Warschau – Bei der Parlamentswahl in Polen zeichnet sich laut Nachwahlbefragungen ein Sieg der Opposition ab. Die regierende konservative PiS ist demnach zwar mit 36,8 Prozent klar stimmenstärkste Kraft geworden. Als Siegerin dürfte aber die Opposition hervorgehen: Die Bürgerkoalition von Ex-Regierungschef Donald Tusk belegt mit 31,6 Prozent Platz zwei, würde aber in einer Koalition mit zwei kleineren Oppositionsparteien vor dem rechten Lager um die PiS liegen. Die Ergebnisse der Nachwahlbefragungen stellen allerdings noch nicht das finale Ergebnis dar.

Video: Opposition um pro-europäischen Donald Tusk bei polnischer Parlamentswahl vorn
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Nach dieser Rechnung entfallen 248 der 460 Sitze auf die Bürgerkoalition, den Dritten Weg und die Linke, während die PiS und die rechtsextreme Konförderationspartei zusammen auf 212 Sitze kämen. Tusk zeigte sich nach der Wahl zuversichtlich, die nächste Regierung bilden zu können. "Polen hat gewonnen. Die Demokratie hat gewonnen. Wir haben sie (die PiS) von der Macht entfernt", sagte er. "Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich wie heute über diesen zweiten Platz."

PiS bleibt voraussichtlich stärkste Kraft

Mit 200 Mandaten bleibt die PiS stärkste Kraft im Parlament (Sejm), doch kommt für sie als Regierungspartner nur die Konfederacja mit zwölf Sitzen infrage. Diese blieb unter ihren Erwartungen, nachdem sie im Wahlkampf versucht hatte, den wachsenden Unmut von Polen über die Ukraine-Politik auszuschlachten. Tusks Bürgerkoalition wird der Prognose zufolge 163 Mandate im neuen Parlament haben, der Dritte Weg 55 und die Linke 30.

Bei der Wahl zeichnete sich auch eine Beteiligung in Rekordhöhe ab Sie dürfte über 70 Prozent liegen, wobei der Zulauf in urbanen Zentren und unter den Auslandspolen ungewöhnlich hoch war. Laut Wahlbehörde war die Beteiligung wahrscheinlich die höchste seit dem Ende des Kommunismus im Jahr 1989. Gut 29 Millionen Wahlberechtigte waren an diesem Sonntag dazu aufgerufen, über die Verteilung der Sitze im Sejm und im Senat, der weniger bedeutenden zweiten Kammer, abzustimmen.

Frau gibt Stimme ab
29 Millionen Wahlberechtigte stimmen am Sonntag über die Zukunft Polens ab.
REUTERS/ALEKSANDRA SZMIGIEL

Bombendrohungen vor der Wahl

Kurz vor Ende der Parlamentswahl am Sonntagabend hatte es laut übereinstimmenden Berichten noch in mehreren Wahllokalen Bombendrohungen gegeben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass nach Polizeiangaben in der Hauptstadt Warschau drei Wahllokale geräumt wurden.

Umfragen vor der Wahl hatten prognostiziert, dass die PiS zwar stärkste Kraft bleiben, die absolute Mehrheit aber verfehlen würde. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wäre somit zu einer Regierungsbildung auf die ultrarechte Konfederacja angewiesen. Diese hat einer Koalition mit der PiS im Wahlkampf eine Absage erteilt.

An zweiter Stelle in den Umfragen lag die liberalkonservative Bürgerkoalition des früheren Regierungschefs Tusk. Sie könnte mit dem Linksbündnis Lewica und dem christlich-konservativen Dritten Weg eine Koalition bilden. Voraussetzung dafür ist aber, dass es der Dritte Weg als Zusammenschluss von zwei Parteien tatsächlich über die Achtprozenthürde schafft, die in Polen für solche Wahlbündnisse gilt.

Morawiecki: Bankmanager und Regierungschef

Morawiecki führt Polens Regierung seit 2017, lange galt er als das freundliche Gesicht der PiS. Doch im Verlauf der vergangenen zwei Jahre ist die Rhetorik des einst eher nüchternen Technokraten härter und inhaltlich radikaler geworden.

Mateusz Morawiecki
Mateusz Morawiecki hat eine Karriere als Bankmanager hinter sich und galt einst als Wirtschaftsberater von Donald Tusk.
REUTERS/Maciek Jazwiecki

Hinter Morawiecki liegt eine erfolgreiche Karriere im Bankensektor. Als Chef der Bank Zachodni WBK, die zur spanischen Santander-Gruppe gehörte, verdiente er Millionen. In den Jahren 2010 bis 2012 zählte er zu den Wirtschaftsberatern des damaligen Regierungschefs Tusk – heute schweigt er lieber über diese Zeit.

Morawieckis Kindheit war geprägt von der politischen Aktivität seines Vaters, eines mehrfach inhaftierten antikommunistischen Dissidenten.

Tusk: Herausforderer und früherer EU-Ratspräsident

Tusk zählte 2001 zu den Gründern der Bürgerplattform, die seit der Parlamentswahl 2019 mit mehreren kleineren Parteien das Bündnis Bürgerkoalition (KO) bildet. Er war von 2007 bis 2014 Polens Regierungschef, im Jahr 2014 wechselte Tusk nach Brüssel in das Amt des EU-Ratspräsidenten, das er bis 2019 innehatte.

Donald Tusk
Donald Tusk war von 2007 bis 2014 Polens Regierungschef und von 2014 bis 2019 EU-Ratspräsident.
IMAGO/Attila Husejnow

In Tusks Regierungszeit war Polen dem Westen zugewandt, wurde in Berlin und Brüssel als wichtiger Partner gesehen und hatte ein gutes Verhältnis zur damaligen deutschen Kanzlerin Angela Merkel.

Als Tusk im Sommer 2021 nach seiner Amtszeit als EU-Ratspräsident in die polnische Politik zurückkehrte, belebte er damit ein altes Duell um die Macht. Der einstige Regierungschef, der Polen erfolgreich durch die Wirtschaftskrise 2008 steuerte, gilt als der gefährlichste politische Gegenspieler des PiS-Chefs Jarosław Kaczyński.

In Polen polarisiert der 66-jährige Tusk stark. Viele Polen haben ihm bis heute nicht verziehen, dass er das Pensionsantrittsalter heraufsetzte. Auch eine Abhöraffäre schadete ihm. In illegal mitgeschnittenen Gesprächen in Nobelrestaurants offenbarten seine Minister ihre Vorliebe für sündhaft teure Weine und ihre Verachtung für die Normalbürger. (APA, red, 15.10.2023)