Gottfried Helnwein zählt zu den prominentesten Künstlern Österreichs und wird hierzulande entsprechend hofiert – von Museumsmanagern, vom Kunsthandel und auch von Regierungsprominenz. Oft traf der Künstler etwa Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP): 2018 bei der ersten Ringturmverhüllung mit einem Sujet Helnweins (I saw this), kurz darauf beim Staatsbesuch in Irland, im Bundeskanzleramt (2018, 2020) und beim Weihnachtspunsch. Wer sich bei solchen Auftritten in wessen Ruhm sonnte, blieb unklar.

Helnwein
Der Künstler Gottfried Helnwein am Freitag, 06. Oktober 2023, im Rahmen der Präsentation der Verhüllung des Wiener Ringturms mit dem Thema 'Gegen Gewalt'.
APA/GEORG HOCHMUTH

Zwischendurch kam sogar die Idee eines eigenen Museums auf, wie der "Malerfürst" im aktuellen News-Interview erzählt. Vor Jahren schon habe ihm der damalige niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) ein solches angeboten, zuletzt soll auch Kurz diesen Wunsch geäußert haben. "Wer weiß, was die Zukunft bringt", merkt der zwischen Irland und Florida pendelnde Künstler an. Sein künstlerischer Nachlass, so viel steht schon fest, wird in Österreich eine Heimat finden: nicht in der Albertina und auch nicht am Standort des ehemaligen Essl-Museums, das er "als Museum meiner Werke" für "völlig ungeeignet" hält, wie auf Anfrage in Erfahrung zu bringen war.

Um Worte selten verlegen

Die für sein Business relevante Bühne bekommt Helnwein, der am 8. Oktober seinen 75. Geburtstag feierte, schon länger von Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder: etwa ab kommender Woche mit der zweiten großen Retrospektive ("Realität und Fiktion") innert zehn Jahren, zusätzlich zur Präsentation seiner Arbeiten zu anderen Gelegenheiten oder mit Gastauftritten im Youtube-Kanal des Museums, wo er über Werke der Klassischen Moderne doziert.

Um Worte ist Gottfried Helnwein selten verlegen, insbesondere nicht, wenn es um die Gefahren der Political Correctness oder die zunehmende kommerzielle Orientierung der Kunst geht. Oder auch um Donald Trump, der die Präsidentschaftswahl der USA 2024 gewänne, so er nicht vorher eingesperrt, umgebracht "oder die Wahlen massiv gefälscht" würden, wie er News jetzt erklärte.

Worüber der Künstler dagegen öffentlich nicht zu sprechen bereit ist: über seine Verbindungen zu Scientology, die er in der Vergangenheit teils vehement bestritt. Dem STANDARD vorliegenden Dokumenten zufolge wurde Helnwein im Jahr 1972 Mitglied dieser umstrittenen Organisation. Deren Boss David Miscavige gründete 2018 den Privatsender Scientology-Network, auf dem Helnwein mit einer Doku (Gottfried Helnwein and the Dreaming Child, 2011) gefeaturt wird.

Die alljährlich anlässlich des Geburtstags ihres Gründers L(afayette) Ron Hubbard veranstaltete Gala im Scientology-Mekka Clearwater (Florida) besuchte das Ehepaar Helnwein zuletzt 2019 ebenso wie den anschließenden "Patrons"-Ball für Großspender der Organisation. Solche Veranstaltungen sind nur Mitgliedern vorbehalten. Seit der Pandemie fanden keine mehr statt.

Scientology Gala
Gottfried Helnwein wurde 1972 Mitglied von Scientology, noch 2019 nahm er an Veranstaltungen teil. Rot eingekreist: Das Ehepaar Helnwein.
Church of Scientology

Auf die Frage nach seiner Mitgliedschaft antwortet Helnwein ausweichend. "Gegen derartige Vorwürfe habe ich mich in der Vergangenheit gewehrt, indem ich beim Deutschen Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsklage eingereicht habe", teilt der Künstler auf Anfrage des STANDARD mit. Das Gericht habe 1999 einstimmig entschieden, dass Helnweins Persönlichkeitsrechte verletzt worden seien. Da ging es allerdings um eine Reihe von Behauptungen. Dass Helnwein zumindest zeitweise Scientologe war, stellte das Oberlandesgericht Frankfurt fest. Auf einen langen Fragenkatalog sowie Nachfragen – etwa zu seinem Erscheinen bei der Scientology-Gala – reagierte Helnwein nicht.

Obwohl er aus Sicht von Scientology wohl wertvolle Arbeit geleistet hat, wie die Organisation in ihren Medien über die Jahre berichtete. Etwa als er 1976 in Wien mit dem sogenannten Zentrum für Kunst und Kommunikation ein "Celebrity Center" gründete. Diese Organisationseinheiten sind für die Gewinnung von Prominenten zuständig, um sie für Propagandazwecke zu nutzen.

