Mediation sollte Konflikte lösen. Doch in einer Welt der fatalistischen Nachrichten, die von oben und unten, rechts und links auf einen einstürzen, ist dieser Anspruch nicht immer leicht zu erfüllen. Auch wir, die wir uns mit den Konflikten anderer beschäftigen, sind nicht davor gefeit, nachdenklich zu werden. Gelegentlich fühlt man sich wie an Bord jenes bekannten Riesenschiffes, das schon Herrn DiCaprio und Frau Winslet bis zum Eisbergcrash beherbergte.

Wenn man aufgrund einer Mediation wieder die Hände schütteln kann, so ergibt sie Sinn. So "klein" der Konflikt auch sein mag.
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Und doch müssen wir weiter

Die Entscheidung, sich als Mediator selbstständig zu machen, war keine vernünftige, oder zumindest keine primär auf Vernunft basierende Entscheidung. Als ich die Ausbildung abschloss, war ich noch Jurist bei einer Investmentbank, doch fühlte ich mich dort nie zu Hause. Selbst wenn das Schmerzengeld beachtlich war. Doch da war der Wunsch, mitgestalten zu dürfen und an Weichenstellungen beteiligt zu sein. Diese Überlegung, die damals am Wifi gelernten Skills nicht nur pro forma erworben zu haben, sondern damit auch tatsächlich zu arbeiten, war daher einfach folgerichtig. Ich wollte nicht nur arbeiten, ich wollte das tun, was ich auch war. Nun, daher wurde ich Mediator.

Etwas beitragen

In einer Zeit der Schlag-Zeilen, die wie der sprichwörtliche Tropfen auf den Stein foltergleich immer wieder auf die gleiche Gemütsstelle prasseln, wäre es so wichtig, an Konflikten zu arbeiten und sie zu entschärfen. Beizutragen, dass die Lunte des Pulverfasses ein wenig länger wird oder vielleicht gar zum Erlöschen kommt. Aber ist das so? Ändert eine Mediation die Welt? Ändern wir die unglaublich Zahl von Verbrechen, ändern wir die aggressive Stimmung auf der Straße oder die egozentrischen Zeitgenossen?

Nein, die Schlagzeilen ändern wir nicht. Jene permanenten Tropfen der Mieselsucht, die wie aus einem undichten Wasserhahn derzeit auf ein einrieseln, stoppen wir nicht. Doch vielleicht gibt es die Chance, da den einen, den nächsten Konflikt, der sich irgendwie am Horizont meldet, zu entschärfen. Vielleicht können wir durch den Anruf bei Frau X oder Herrn Y zumindest so weit deeskalieren, dass die kommende Nacht ohne Polizeieinsatz erfolgen kann. Ja, vielleicht setzen sich die beiden sogar zusammen und nutzen diese institutionalisiere Form der Konfliktaustragung anstatt des üblichen verbalen Freistilringens.

Ja, es ist ein Job. Und manchmal wünschte ich, es wäre "nur" ein Job. Einer, den man irgendwann ablegen kann und dann einfach ganz unbeeindruckt von den Erlebnissen auf ein Bier gehen. Beschäftigt man sich aber nicht nur aus reinem Gelderwerb mit dem Thema Konflikt, so gehen einem die aktuellen Entwicklungen etwas näher. Vielleicht zu nahe, kann sein. Doch wie sollen empathische Menschen sich dieser Stimmung verschließen? Sollen wir das denn überhaupt? Wundervolle Kollegen haben schon in Seminaren die Dynamiken der Kriege erklärt. Sie haben geschildert, wie und warum die Konflikte entsprechend eskalierten, doch ist unser Ziel nicht mehr als die wissenschaftliche Erklärung?

Ziel der Mediation sollte doch der Beitrag zur Deeskalation sein. Wie aber können Ukrainer und Russen, Israelis und Palästinenser überhaupt jemals wieder zusammenkommen? Welchen Beitrag kann ich, können wir hier leisten? Welche Dialogplattformen kann es geben, wie verhindern wir ein weiteres Ausbreiten dieses Großbrandes des Hasses auf die ganze Welt? Ach, ich hab keine Ahnung und im Endeffekt auch kein Leiberl. Doch was, wenn genau dies eben nicht meine Sache ist? Marcus, mein Schulfreund, arbeitet für internationale Organisationen. Derzeit in Miramar, früher für OSCE und Uno. Marcus, Uno und Co sollen ihren Job machen, es ist nicht meiner. Die Internationale Mediation steht auf der großen Bühne und hat ihre eigenen Regeln. Ihr Marcusse der Welt, ich beneide euch nicht, aber ich weiß, dass ihr mehr als gut seid. Ihr macht das schon.

Was man beeinflussen kann

Vom amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr stammt ein Text, in dem er Gott um Gelassenheit bittet, nämlich die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die er nicht ändern kann. Ebenso aber bittet er um den Mut, Dinge zu ändern, die er ändern kann, und vor allem auch um die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Vielleicht geht es ja darum, sich dahingehend zu erden, die höchstpersönlichen Aufgaben nicht im Nebel des Irrsinns zu übersehen.

Ein Auftrag kommt rein

Erst heute wieder kamen zwei Aufträge herein. Nachbarn streiten. Keine Staaten, keine Parteien. Nachbarn, die seit Jahren einander nur vom Wegsehen oder maximal vom Tonfall des "Ruhe!" kennen. Ja, das ist nun wieder der Sinn. Wenn es eine Chance gibt, hier ein wenig zu deeskalieren, so ist unsere Tätigkeit bei aller Fehlerhaftigkeit und bei allen Problemen vielleicht doch die Chance, eine Abzweigung vor der letzten Eskalation zu bauen. Und dann können wir die Schlagzeilen beeinflussen, wir können verhindern, dass sie geschrieben werden. Sorry, STANDARD, aber wenn ich es auch nur bei einer einzigen Schlagzeile jemals geschafft haben sollte, dass sie eben nicht das Licht des Bildschirms erblickt, so passt das schon.

Schaffen wir es, dass Kinder vielleicht ohne schlechtes Gewissen vom Wochenende beim Papa erzählen können oder dass Geschwister sich nach zehn Jahren wieder die Hände reichen, so ist die Welt nicht gerettet. Aber der Job ist getan. Ein Konflikt wurde gelöst. Und dann noch einer. Und irgendwie macht das dann doch Sinn. Oder?

Ein Danke an Sie

Werte Leserinnen, werte Leser dieses Blogs. Sorry, dass diesmal keine Fälle, keine Beispiele aus der Praxis zu lesen sind. Ich plane schon den nächsten Beitrag zur Nachbarschaftsmediation. Diesmal aber musste ich eher für mich selber schreiben. Denn in einer Welt der Mieselsucht braucht auch Ihr Mediator einen kleinen Pfeil am Wegesrand, um die Orientierung zu behalten. Ich danke euch, ich danke Ihnen übrigens herzlichst für alles bisherige Feedback, der Austausch tut gut. (Ulrich Wanderer, 23.10.2023)