Manche Menschen wundert es vielleicht, dass ein einziger Fuchs bei einem einzigen Raubzug 13 von 15 Roten Flamingos einer Kolonie im Tiergarten Schönbrunn getötet hat. Wie berichtet, hatten die Zuständigen am 15. Oktober abends vergessen, die Tiere über Nacht ins Innengehege zu bringen. Der Fuchs nutzte seine Chance.

Fuchs auf einem Gartenzaun
Dieser Fuchs wurde zwar in einem Londoner Vorort fotografiert – auch in Wien gibt es aber immer wieder solche Begegnungen.
Getty Images/iStockphoto

Richard Zink, Biologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, wundert das hingegen nicht – und er bestätigt damit das generationenalte Wissen von Hühnerhaltern und Züchterinnen anderer Kleintiere. "Wenn ein Fuchs, oder auch eine Katze oder ein Marder, in eine Vogelgruppe eindringt und die schnellen Fluchtbewegungen der Tiere sieht, erwacht der Jagdinstinkt. Dann beißt er oder sie zu, so lange, bis sich nichts mehr bewegt."

Daher, so Zink: "So der Mensch eine künstliche Dichte von Tieren herstellt, wie sie in der freien Wildbahn nicht besteht, muss er die Nutztiere vor den Beutegreifern schützen."

Füchse auf Baugerüsten

In der Stadt sind Beutezüge dieses Ausmaßes selten – weil es wenige Nutztiere gibt. Füchse hingegen leben recht viele in den Städten – und zwar auf der ganzen Welt und damit auch in Wien. Die rotbraunen Wildhunde seien extrem anpassungsfähig, sagt Zink: "Das Leben in der Stadt hat Vorteile für sie. Erstens ist es im innerstädtischen Bereich auch im Winter um ein paar Grad wärmer als im Umland. Zweitens nutzen sie die städtische Infrastruktur. Ein Fuchs schlüpft leicht durch eine Öffnung in einem Keller, um dem menschlichen Bick auszuweichen."

Aus Zürich wird sogar von Füchsen berichtet, die sich bei Tag auf Baugerüsten ausruhen, wenn dort gerade keine Arbeiten stattfinden. Wie Katzen beobachten sie dann den Trubel von oben.

Groß ist für Füchse auch das Nahrungsreservoir in der Stadt: von selbstgejagten Tauben, Ratten und Mäusen über essbare Abfälle bis hin zu "Katzen- und Hundefutter, das Tierbesitzer in den Vorstädten vor die Haustür stellen".

Auf Letzteres sollten Haustierhalter indes besser verzichten. Überhaupt sollten wilde Tiere wie zum Beispiel Füchse nicht gefüttert werden, sagt Zink. Aus England sei das Phänomen der Hausfüchse bekannt, von durch Fütterung zahm gewordenen Tieren, die zum Teil sogar bei den Menschen leben. Das schaffe mehr Probleme, als es Vorteile bringe, sagt der Fachmann.

Viele Sichtungen

Wie viele Stadtfüchse es in Wien gibt, weiß niemand. Zählen kann man die Tiere, die sich bei Tag verbergen, schwer. Zufällige Sichtungen hingegen sind recht häufig. Im Rahmen des von Zink mitbetreuten Projekts Stadtwildtiere Wien werden Bürgerinnen und Bürger ersucht, zufällige Wildtier- und damit auch Fuchssichtungen zu melden. Allein in den vergangenen drei Monaten gab es im Stadtgebiet rund 50 solche unverhofften Begegnungen, von der Innenstadt bis hin zu den Einfamilienhaussiedlungen in den Wienerwaldausläufern.

Laut Zink gehen von den Füchsen in der Stadt keine besonderen Gefahren aus. Die Tollwut gilt in Österreich seit dem Jahr 2008 als ausgestorben. Vorsicht sei hingegen wegen des Fuchsbandwurms angesagt, dessen Eier im Fuchskot sind. Eine Fuchsbandwurmerkrankung beim Menschen entwickle sich langsam über Jahre und könne tödlich enden. Jedoch, so Zink: "In ganz Österreich gab es seit 2005 jährlich keine Handvoll Fälle."

Um jedes Risiko auszuschließen, wird empfohlen, sich beim Essen von Waldbeeren zurückzuhalten, respektive sie nicht am Rand von Forst- oder Wanderwegen zu ernten, wo auch Füchse gern entlanglaufen, sondern tiefer in den Wald hineinzugehen.

