Brut
Naïma Mazics Stück weicht den klassischen Jazz-Dance-Stilen weitgehend aus – eine gute Entscheidung.
Gabriela Reyna

Zeitgenössischer Tanz auf Basis von Jazzmusik ist definitiv eine Rarität. Umso erfreulicher also, wenn eine junge Choreografin wie Naïma Mazic es riskiert, sich mit einem solchen Stück einzubringen. Noch bis Sonntag läuft die Uraufführung ihres Stücks Album – the muse at work, entstanden in Zusammenarbeit mit der Perkussionistin und Vibrafonistin Evi Filippou, im Studio Zieglergasse des Brut-Theaters.

Ein weiterer Glanzpunkt bei Album: An der Produktion sind überwiegend Frauen beteiligt, und auch die Musikauswahl zielt auf weibliche Vertreterinnen des Jazz. Ohne didaktische Pose erinnert Mazic daran, dass die Kultur bereits im antiken Griechenland symbolisch sicher in weiblicher Hand lag – alle neun klassischen Musen sind als Frauen überliefert. Wobei diese Töchter der Titanin Mnemosyne neben den Künsten auch den Wissenschaften verschrieben waren. Terpsichore zum Beispiel wurde der Tanz zugeordnet, Kalliope die Philosophie, für Astronomie war Urania zuständig und Klio für Geschichte.

Jazz-Olymp

Neun musikalische Musen bevölkern Mazics intimen Jazz-Olymp: darunter Carla Bley, Mary Lou Williams oder Ruth Cameron Harden und die Komponistin, Sängerin und Bandleaderin Lil Harding Armstrong, die 14 Jahre lang mit dem Startrompeter Louis Armstrong verheiratet war.

Das Album im Titel darf wörtlich genommen werden, denn das Stück folgt der Struktur einer Vinyl-Schallplatte mit A- und B-Seite, mit erst vier, dann fünf Nummern. Mazic beweist sich darin als ausgesprochen facettenreiche Tänzerin, die den klassischen Jazz-Dance-Stilen weitgehend ausweicht und damit Redundanzen und Klischees meidet. Klugerweise gibt sie auch der Musik selbst Raum und begleitet nicht jeden der Album-Songs mit Tanz. Im Vordergrund der Bühne steht ein schöner analoger Plattenspieler, aus dem Hintergrund kommt Filippous Livemusik.

Einmal wird das Publikum eingeladen, sich einfach auf die Bühne zu legen und der Musik zu lauschen: Bei Something about John Coltrane aus Alice Coltranes Album Journey in Satchidananda (1971) kann man sich selbst einen Tanz vorstellen. Das klingt nicht nur friedlich, sondern ist es tatsächlich.

Damit könnten Mazic und Filippou ihre Musen vor dem Hintergrund all der aktuellen Aggression-Eruptionen gar nicht zeitgemäßer arbeiten lassen. Liebe ist, daran erinnert dieses Stück unmissverständlich, etwas ganz anderes als der kaltheiße, zynische Kitsch, den die populistische Brunft- und Porno-Industrie ihrer Klientel über alle digitalen Kanülen einflößt.

Beachtlich, wie sorgfältig Mazic die Dramaturgie baut und wie präzise das Licht komponiert ist. Dezent lässt die Choreografin an einigen Stellen literarische Elemente einfließen, liest kurze Anekdoten und lässt einige ihrer Jazz-Musen zu Wort kommen.

Aber wie bei der Liebe kommt es auch in Album nicht zur Perfektion. Das Bühnenbild mit seiner langen Stoffbahn aus bunten Mondrian-Rechtecken ist den Musen dann doch etwas entglitten. (Helmut Ploebst, 13.10.2023)

14. und 15. 10.