Um Burger sollte es am internationalen Tag für die Beseitigung der Armut nicht gehen, so der Wunsch von Amnesty International Österreich und der Armutskonferenz. Die beiden Organisationen haben am Dienstag eine Analyse der menschenrechtlichen Folgen von Armut vorgestellt. Amnesty-Geschäftsführerin Shoura Zehetner-Hashemi erlaubte sich zu Beginn der Pressekonferenz in Wien dennoch einen Seitenhieb auf Karl Nehammer (ÖVP) und sprach in Zusammenhang mit dessen Äußerungen zur Leistbarkeit von Nahrung von einem "zynischen Kanzlervideo".

Mit Verweis darauf erklärte Zehetner-Hashemi, dass Armut nicht die Schuld der betroffenen Menschen sei, sondern Ergebnis struktureller Versäumnisse. "Armut ist häufig die Folge von Menschenrechtsverletzungen, und aus Armut entstehen Menschenrechtsverletzungen", sagte sie. Österreich habe sich mit dem UN-Sozialpakt und der EU-Sozialcharta verpflichtet, Armut strukturell zu bekämpfen. Die Bundesregierung versage aber dabei, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Menschen in Armut würdevoll leben könnten. Konkret bedeute das: "Armutsbetroffene nehmen nicht mehr am sozialen und kulturellen Leben teil."

Eine Person hat Münzen in der Hand und zählt das Geld
Wegen hoher Mieten bleibt für manche Familie am Ende des Monats nur wenig Geld übrig.
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Die Lage armer Menschen soll in Österreich eigentlich das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz verbessern. ÖVP und Grüne haben im Frühjahr 2022 Änderungen daran beschlossen. Rund 190.000 Menschen beziehen laut Zehetner-Hashemi die Hilfe, rund eine Milliarde Euro jährlich würden dafür ausgegeben – was weniger als einem Prozent der Gesamtausgaben für Soziales entspreche. Ihre Funktion als letztes Auffangnetz vor der Armut erfüllt die Sozialhilfe laut der Analyse von Amnesty und Armutskonferenz aber nicht: "Das Gesetz ist ganz klar menschenrechtswidrig", betonte Zehetner-Hashemi.

Menschen hungern für die Miete

Teresa Hatzl, die das Gesetz für Amnesty analysiert hat, begründet das so: "Die Sozialhilfe könnte jenes Instrument sein, mit dem die Regierung sicherstellt, dass niemand zurückbleibt – aber das war nicht das Ziel des Gesetzgebers, dieses Ziel steht gar nicht im Gesetz." Zudem habe sich der Kreis derer, die zur Sozialhilfe berechtigt sind, durch die Gesetzesänderung verkleinert. Und nicht nur das: "Zum Beispiel nichtösterreichische Staatsangehörige, die weniger als fünf Jahre hier sind, haben keinen Anspruch. Damit stellt das Gesetz keinen diskriminierungsfreien Zugang zur Sozialhilfe sicher", erklärte Hatzl. Und schließlich seien die Höchstsätze problematisch, stattdessen brauche es Mindestsätze.

Shoura Zehetner-Hashemi, die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Shoura Zehetner-Hashemi ist Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.
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Die Bedeutung dieses Punktes erklärte Martin Schenk, Sozialexperte und Sprecher der Armutskonferenz. Das Netzwerk besteht aus sozialen Organisationen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen, unter anderem Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz arbeiten jährlich mit insgesamt 500.000 Menschen zusammen. "Wir spüren ganz deutlich, dass es mit der Abschaffung der Mindestsicherung zu drastischen Verschlechterungen für Menschen gekommen ist. Den Beratungsstellen erzählen Familien, dass sie am Ende des Monats weniger essen, also hungern, um die Miete zahlen zu können", berichtete Schenk. Mit Mindestsätzen im Gesetz könnten die Behörden auf solche Situationen flexibler reagieren.

Gesetzesänderung unwahrscheinlich

Die Forderung, die Amnesty-Chefin Zehetner-Hashemi daraus ableitet: "Für uns ist klar, dass es eine Neugestaltung der Sozialhilfe braucht." Darüber hinaus brauche es eine Verfassungsänderung: "Die sozialen Menschenrechte sind genauso wichtig wie politischen und bürgerlichen Menschenrechte. Und genau wie diese gehören sie in die Verfassung. Der veraltete Grundrechtskatalog sollte erweitert werden." Dann, so Zehetner-Hashemi, könnten Höchstgerichte bei der Überprüfung von Gesetzen künftig auch die soziale Absicherung von Menschen als Maßstab heranziehen – was beispielsweise in Deutschland geschehen sei, als das Bundesverfassungsgericht 2019 die Hartz-IV-Sanktionen für teilweise verfassungswidrig erklärt hatte.

Dass die Bundesregierung diese Änderungen zeitnah umsetzt, hält Zehetner-Hashemi für unwahrscheinlich. "Es gibt mit den Grünen eine Partei in der Regierung, die offen ist für menschenrechtliche Anliegen. Wir bekommen eine generelle Bereitschaft signalisiert, aber auch, dass vor der Nationalratswahl im kommenden Jahr nicht mehr viel durchzubekommen wäre." Armutskonferenz-Sprecher Schenk ergänzte: "Ich würde mir wünschen, dass in der Regierung noch ein Jahr lang gearbeitet wird." (Sebastian Scheffel, 17.10.2023)