Per Auditing zum "Thetan"

In den USA ist Scientology als Religionsgemeinschaft anerkannt, ein Status, der mit einer Steuerbefreiung verknüpft ist. In Europa wird die Gemeinschaft von Experten und einigen Sicherheitsbehörden dagegen als demokratiefeindlich eingestuft. Sie untergrabe Grund- und Menschenrechte, unterdrücke die freie Meinungsäußerung und strebe ein totalitäres Herrschaftssystem an, wie deutsche Verfassungsschützer betonen.

Letztere warnen auch vor der Unterwanderung von Firmen, Behörden sowie Bildungs- und Kultureinrichtungen durch Scientology. In Österreich steht die als Verein organisierte Gruppe derzeit nicht im Fokus, wiewohl man alle Formen des Extremismus im Rahmen des gesetzlichen Auftrages bekämpfe, wie die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) auf aktuelle Anfrage informiert.

KK Helnwein
Im April 1976 eröffnete Gottfried Helnwein in Wien das als „Celebrity Center“ fungierende „Zentrum für Kunst und Kommunikation“, wie das Scientology-Magazin „The Auditor“ im September des gleichen Jahres berichtet.
Privatarchiv

Die Liste der Vorwürfe gegen Scientology ist lang. Der Glaubenssatz der Gemeinschaft beruht auf den Lehren des 1986 verstorbenen Gründers und Autors Hubbard. Vereinfacht gesagt wurde der "Thetan", das unsterbliche Wesen des Menschen, durch traumatische Ereignisse massiv beeinträchtigt. Durch "Auditing", eine Mischung aus Verhör, Beichte und anderen Praktiken, kann man wieder zum "Thetan" optimiert werden. In solchen Sitzungen müssen Mitglieder ihre intimsten Geheimnisse offenlegen, die gesammelt und ausgewertet werden. Die Gebühren für Kurse und Auditing können in die Millionen Euro gehen. Viele Aussteiger berichten von damit verbundenem finanziellen Ruin.

Hinzu kamen zuletzt vermehrt Berichte ehemaliger Mitglieder wie der US-amerikanischen Schauspielerin Leah Remini, die in ihrer TV-Dokumentation Ein Leben nach Scientology körperliche und emotionale Gewalt bis hin zu schwerem sexuellen Missbrauch thematisierte. Aktuell sieht sich Scientology-Chef Miscavige mit einer Anklage wegen Kindesentführung, Kinderhandel und Kinderarbeit konfrontiert. Der Schauspieler Danny Masterson, ebenfalls Scientologe, wurde in einem Strafprozess wegen Vergewaltigung jüngst zu zumindest 30 Jahren bis lebenslanger Haft verurteilt.

Gottfried Helnwein setzt sich derweil in Österreich für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen ein, konkret im Rahmen der von UN Women Austria betreuten UN-Kampagne Orange the World, für die er großformatige Plakate schuf, die 2021 die Oper und das Schauspielhaus in Graz schmückten.

Die Motive zeigten "sehr deutliche Abbildungen von sexualisierter Gewalt", auf deren "retraumatisierende Wirkung" im Umfeld einer Fachtagung hingewiesen wurde. Damit könnten zeitgleich die Fantasien von Gewalttätern bedient werden. Zu sehen waren die Sujets auch im Volkskundemuseum in Wien. Im Sommer 2022 wurden sie zerschnitten, zu kleinen Bildern und Taschen verarbeitet und von Helnwein signiert. Der Verkaufserlös von rund 10.000 Euro kam Frauenhilfsorganisationen zugute, wie das Museum informiert.

"Pillenzöglinge"

Die Auseinandersetzung mit den Themen Schmerz, Verletzung und Gewalt prägt das Schaffen des 1948 in Wien geborenen Künstlers, wobei ihm "die Figur des verletzbaren und wehrlosen Kindes" als zentrales Motiv dient, ist auf der Website der Albertina nachzulesen. Berichten in Scientology-Publikationen zufolge vertreten diese Werke beispielhaft die Doktrin Hubbards: etwa wenn es um "den chemischen Krieg gegen Kinder" geht, die Helnwein als "Pillenzöglinge" visualisiert.

Fragen dazu ließ Helnwein, wie erwähnt, unbeantwortet – auch jene, ob sich dieser Faktor für den Verkauf seiner Kunst (an Scientology-Kunden) als förderlich erwiesen habe.

