Schnitzelsemmeln
Heiß umfehdet, wild umstritten: Als kulinarisches Heiligtum der Nation gibt das Schnitzel immer wieder Anlass zu Diskussionen. Insbesondere dann, wenn es um eine mögliche oder nötige Reduktion des Konsums geht.
Reiner Riedler

Können Sie sich 350 Millionen Tonnen Fleisch vorstellen? Wir auch nicht wirklich, daher ein Vergleich: Diese Zahl entspricht etwa dem, was tausend Empire State Buildings wiegen. Diese Menge Fleisch wird pro Jahr von der Weltbevölkerung verspeist. Zumindest bis dato. Bis 2050 wird der jährliche Konsum auf 550 Millionen Tonnen klettern, folgt man Prognosen.

Schließlich wächst die Weltbevölkerung, und auch aufstrebende Gesellschaften, die es sich bisher nicht leisten konnten, wollen Fleisch konsumieren. Den Planeten bringt diese Entwicklung an die Belastungsgrenzen, für das Klima sind es ebenfalls schlechte Nachrichten. Ein Viertel der Erdoberfläche wird schon heute von Weiden eingenommen. Um die Tiere zu füttern, die nur in der EU gegessen werden, braucht es eine Futteranbaufläche, die siebenmal so groß ist wie die EU. Die Produktion von Fleisch zeichnet daneben für 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Fleisch für die Welt – in Maßen

Eine gänzlich fleischlose Welternährung als Lösung halten Fachleute en gros dennoch für unrealistisch. Es existiert keine einzige belastbare Studie, die zeigt, dass die Menschheit vegan ernährt werden kann. Dieses Ansinnen wäre auch nicht in jeder Region sinnvoll, wenn es nach Thilo Hofmann geht. "Der Magen von Kuh oder Ziege etwa ist ein Wunderwerk, der wandelt Gras und Gestrüpp in verwertbares Protein für uns um", erläutert der Umweltwissenschafter der Universität Wien. Fleisch ist ein essenzieller Bestandteil der globalen Ernährung. In kargen Gegenden, wo der Anbau pflanzlicher Nahrung ressourcenintensiv oder unmöglich ist, bietet es eine dringend nötige Proteinquelle mit hoher Energiedichte. Hofmann verortet den problematischen Aspekt des Fleischverzehrs an anderer Stelle. "In den USA und in Europa wird Fleisch im Übermaß konsumiert", attestiert er.

Mit diesem Urteil ist der Forscher nicht allein. In Österreich werden rund dreimal so viel Wurst und Fleisch verzehrt, wie das Gesundheitsministerium empfiehlt. Der Appetit auf Fleisch lässt hierzulande zwar leicht nach, der Pro-Kopf-Verbrauch sank von 65,2 Kilo im Jahr 2012 auf 58,6 Kilo im Jahr 2022. Experten wie Jürgen König, Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften der Universität Wien, sehen in dem selteneren Griff zum Fleisch dennoch keine grundlegende Trendwende. Dafür sei der sehr hohe Konsum zu schwach rückläufig und das Ernährungsverhalten der Bevölkerung zu konservativ. "Wir werden auch in den nächsten Jahren Schnitzel essen, vielleicht reduziert, aber trotzdem auf hohem Niveau", sagt der Wissenschafter.

Die klimafreundliche Kuh

Forschende versuchen daher die nachteiligen Effekte von Wurst, Steak und Schnitzel zu schmälern. Eine Idee ist, die von Nutztieren verursachten Emissionen zu minimieren. Tierische Emittenten sind allen voran Rinder, die an beiden Enden ihres Verdauungstrakts das enorm klimaaktive Methan ausstoßen. Ein Team der University of Aberdeen fand heraus, dass genetische Faktoren das Mikrobiom von Rindern stark beeinflussen. Dieses bestimmt den Methanausstoß der Vierbeiner. Manche Rassen sind erbgutbedingt also klimaschonender. Auch die Nahrung entscheidet: Bekommen Kühe Seetang ins Futter, produzieren sie um 82 Prozent weniger Methan.

Kühe im Stall
Kühe stoßen viel Methan aus. Über einen Zeitraum von 100 Jahren ist das Treibhausgas25-mal so klimaaktiv ist wie CO2. Forschende versuchen daher, die Emissionen der Vierbeiner zu senken.
APA/dpa/Axel Heimken

Neben diesem Ansatz gewann das Vorhaben, Fleisch im Labor zu züchten, an Popularität. Seit vor zehn Jahren die ersten Menschen in einen 330.000 US-Dollar teuren Burger aus kultiviertem, also im Labor hergestelltem Fleisch gebissen haben, hat sich einiges bewegt. Seit 2020 können Menschen in Singapur hühnerfreie Hühnernuggets essen, im November 2022 gaben die USA kultivierte Hühnerfilets für den menschlichen Verzehr frei.

Noch stehen Forschung und Industrie bei der großangelegten Herstellung von tierfreiem Fleisch aber vor Hindernissen. Gefeilt werden muss an den Kosten und der Konsistenz. Ist die typische Textur von Chicken-Nuggets gut nachzubilden, ist das bei einem Steak schwieriger. Die Zusammensetzung der Schichten von Muskelfasern und Fettgewebe zu imitieren birgt Tücken. Bisher fabriziertes Laborfleisch ähnelt eher Faschiertem. In Japan nutzten Forschende daher 3D-Druck und stellten durchzogene Fleischstücke her, die den berühmten Wagyu-Steaks ähneln.

63 Dollar für ein Kilo Laborfleisch

Bis dato ist es aber unmöglich, mit dem Preis herkömmlichen Fleischs zu konkurrieren. Selbst hochskaliert würde ein Kilo kultivierten Fleischs 63 US-Dollar kosten, so eine aktuelle wissenschaftliche Kalkulation. Ob der Preis in den kommenden 20 Jahren sinkt? Das sei ein Blick in die Kristallkugel, urteilt Hofmann. "Wir führen ideologische Diskussionen über den zu gehenden Weg, anstatt uns auf das Ziel zu konzentrieren", sagt er. Dieser Disput und die Frage nach dem Fleischersatz seien irreleitend, moniert der Forscher. 80 Gramm Fleisch pro Tag seien laut Planetary-Health-Diät eine vertretbare Menge, in den USA werden täglich 210 Gramm gegessen, in Europa 150 Gramm. "Wir müssen ganz einfach von diesem Überkonsum herunterkommen."

Fleischstücke in einer Vitrine
In den USA und in Europa wird außerordentlich viel Fleisch gegessen. In Österreich liegt der Konsum dreimal so hoch, wie vom Gesundheitsministerium empfohlen.
APA/dpa-Zentralbild/Jan Woitas

Welchen Gewinn die Reduktion tierischer Produkte um die Hälfte bringt, berechnete ein Team um Marta Kozicka vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse. Laut der Studie würden die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft bis 2050 um 31 Prozent sinken, die landwirtschaftlich genutzte Fläche um zwölf Prozent schrumpfen, was Wiederaufforstungen erlauben würde. So stünden Genuss, Klima und planetare Grenzen in besserem Einklang. (Marlene Erhart, 22.10.2023)