Am zweiten Verhandlungstag war Sebastian Kurz schweigsam. Jedenfalls als er den Vorraum des Großen Schwurgerichtssaals des Wiener Straflandesgerichts betrat, in dem bereits zahlreiche Medienleute auf ihn warteten. Nur wenige Worte richtete der Exkanzler an die Journalisten. Später in der Verhandlung sollte er dann aber wesentlich gesprächiger sein. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft dem Altkanzler und seinem einstigen Kabinettschef Bernhard Bonelli Falschaussagen vor dem parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss im Sommer 2020 vor. Im Kern geht es dabei um Kurz' Aussagen rund um die Bestellung des damaligen Generalsekretärs im Finanzministerium Thomas Schmid zum Alleinvorstand der staatlichen Beteiligungsholding Öbag und zur Besetzung von deren Aufsichtsrat.

Sebastian Kurz vor Gericht
Kurz
Sebastian Kurz, ganz wie früher im Zentrum der Aufmerksamkeit.
APA/ Helmut Fohringer

Opposition wollte Kurz "zerstören"

Zunächst wollte Kurz "einige Dinge klarstellen": Auf seinen Auftritt im U-Ausschuss im Juni 2020 sei er "nicht sehr gut vorbereitet" gewesen, er habe Angst davor gehabt, in ein Strafverfahren gezogen zu werden; die Opposition habe ihn "einfach zerstören" wollen. Er habe daher sinngemäß vorsichtig formuliert, trotzdem interpretiere ihn die WKStA bewusst falsch – da geht es etwa darum, dass Kurz ein "Na" als Widerspruch gemeint habe, nicht als "Nein". In der Befragung ging es damals eben vor allem um die Hintergründe zu Thomas Schmids Bestellung als Chef der Staatsholding Öbag. "Wenn jemand das System beherrscht hat, dann Thomas Schmid", sagte Kurz. Er habe versucht, allen ein gutes Gefühl zu geben, und gewusst, dass Schmid gute Karten für den Öbag-Chefposten habe. Über die Aufsichtsratsmitglieder, die Schmid dann als Alleinvorstand bestellten, habe Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) entschieden, betonte Kurz erneut.

Er habe Ideen eingebracht – etwa den ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg oder den Unternehmer Siegfried Wolf –, die seien aber nicht in den Öbag-Aufsichtsrat gekommen. Danach spielte Richter Michael Radasztics Tonaufnahmen von Kurz' Befragung im U-Ausschuss ab. Kurz sagte dazu, dass er in seiner Antwort unterbrochen worden sei, vieles habe er im U-Ausschuss nicht mehr gewusst, aber versucht, wahrheitsgemäß zu antworten. Er sei eingebunden gewesen, habe aber nicht entschieden. Das Verfahren habe Kurz jedenfalls die "Freude an der Politik geraubt". Kurz habe versucht, Schmid einzubremsen, so erklärte er auch seine Chatnachrichten wie "Kriegst eh alles was du willst". Schmid habe seine Rolle möglichst machtvoll anlegen wollen, erläuterte Kurz. Wäre Wolf Aufsichtsratsvorsitzender geworden, wäre dieser mit Schmid "Schlitten gefahren", erklärte Kurz. Dessen Russland-Nähe wäre kein Problem gewesen, sei Türkis-Blau ja eine "Russland-freundliche Regierung" gewesen. Eine weitere Falschaussage sieht die WKStA rund um Kurz' Antworten zu einer Personalvereinbarung zwischen Schmid und dem damaligen ÖBB-Manager Arnold Schiefer, der für die FPÖ als Verhandler tätig war. Vor dem U-Ausschuss hatte Kurz erklärt, diese Vereinbarung nicht zu kennen; die WKStA vermutet anhand von Chats anderes.

