Herr Nachtigall erzählt bei unserer Begegnung von seiner Frau, die er, mit Unterstützung von 24-Stunden-Betreuung zuhause pflegt:

"Meine Frau und ich sind seit mehr als 60 Jahren verheiratet. Wir haben ein schönes Leben, trotz allem. Die erste Diagnose der Demenz wurde vor etwa zehn Jahren gestellt, die Wortfindungsstörungen sind uns aber schon vor etwa zwölf Jahren aufgefallen. Mittlerweile kann meine Frau nur mehr sehr wenig mit den uns bekannten Worten sprechen. Meine Frau und ich haben immer nach vorne geschaut, auch in schwierigen Situationen. Wir haben die Situationen genommen, wie sie waren, und uns gefragt, wie wir nun am besten damit umgehen. Das mache ich jetzt auch so. Es ist, wie es ist. Ich habe viele Bücher zum Thema Demenz und Validation gelesen, mich informiert und fortgebildet. Meine Aufgabe ist es, mich in die Welt meiner Frau zu begeben und ihr dort zu begegnen. Sie zu verstehen, auch wenn sie nicht die mir bekannten Worte verwendet. Ich muss mich auf meine Frau, unsere Situation und ihre Erkrankung einlassen und die Situationen, so wie sie sind, akzeptieren.

Unsere Kinder haben wir von Anfang an eingebunden. Nach der Diagnosestellung haben wir gemeinsam mit ihnen Vorsorge getroffen und vorausschauend geplant. Der Kontakt zu unseren Kindern ist auch jetzt gut, wobei die Kinder nicht in die Betreuung meiner Frau eingebunden sind. Das mache ich, gemeinsam mit den Pflegerinnen. Die Pflegerinnen an der Seite zu haben, gibt mir die Möglichkeit, mich auch um mich selbst zu kümmern. Das ist wichtig, damit ich in meiner Kraft bleibe und mich weiterhin um meine Frau kümmern kann. Nur so funktioniert es für mich. Natürlich ist meine und unsere Welt stark eingeschränkt, aber ich vergleiche nicht mit früher. Es ist, wie es ist, und ich bin glücklich."

Herr Nachtigall hat seine Erfahrungen als pflegender Angehöriger in seinem Buch "Anna, Alzheimer und ich" be- und verarbeitet: "Das Schreiben hilft mir, mich zu zentrieren und zu sortieren. Und ich hoffe, anderen Angehörigen etwas Unterstützung sein zu können."

Hände halten
Wenn die Partnerin oder der Partner an Demenz erkrankt, stellt diese viele Fragen an den geeigneten Umgang mit der Person.
Rainer Berg, via www.imago-image

Aus der Arbeit im Pflegeheim

Frau Babic leitet einen Wohnbereich der CS Caritas Socialis in Kalksburg, Wien. Gemeinsam mit ihrem Team begleitet sie Menschen mit Demenz, sowie deren An- und Zugehörige, bis zum Schluss. Sie berichtet folgendes über ihre Arbeit:

"Angehörige sind ein essenzieller Teil im Pflege- und Betreuungsnetz. Ohne sie würden wir viele Details der Biografien unserer Bewohnerinnen und Bewohner nicht kennen, da sie selbst uns oftmals nicht mehr erzählen können, was sie geprägt hat. Was sie glücklich oder traurig gemacht hat, wie ihre Rituale ausgesehen haben. Diese Informationen helfen uns zu verstehen, was unsere Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem Verhalten ausdrücken wollen. Welche Verluste sie durch die Demenz erleben und was sie zurücklassen müssen. Dieses Verlusterleben erzeugt Leid und Schmerz auf unterschiedlichen Ebenen. Um dieses Leid, das Menschen am Ende ihres Lebens erleben, erfassen zu können, ist es wichtig, Total Pain zu kennen und zu verstehen. Zu verstehen, dass es mehr als den körperlichen Schmerz und das körperliche Leid gibt. Den seelischen und sozialen Schmerz zum Beispiel. Gleichzeitig müssen wir bei Menschen mit Demenz immer bedenken, dass ihre Schmerzäußerungen anders als unsere sind.

Wir haben zum Beispiel vor einiger Zeit Herrn L., einen Herren mit fortgeschrittener Demenz, begleitet. Als Herr L. bei uns eingezogen ist, war er ruhig und hat zufrieden gewirkt. Im Laufe der Zeit wurde er jedoch immer aggressiver, hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und andere Bewohnerinnen beschimpft. Einer der ersten Gedanken galt dem sozialen und psychischen Leid, da Herr L. aus seiner gewohnten Umgebung weg- und bei uns im Pflegewohnheim einziehen musste. Wir begegneten ihm validierend und mäeutisch, aber sein Verhalten blieb unverändert. Wir haben sein Verhalten und die Auswirkungen im Team besprochen und sind dadurch auf die Spur eines körperlichen Schmerzes gekommen. Gemeinsam mit unserer Ärztin konnten wir den körperlichen Schmerz von Herrn L. behandeln und sein Verhalten veränderte sich sehr schnell."

Notwendigkeit des geübten Umgangs

Im Jahr 2050 werden 135 Millionen Menschen 65 Jahre und älter sein. Dieser Zuwachs an älteren Menschen bedeutet auch einen Zuwachs an Menschen mit Demenz. Alzheimer Europe schätzt, dass im Jahr 2050 allein in Europa 14 Millionen Menschen an Demenz erkrankt sein werden, was einer Steigerung von 50 Prozent entspricht – etliche dieser Menschen werden entweder in Pflegeheimen, von der mobilen Hauskrankenpflege, 24-Stunden-Betreuer:innen und pflegenden Angehörigen zu Hause oder auf Palliativstationen, in stationären Hospizen, von mobilen Palliativteams oder Hospizteams betreut werden.

