"Mike who?" Diese Frage wird derzeit nicht nur von der interessierten Öffentlichkeit gestellt. Selbst langjährige republikanische Kongressangehörige wie Senatorin Susan Collins konnten mit dem Namen des neuen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses nichts anfangen. Sie müsse den Mann erst einmal googeln, antwortete die Politikerin entwaffnend offen auf die Frage nach einem Kommentar. Tatsächlich hat es Mike Johnson in seiner bisher siebenjährigen Parlamentszugehörigkeit geschafft, kaum aufzufallen.

In Wirklichkeit hat der Machtkampf im US-Kongress einen wahren Sieger: Donald Trump.
REUTERS/AMANDA SABGA

Nach einem aberwitzigen Putsch gegen den bisherigen Amtsinhaber Kevin McCarthy und drei Wochen des Chaos haben die Republikaner einen No-Name in das dritthöchste Staatsamt der USA gewählt. Nicht, dass es an erfahreneren Interessenten für die Leitung des Repräsentantenhauses gefehlt hätte. Drei – eigene – Kandidaten hat die Fraktion in den vergangenen Tagen verbrannt. Zwei waren den Abgeordneten nicht rechts genug, der dritte – der Ex-Ringer Jim Jordan – ein derart aggressiver trumpistischer Hitzkopf, dass die wenigen verbliebenen Moderaten rebellierten.

Wolf im Schafspelz?

Johnson hat deutlich manierlichere Umgangsformen. Doch ein Gemäßigter ist er keineswegs. Der aus dem Südstaat Louisiana stammende vierfache Familienvater ist ein erzkonservativer Evangelikaler. Er hat gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gestimmt und will Abtreibungen bundesweit verbieten. In seiner Antrittsrede sprach er viel von Gott und entschuldigte die Abwesenheit seiner Frau damit, dass diese kein Flugticket mehr erhalten habe. Er sagte fügte aber auch an: "Und sie hat die letzten Wochen auf ihren Knien im Gebet an den Herrn verbracht und ist nun etwas geschlaucht". Das sind befremdliche Worte für den Parlamentschef einer modernen, diversen Demokratie.

Problematisch ist auch Johnsons Vergangenheit. Nach der Präsidentschaftswahl 2020 kämpfte er an vorderster Front dafür, das Wahlergebnis vor dem Supreme Court anzufechten und Joe Biden den Zutritt ins Weiße Haus zu verwehren. Das dürfte ihm die Unterstützung von Donald Trump eingebracht haben, die neben der kollektiven Ermüdung die Stimmen für seine Wahl besorgte. Die Personalie belegt auf erschreckende Weise, wie stark der Ex-Präsident seine Partei im Griff hat. Wer Trump ein bisschen kennt, weiß, was er für eine Empfehlung erwartet: unbedingte Loyalität.

Es sind also denkbar schwierige Umstände, unter denen Johnson den neuen Job antritt: Seine Partei hat sich in einem chaotischen dreiwöchigen Machtkampf zerlegt. Die parlamentarische Mehrheit ist genauso knapp wie die von McCarthy, der aus nichtigem Anlass von ein paar rechtsextremen Desperados gestürzt wurde. Über allem thront Trump, der jederzeit den Daumen senken kann. In der jetzigen Situation muss das Parlament binnen drei Wochen bis Mitte November einen Haushalt verabschieden und über Ukraine- und Israel-Hilfen entscheiden, die zumindest im ersten Fall von etlichen Republikanern mittlerweile massiv infrage gestellt werden.

Ein bisschen muss man Johnson daher für den Mut zu diesem Kamikaze-Job bewundern. Durch seine Wahl kann das Repräsentantenhaus nämlich zumindest wieder debattieren und Gesetze beschließen. Extreme Auswüchse des rechten Kulturkampfes wird der demokratisch dominierte Senat ausbremsen. Die Alternative wäre die dauerhafte komplette Handlungsunfähigkeit der USA in einer dramatischen Weltlage gewesen. Schlimmer kann es eigentlich selbst mit einem reaktionären Hinterbänkler nicht werden. (Karl Doemens aus Washington, 26.10.2023)