Gastkommentar von Janet Kuschert, Matthias Lovrek

Junge Menschen sitzen vor einem Fenster mit Laptops.
Manche jungen Menschen tragen einen schweren Rucksack. Wir als Gesellschaft dürfen sie nicht zurücklassen – auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht.
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Seit Jahren wird über Fachkräftemangel und die Folgen gesprochen. In dieser Diskussion wird aber eine Gruppe zu wenig berücksichtigt, die mittelfristig essenzieller Teil der Lösung sein sollte. Es geht um die Jugend! Die Jugendarbeitslosigkeit liegt aktuell bei 11,4 Prozent, mit leicht steigender Tendenz. Das sind 29.085 Menschen unter 25 Jahren, denen die berufliche Perspektive fehlt. Jugendliche, die eigentlich Fachkräfte von morgen sein sollten, die dem Arbeitsmarkt fehlen.

Sindbad Social Business begleitet seit 2016 im Rahmen eines Mentoringprogramms sozioökonomisch benachteiligte Jugendliche beim Übergang von der Pflichtschule in die weiterführende Ausbildung. Diese Jugendlichen tragen häufig einen schweren Rucksack. Die Herausforderungen, die diese Jugendlichen bereits in jungen Jahren meistern, liegen häufig außerhalb der Vorstellungskraft vieler Menschen: Briefe von Behörden für die Eltern übersetzen, jüngere Geschwister betreuen, in beengten Wohnverhältnissen leben, ohne Ruhe zum Lernen oder einen Rückzugsort.

Einfache Jobsuche? Fehlanzeige.

Wir erleben Jugendliche, die 40 Bewerbungen schreiben, ohne eine einzige Antwort zu erhalten. Junge Menschen, die so viel Verantwortung im Familiensystem übernehmen, dass sie selbst auf der Strecke bleiben. Teenager, denen in jungen Jahren immer und immer wieder vermittelt wird, dass wir als Gesellschaft zwar gerade händeringend nach Personal suchen, sie selbst aber leider dennoch nicht geeignet sind. Aussortiert und hoffnungslos ist das Urteil von Arbeitsmarkt und Gesellschaft.

Aufgrund diverser komplexer Krisenherde herrscht bei den Generationen Z und Alpha Perspektivlosigkeit. Diese manifestiert sich bei der Zielgruppe der Pflichtschulabgänger durch das Gefühl, nicht gut genug zu sein, noch stärker. Es braucht für diese Zielgruppe ein besonderes Augenmerk und intensive Unterstützung. Jeder investierte Euro zahlt sich vielfach aus. Ein gescheiterter Einstieg ins Berufsleben ist häufig nur schwer zu beheben. Personen, die lediglich einen Pflichtschulabschluss vorweisen können, sind in der Arbeitslosenstatistik überproportional vertreten (24,6 Prozent).

Faulheit ist ein Vorurteil

Wir sollten lieber gestern als heute damit beginnen, für möglichst alle jungen Menschen Perspektiven am Arbeitsmarkt zu schaffen. Es gibt das weitverbreitete Vorurteil, dass die hohe Jugendarbeitslosigkeit an mangelndem Eifer und an der Faulheit der Jugend liegt.

Auf der einen Seite erleben wir dies nicht in der Zusammenarbeit mit den Jugendlichen, sondern viel häufiger, dass sie diese Zuschreibung als große Kränkung wahrnehmen. Auf der anderen Seite dürfen wir uns als Gesellschaft schon allein wegen der wirtschaftlichen Notwendigkeit nicht auf dieser Annahme ausruhen. Die Anforderungen des Arbeitsmarktes werden komplexer.

Orientierung geben

Die Orientierung wird schwieriger. Die Auswahl der passenden beruflichen Laufbahn ist aufgrund der vielen Optionen eine große Herausforderung. Es braucht für die nächste Generation mehr Unterstützung, mehr Perspektiven, mehr Anknüpfungspunkte und eine breite Einbindung der wesentlichen Akteure des Bildungsüberganges. Dazu gehören auch die lehrlingsausbildenden Betriebe, die sich einerseits neuen Zielgruppen öffnen müssen. Andererseits braucht es Unterstützung, insbesondere in der Zeit unmittelbar nach dem Bildungsübergang.

Integration in den Arbeitsmarkt ist nicht mit dem Lehreinstieg getan. Denn die meisten Lehrabbrüche finden innerhalb der ersten drei Monate statt. Es braucht also auch hier über diesen Moment hinaus große Bemühungen. Wir müssen als Gesellschaft alles daransetzen, das Potenzial der nachkommenden Generation voll auszuschöpfen. (Janet Kuschert, Matthias Lovrek, 26.10.2023)