renate Graber, Fabian Schmid, 13.10.2023)