Video: Kurz-Prozess: Ex-Kanzler nahm erstmals vor Gericht Stellung.
APA/bes

"Schwachsinn"

Vor Gericht sagte Kurz, es sei "ein Schwachsinn", dass es, wie von der WKStA behauptet, nur zwei Vereinbarungen über Personal zwischen Türkis und Blau gegeben habe. Es sei "oft etwas vereinbart worden", und das, was Schmid und Schiefer ausgemacht hätten, "war nicht das, was ich ausgemacht habe". Fragen der WKStA beantwortete Kurz nicht, seine Einvernahme war nach rund fünf Stunden (mit Pausen) vorbei. Bei diesen Ausführungen war die frühere Kurz-Stellvertreterin an der ÖVP-Spitze, Bettina Glatz-Kremsner, nicht mehr dabei. Sie hatte bereits am ersten Tag der Verhandlung, am Mittwoch, ein Diversionsangebot des Richters angenommen. Schon an diesem Tag war Kurz im Mittelpunkt des regen medialen Interesses im Großen Schwurgerichtssaal gestanden – und der Ex-Kanzler hat selbiges auch genützt. Seine Ankunft im mit Medienleuten gefüllten Vorraum war da zu einem Doorstep wie in früheren Zeiten vor einem Ministerrat geraten. Kurz, mit mehreren Mitarbeitern angereist, verkündete dort seine Sicht der Dinge, griff erneut die WKStA an und warf ihr vor, im "Zusammenspiel mit der Politik" zu agieren. Man habe ihm das Wort im Mund umgedreht.

Glatz-Kremsner, von der WKStA wegen falscher Zeugenaussage im Casinos-Ermittlungsverfahren und vor dem Ibiza-U-Ausschuss angeklagt, äußerte sich dagegen erst vor dem Richter. Sie soll ja den Ermittlern ihr Wissen über politische Hintergründe zur Bestellung des Casinos-Austria-Vorstands verschwiegen haben. Es geht um die Zeit vor Mai 2019, als sie selbst Vorstandsvorsitzende und der FPÖ-Mann Peter Sidlo Finanzvorstand der Casag wurden.

Glatz-Kremsner muss bangen

Nach Erscheinen des Ibiza-Videos nahmen die Ermittlungen rund um diese Postenbesetzungen an Fahrt auf, die WKStA vermutet einen Deal zwischen der FPÖ und der damaligen Casag-Miteigentümerin Novomatic. Im Zuge dieses Verfahrens war Glatz-Kremsner zunächst als Zeugin einvernommen worden. Bei dieser Befragung habe sie "Dinge nicht gesagt, die ich hätte sagen sollen", sie habe sich "kleingeredet", auch um weiteren Schaden vom damals ständig in den Schlagzeilen stehenden Unternehmen abzuwenden.

Das sagte Glatz-Kremsner bei ihrer Befragung durch Richter Radasztics aus. Sie erklärte ihr Verhalten vor den Ermittlern und im U-Ausschuss mit ihrer damaligen Arbeitsüberlastung und räumte quasi ein, dass sie die Befragungen auf die leichte Schulter genommen habe. Heute wisse sie, dass das falsch gewesen sei, und es tue ihr auch leid. Aus der rechtlichen Sicht des Richters war das genug für eine Diversion. Die setzt voraus, dass die Angeklagten die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und weder spezial- noch generalpräventive Maßnahmen dagegensprechen. Glatz-Kremsner willigte ein, binnen 14 Tagen eine vom Richter errechnete Geldbuße in der Höhe von 104.060 Euro zu bezahlen. Ganz aus dem Schneider ist Glatz-Kremsner damit aber noch nicht. Die WKStA kann, sobald das Geld bezahlt ist und der Richter seinen Einstellungsbeschluss zugestellt hat, Beschwerde einlegen. Dann ist das Oberlandesgericht (OLG) Wien am Zug. In einem ähnlichen Fall hat es eine Diversion bereits gekippt. (Fabian Schmid, Renate Graber, 20.10.2023)