Rodentizid-Gifte als Gefahr für Füchse

Gefährdet sind unterdessen die Stadtfüchse selbst. Ihre Lebenserwartung ist im Vergleich zu der von Waldfüchsen in Österreich besonders gering, "weil hierzulande im Unterschied etwa zu Deutschland Rodentizid-Gifte zur Bekämpfung von Nagetieren für jeden frei erhältlich sind", kritisiert Zink. Rodentizide würden die Beutetiere der Füchse langsam lähmen, das Gift gehe auch auf die Füchse über und schwäche sie. Die Abgabe von Rodentiziden müsse kontrolliert werden, sagt Zink.

Zusammen schnattern in Schmiding

Die beiden Roten Flamingos, die den nächtlichen Fuchs-Einbruch in den Tiergarten Schönbrunn überlebt haben, gewöhnen sich derzeit übrigens an ein neues Zuhause. Sie wurden wenige Tage nach dem Vorfall in den Zoo Schmiding im oberösterreichischen Krenglbach übersiedelt. In Wien konnten sie nicht bleiben, da das Leben für sie dort zu einsam gewesen wäre: "Flamingos leben in großen Kolonien. Daher ist es gut, dass die beiden rasch wieder in eine Gruppe kommen. Flamingos machen etwa gemeinsame Balztänze, das wäre zu zweit nicht ganz so gut gegangen", sagt Daniela Artmann, Zoologin im Schmidinger Tiergarten, dem STANDARD.

Im Frühling 2022, in dem das Foto aufgenommen wurde, waren die Roten Flamingos in Schönbrunn noch vereint.
APA/DANIEL ZUPANC

Bei den Rosa Flamingos, zu denen der Fuchs in Schönbrunn nicht vordringen konnte, hätte man die beiden roten Vögel nicht einfach einquartieren können. Denn: Die Farbe macht einen großen Unterschied. Rosa Flamingos kommen laut Artmann in Asien, Afrika und bis nach Europa vor, während Rote Flamingos in Südamerika heimisch sind. "Daraus ergeben sich ganz andere Temperaturansprüche."

Der Zoo Schmiding beherbergt 30 Rosa Flamingos, 17 Chileflamingos und – mit den beiden Neuankömmlingen – 25 rot gefiederte Kubaflamingos. Sie sind vorerst noch getrennt von den bereits länger ansässigen Tieren untergebracht. So könnten die Tierpflegerinnen und -pfleger leichter kontrollieren, ob die Neuen ausreichend Nahrung aufnehmen, sagt Artmann: "In der Gruppe sind Flamingos ja nicht so leicht zu unterscheiden." Ihre neue Kolonie können die Neuankömmlinge bereits hören, "sie sind in Rufkontakt und schnattern sich bereits zusammen."

Mauern, Zäune und Strom als Schutz

Zwar hätten die Schönbrunner Flamingos den Fuchs-Einbruch unverletzt überstanden, nach ihrer Ankunft seien sie aber doch ein wenig verschreckt gewesen, erzählt die Zoologin. "Mittlerweile sind sie schon recht ruhig und fressen auch genug." Alles gute Voraussetzungen dafür, dass die beiden in den nächsten Tagen zu den anderen ins Gehege dürfen.

Bekanntschaft mit einem Fuchs werden sie dort hoffentlich nicht so bald machen. Zwar habe man in einem Zoo grundsätzlich immer die Sorge, dass Wildtiere einbrechen könnten, und versuche, das zu verhindern, sagt Artmann. Aber: "Ich bin seit 20 Jahren hier in Schmiding, und es ist noch nie was passiert."

Ob rosa oder rot: Flamingos leben, wie hier in Namibia, in großen Kolonien.
imago images/Panthermedia

Der Tiergarten sei von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben, die tief um Boden versenkt sei – damit sich nichts unten durchgraben kann. Zwischen den Anlagen befänden sich Barrieren wie Mauern, Zäune oder Häuser, erklärt Artmann. Das soll den Schaden lokal begrenzen, sollte es doch ein Beutegreifer in den Zoo schaffen.

Wie die Schönbrunner Flamingos wird auch die Schmidinger Kolonie durch einen Elektrozaun geschützt. Im Sommer haben die Vögel die Möglichkeit, 24 Stunden draußen zu sein, um im Freien ständig ihre Eier bebrüten zu können. Wird es, so wie jetzt, draußen kühler, müssen die Flamingos nachts in den Stall. Das geht nicht immer ganz ohne Widerstand: "Es dauert ein bisschen, bis sie das wieder gelernt haben", erzählt Artmann. "Aber nach einer Woche haben sie sich an das Ritual gewöhnt." (Irene Brickner, Stefanie Rachbauer, 25.10.2023)