Serbien oder Kosovo? Palästinenser oder Israel? Ukraine oder Russland? Diese und ähnliche Fragen stellen ihr ihre Schüler und Schülerinnen jedes Mal, wenn es irgendwo auf der Welt brennt, sagt eine Mittelschullehrerin. Sie arbeitet seit über 25 Jahren in unterschiedlichen Wiener Haupt- bzw. Mittelschulen. Während der Jugoslawienkriege sei sie als junge Lehrkraft sehr von den "schrecklichen Erzählungen ihrer Schüler" überfordert gewesen. Inzwischen sind zahlreiche andere internationale Konflikte in Österreichs Klassenzimmer eingezogen. "Als Lehrerin fühlt man sich machtlos, die Kinder und ihre Eltern tragen ganz arge Dinge in sich". In den vergangenen Jahren hätten vor allem die Aggression und das "Schwarz-Weiß-Denken" zugenommen, sagt die Mittelschullehrerin.

Antisemitismus war auch vorher da

Auch in höheren Schulen macht der Krieg vor den Klassenzimmern nicht halt. Die Situation jetzt sei aber nicht vergleichbar mit dem Krieg zwischen der Ukraine und Russland, sagt ein Lehrer für Geschichte an einer berufsbildenden höheren Schule (BHS). Zwar hätten sich da sehr viele serbische Jugendliche emotional eingebracht und oft auf die russische Seite gestellt. "Aber die Ressentiments sind beim Krieg zwischen Israel und den Palästinensern viel größer", sagt der in Wien unterrichtende BHS-Lehrer. "Es ist auch kein Wunder, ich habe Schüler, die beispielsweise in Syrien aufgewachsen sind. Da wird über Israel natürlich ganz anders gesprochen."

Israel Palästena Krieg in der Schule
Wenn Krieg auch auf dem Schulhof zum Thema wird, sind Lehrer gefordert. Der Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) sagte am Donnerstag, die Schulen seien dafür gut gerüstet.
Christian Fischer

Antisemitismus habe es aber auch schon vor dem 7. Oktober gegeben, "und das definitiv nicht nur von Schülern aus der arabischen Community, das ist viel breiter", betont der Geschichtslehrer. Schmierereien wie durchgestrichene Davidsterne, Klischees über Jüdinnen und Juden, das komme immer wieder an die Oberfläche. Ein besonders drastisches Beispiel hat sich in einer anderen Wiener Schule zugetragen: Der Klassenmistkübel wurde mit einem Davidstern bemalt, Juden vor der Schule beschimpft, Hitlergrüße gezeigt.

Social Media statt Schule

Woher all das kommt? "Der Medienkonsum spielt eine Rolle. Und die Schüler konsumieren fast ausschließlich soziale Medien", sagt der BHS-Lehrer. Er versuche, in seinen Unterrichtsstunden auch einen kritischen Umgang damit zu vermitteln. Die Gelegenheit dazu hat er aber nicht gerade oft, denn Geschichte und politische Bildung wird in manchen BHS-Jahrgängen gar nicht unterrichtet.

Auch ein junger Mittelschullehrer beschreibt die Dramatik: "Ich habe zwei Schulstunden in der Woche Zeit, um mit ihnen zu reden. Sie hängen aber jeden Nachmittag stundenlang auf Tiktok."

Am Wochenende seien sehr viele Schüler und Schülerinnen außerdem "stundenlang in der Moschee oder in Vereinen", wo sie auch Dinge vermittelt bekämen, die konträr zu den Werten seien, die die Schule vermitteln solle, sagt die langgediente Mittelschullehrerin.

Was Lehrpersonen belastet

Von der Schule werde zu viel erwartet, man könne im Unterricht einfach nicht alles auffangen. "Wenn es um Übergewicht geht, sollen die Schulen das regeln, das Gleiche gilt für die Mediensucht oder eben für Konflikte entlang ethnischer und religiöser Grenzen." Sie persönlich fühle sich gut informiert und gerüstet, würde sich aber mehr Unterstützung von Psychologinnen und Sozialarbeitern wünschen sowie Vernetzung untereinander. Das Einzige, was sie nach 25-jähriger Berufserfahrung noch immer mit großer Wucht treffe, sei die Erkenntnis, "dass im 21. Jahrhundert für manche Menschen die Religion noch immer eine so große und alles bestimmende Rolle im Alltagsleben spielt".

Auch der BHS-Geschichtslehrer sagt: Die persönlichen Ansichten der Jugendlichen, das wirke und mache etwas mit einem. Er sei mittlerweile viel abgebrühter als zu seinen Anfangszeiten vor ein paar Jahren: "Ich trage bei tagespolitischen Themen viel mehr frontal vor und lasse weniger Diskussionen zu. Ich kann mir nicht mehr jede Meinung, die mir nicht passt, zu Herzen nehmen."

Unterstützung gewünscht

Zu denken geben die Äußerungen ihrer Schülerinnen und Schüler auch einer Berufsquereinsteigerin aus einer Mittelschule in Ottakring. Sie macht sich vor allem Gedanken über die persönliche Beziehung zu den Kindern: Wie solle man damit umgehen, wenn der Lieblingsschüler sagt, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sei "gut für Russland und gut für Serbien"? In der Klasse sei es immer ein Balanceakt zwischen Faktenvermittlung, der Verteidigung der eigenen Werte und dem Aufzeigen der Grenzen in einem demokratischen Diskurs.

Um besser für Gespräche über aktuelle internationale Konflikte, ethnischen Hass oder religiöse Ansichten gerüstet zu sein, wünschen sich die Quereinsteigerin und der junge Mittelschullehrer strukturierte Unterstützung. Derzeit würden engagierte Lehrkräfte in Eigeninitiative Materialien zusammentragen, man tausche sich aus. Diese Woche fand außerdem im Audimax der Pädagogischen Hochschule in Wien eine Fortbildungsveranstaltung für Lehrkräfte zum Thema "Pädagogische Herausforderungen im Umgang mit dem Krieg gegen Israel" statt.

Genügend Konfliktpotenzial

Anlässe für Debatten gebe es aber auch ohne kriegerische Auseinandersetzungen zur Genüge und immer wieder, sagt der BHS-Lehrer: Beim Umgang mit Sexualität beziehungsweise Homosexualität etwa, die einige seiner Schüler nicht gutheißen würden. Die gute Nachricht: Er habe schon das Gefühl, dass er zu den Schülern durchdringe und viele ihre Positionen zumindest überdächten. (Lara Hagen, Olivera Stajić, 20.10.2023)