Diese Perspektive macht es unumgänglich, dass alle in die Pflege und Betreuung involvierten Personen – ob professionelle Pflege-Mitarbeiter:innen oder pflegende An- und Zugehörige – im Umgang und der Kommunikation mit Menschen mit Demenz geschult werden.

Eine Kommunikation mit Empathie und Verständnis

Ein zentraler Baustein in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist die Validation. Das Wort Validation leitet sich aus dem Englischen "to validate" – etwas bestätigen oder für gültig erklären – ab. Die US-Amerikanische Gerontologin Naomi Feil brachte die Technik der Validation in den 1990er Jahren nach Europa. Sie selbst war in einem von ihrem Vater geleiteten Altersheim aufgewachsen und hatte in jahrelanger Beobachtung und Forschung die Technik der Validation entwickelt.

Validation ist eine Kommunikationsmethode, um mit dementen Personen in Kontakt zu treten und den Umgang mit ihnen zu erleichtern. Sie lehrt, mittels Empathie, die Wirklichkeit des dementen oder desorientierten Menschen anzuerkennen, zu verstehen und wertzuschätzen. Validierende Grundhaltung bedeutet "in den Schuhen des anderen zu gehen". Anstatt mit verwirrten Menschen zu schimpfen oder ihnen rational zu erklären, warum sie ihre Handtasche nicht mit aufs WC zu nehmen brauchen, wird bei der Validation anerkannt, dass die Handtasche einen wichtigen Teil der Identität darstellt, der nicht einfach "aufgegeben" werden kann. "Schwieriges" Verhalten, das für das soziale Umfeld nervenaufreibend ist, kann durch Validation reduziert werden, manchmal sogar verschwinden oder Pflegende und Angehörige lernen zumindest, besser damit umzugehen.

Die vier Grundprinzipien der Validation von Menschen mit Demenz lauten dementsprechend:

Petra Fercher, Validationstrainerin und Autorin, schreibt dazu folgendes:

"Naomi Feil hat vier Phasen im Stadium des Aufarbeitens definiert, in denen sich alte, desorientierte Menschen befinden können. Der Übertritt in eine nächste Phase bedeutet einen weiteren Rückzug aus der Realität. In jeder dieser Phasen sind andere verbale und nonverbale Validationstechniken sinnvoll. Durch die Validation entsteht eine einfühlsame (empathische) Grundhaltung gegenüber den Menschen, die dauerhaft eingenommen werden soll. Die verschiedenen Validationstechniken wenden Sie hingegen jeweils nur für einige (zirka 5 bis 15) Minuten an.

Um das zu können, müssen Sie sich zuerst 'zentrieren': Nehmen Sie sich vor der Validation einen Moment Zeit, um tief einzuatmen und ihre Körpermitte zu finden. Lassen Sie Ihre Gefühle und Urteile für die Zeit der Validation draußen – konzentrieren Sie sich ganz auf den verwirrten Menschen, beobachten Sie ihn und nehmen Sie ihn als Person war. Zu Ihren Gefühlen (zum Beispiel Enttäuschung, weil der alte Mensch Sie nicht erkennt) kehren Sie erst nach Ablauf der Validation zurück und reflektieren diese."

Total Pain, die Dimensionen des Leids

Ein weiterer, zentraler Baustein ist das Wissen um Total Pain. Total Pain ist ein Modell der Schmerzbetrachtung, das von Dame Cicely Saunders entwickelt wurde. Sie hat in ihrer Arbeit mit Schwerstkranken und Sterbenden erkannt, dass Schmerz und Leid mehr als die bloße physische Dimension in sich vereinen. Cicely Saunders erkannte und benannte die soziale Dimension, die psychische Dimension und die spirituelle Dimension. Schmerz besteht aus vielen Teilen, und wird dadurch allumfassend, zu allumfassendem Leid. Sie nannte dieses allumfassende Leid treffend "Total Pain".

Die von ihr beschriebenen Dimensionen sind:

Die Herausforderung für alle in der Pflege und Betreuung Tätigen, aber auch für die An-und Zugehörigen ist es, diese Vielschichtigkeit des Leids auszuhalten und mitzutragen. Dazu ist der regelmäßige Austausch mit anderen unbedingt notwendig, um zu reflektieren, um den eigenen Schmerz und das eigene Leid nicht mit dem der zu betreuenden oder zu pflegenden Person zu vermischen. Die Herausforderung ist es, zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen, diese bewusst wahrzunehmen und dieses Wissen in den Umgang mit den zu betreuenden Menschen zu integrieren.

Förderung von Ausbildungen notwendig

Die validierende Grundhaltung, das absichtslose Anerkennen der Welt des anderen, die Techniken der Validation, sowie das Wissen um Total Pain sind Kompetenzen, die ausgebildet und geschult werden müssen. Um stabile Brücken zwischen den pflegenden und betreuenden Menschen und den Menschen mit Demenz zu bauen, sind diese Kompetenzen unumgänglich. Förderungen und Finanzierungen der dafür notwendigen Aus- Fort und Weiterbildungsangebote muss selbstverständlich werden. Denn Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, 25.10.2023)