In einem Interview mit dem Profil Mitte der 1990er-Jahre betonte Scientology-Boss Miscavige die Vorbildfunktion von Künstlern, vor allem für den "Kampf gegen Drogen und Unmoral" wären sie für Scientology "von großer Hilfe". Während die Organisation in Hollywood in den 1980ern viele berühmte Anhänger gewinnen konnte – etwa John Travolta oder Tom Cruise –, gelang die Rekrutierung von Promis im deutschsprachigen Raum kaum. Insofern stellt Helnwein eine Ausnahme dar.

Bereits 1997 dokumentierte Peter Reichelt, Co-Autor dieses Artikels, in seinem Buch Helnwein und Scientology – Eine Organisation und ihr Geheimdienst erstmals die umfangreichen Scientology-Connections des Künstlers. Als er im März 2000 für die ARD eine Reportage über Helnwein drehte, hatte Reichelt auch ein Interview mit dem Künstler geplant, mit dem er früher beruflich zu tun hatte. Während der Dreharbeiten stürmte jedoch ein Scientology-Mitglied aus der in Clearwater gelegenen Helnwein-Villa und attackierte das TV-Team mit einem Hammer.

Illustration von Helnwein
Pillenzöglinge
Den von Scientology angeprangerten "Chemischen Krieg gegen Kinder" visualisierte Helnwein beispielhaft mit "Pillenzöglingen", wie die selbsternannte Kirche in ihrer Zeitung "Der Freiheitsspiegel" im September 1988 berichtet.
Privatarchiv

Ein Vorfall, dessen negativer Konsequenzen sich Scientology bewusst war, wie Mike Rinder, der bislang höchstrangige Aussteiger, erzählt. Der 68-jährige Australier war jahrzehntelang Sprecher der Organisation und Chef des Scientology-Geheimdienstes, bevor er selbst 2005 in eines der berüchtigten Straflager für Führungskräfte musste. Helnwein sei der "einzige deutschsprachige Promi bei Scientology", an den er sich erinnern könne, sagt Rinder dem STANDARD.

Theoretisch könnte die Albertina als Bundesmuseum in den Verdacht geraten, der Ideologie von Scientology eine Plattform zu bieten – praktisch würdigt man einen Künstler, von dem man laut Sammlungsdatenbank 44 Werke im Bestand zählt. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Dauerleihgaben aus Privatsammlungen. Der Künstler selbst schenkte der Albertina zwölf Fotografien sowie sieben Gemälde, deren Wert bei etwa einer Million Euro gelegen haben soll.

Patrons Ball
Helnwein unten im Hintergrund beim Patron's Ball von Scientology
Faksimilie

Zu Scientology will sich das Museum auf Anfrage nicht äußern. Nur so viel: Man könne ausschließen, jemals Mittel von dieser Organisation bezogen zu haben, und prüfe "jegliche Kooperation nach den geltenden gesetzlichen Governance-Vorgaben".

Geburtstagsfeier mit Scientologen

Wer im Herbst 2018 das in der Albertina für Gottfried Helnwein veranstaltete Fest zu seinem 70. Geburtstag finanzierte? Laut dem Museum soll es sich um eine der üblichen Hausveranstaltungen gehandelt haben. Unter den Gästen fanden sich nicht nur bekannte Helnwein-Sammler wie Christian Baha und dessen Ehefrau Steffi Graf, sondern auch eine Reihe – teils hochrangiger – Scientology-Mitglieder.

Zu Letzteren gehörte etwa Robert Schöller, der das nie in Abrede stellte. Geschadet hat das dem Künstler wohl nicht. Einen prominenten Auftraggeber machte die Kronen Zeitung 2018 öffentlich: Michael Häupl (SPÖ), der sich von Schöller jenes Porträt habe malen lassen, das nach seinem Ableben die Wand hinter dem Präsidium im Rathaus zieren wird.

Warum sich Helnwein trotz seiner langjährigen Mitgliedschaft partout nicht zu Scientology bekennen will, war für den STANDARD nicht aufklärbar. In einem Mail an die Autoren des Artikels beschwert sich die Ehefrau des Künstlers über die Recherche, bei der auch Fragen zu Honoraren oder Ankäufen aufgekommen waren. Ihr Mann habe in Österreich noch von keiner Institution oder öffentlichen Stelle "jemals irgendeine finanzielle Zuwendung erhalten", nicht einmal die Schenkung an die Albertina habe er "steuerlich geltend machen" können, "da er seinen Hauptwohnsitz in Irland hat". "Es ist offensichtlich, dass Sie einen Hassartikel schreiben werden und meinem Mann schaden wollen", beklagt Renate Helnwein, während ihr Mann beredtem Schweigen den Vorzug gibt. (Olga Kronsteiner, Peter Reichelt, Fabian Schmid, 21.10.2023)