Die ersten drei Tage im Prozess gegen Sebastian Kurz und Bernhard Bonelli sind vorbei. Bettina Glatz-Kremsner nahm eine Diversion an, Kurz und Bonelli gaben wortreich Einblick in ihre türkise Gedankenwelt. Ein Glossar zur Verhandlung.

A wie Argumentationsspagat: So bezeichnete ein Vertreter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Verteidigungslinie von Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser behauptet, richtig ausgesagt zu haben – sollte er aber falsch ausgesagt haben, dann aus Angst vor strafrechtlichen Ermittlungen. Das würde einen Aussagenotstand begründen.

B wie Bernhard Bonelli: Der frühere Berater stieß 2017 zum Team Kurz und wurde 2020 Kabinettschef des Kanzlers, der Trauzeuge von Bonelli war. Ihm wirft die WKStA vier falsche Aussagen im Ibiza-U-Ausschuss vor. Im U-Ausschuss habe er das "Herabwürdigendste" seiner Zeit in der Politik erlebt, sagte Bonelli vor Gericht. Er habe nicht gewusst, was ihn dort erwarte.

C wie Chats: Die spielen im Kurz-Prozess eine wichtige Rolle. Einer der berühmtesten ist jener, in dem Kurz dem späteren Öbag-Chef Thomas Schmid schrieb: "Kriegst eh alles was du willst", und ihn als "Aufsichtsratssammler" bezeichnete. Der damalige Spitzenbeamte im Finanzministerium antwortete: "Ich liebe meinen Kanzler."

D wie Diversion: Bettina Glatz-Kremsner, Ex-ÖVP-Vizeobfrau und Ex-Chefin der Casinos Austria AG (Casag), ist auch wegen falscher Zeugenaussage angeklagt. Vor dem Gericht räumte sie "Fehler" ein und übernahm die Verantwortung dafür, woraufhin sie ein Diversionsangebot des Richters bekam. Sie muss 104.060 Euro zahlen und ist vorerst aus dem Strafverfahren draußen – die WKStA kann aber dagegen ein Rechtsmittel einlegen.

E wie Ermittlungen: Die WKStA hat diese im Mai 2021 aufgenommen, als sie in Chats Widersprüche zu Kurz’ Aussagen im U-Ausschuss entdeckt haben will. Seit Herbst 2021 wird gegen den Ex-Kanzler auch in der Causa Inserate ermittelt.

Kurz vor Gericht
Sebastian Kurz verbrachte bereits drei Tage im Straflandesgericht
EPA

Der potenzielle Kronzeuge

F wie Freispruch: Den haben am ersten Prozesstag bereits die Verteidiger aller drei Angeklagten, die sich nicht schuldig bekannt haben, beantragt. Bei einem Schuldspruch drohen bis zu drei Jahre Haft.

G wie Gernot Blümel: Der frühere Finanzminister (ÖVP) und Kurz-Vertraute ist einer von vier Zeugen, die Richter Michael Radasztics auf jeden Fall hören will – genau wie Hartwig Löger (ÖVP), Schmid und FPÖ-Verhandler Arnold Schiefer.

H wie Hirn: In seiner Aussage im Großen Schwurgerichtssaal beteuerte Kurz im Zusammenhang mit seinem Erinnerungsvermögen, er habe ja "kein Hirn wie ein Nudelsieb".

I wie Instanz: Wie auch immer das Verfahren in erster Instanz endet – ob mit Freispruch oder mit Schuldspruch –, rechtskräftig wird diese Entscheidung wohl nicht sein. Entweder würden die Staatsanwälte oder die Angeklagten Rechtsmittel ergreifen.

J wie Justizministerin: Die letzte Entscheidung über die Anklage lag bei Alma Zadić von den Grünen. Sie hat die in öffentlichkeitswirksamen Fällen notwendige Empfehlung des Weisungsrats akzeptiert. Die Ministerin steht an der Spitze der Weisungskette, der Staatsanwaltschaften unterliegen.

K wie Kronzeuge: Diesen Status will Thomas Schmid erlangen, er hat daher vor der WKStA ein Geständnis abgelegt und in diesem Kurz schwer belastet. Am 17. November wird Schmid, über dessen Kronzeugenantrag noch nicht entschieden wurde, als Zeuge im Kurz-Prozess aussagen. Kurz und Co werfen ihm Lügen vor.

L wie Löger: Hartwig Löger (ÖVP) war von Ende 2017 bis Mai 2019 Finanzminister. Er gehört für die WKStA zur Gruppe jener Zeugen, die "aus spezifischer Loyalität" gegenüber Kurz zu dessen Gunsten ausgesagt hätten. Auch der jetzige Chef der Vienna Insurance Group (VIG) wird vor Gericht befragt werden.

"Na" und Nein

M wie Machtfülle: Das Streben nach selbiger schreiben Kurz und Bonelli Schmid zu. Dieser habe nicht nur die Ausschreibung für den Öbag-Chefposten "manipuliert", sondern auch Aufsichtsratsposten in den Beteiligungsgesellschaften gewollt. Kurz sagte aus, er habe Schmid "einbremsen" wollen.

N wie "Na": Auf eine Frage zu Postenbesetzungen antwortete Kurz im U-Ausschuss mit "Na". Die Frage, ob das als "Nein" auszulegen ist, spaltet Anklage und Verteidigung. Wobei die WKStA ohnehin sinngemäß argumentiert, es gehe um das "Gesamtbild" und nicht um einzelne Wörter. Kurz wirft der Behörde vor, Aussagen stets zu seinem Nachteil zu interpretieren.

O wie Öbag: Die Staatsholding spielt insofern eine zentrale Rolle in dem Prozess, als es um Aussagen der Angeklagten zu Personalentscheidungen in der Öbag geht. Da drehte es sich vor allem um die Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder, die wiederum den Vorstand bestellen – in diesem Fall wurde das Schmid.

P wie Pilnacek, Christian: Die Nachricht vom Tod des suspendierten Sektionschefs im Justizministerium platzte in den zweiten Verhandlungstag. Kurz sprach das Thema vor Gericht an und berichtete, dass er noch am Vorabend mit ihm telefoniert habe.

Q wie Quote: Ausreichend weibliche Aufsichtsratsmitglieder für die Öbag zu finden sei ein Problem gewesen, schilderten Kurz und Bonelli vor Gericht. Eine Wunschkandidatin sei in letzter Minu- te abgesprungen, ÖVP-Beraterin Gabi Spiegelfeld verzweifelte laut ihrer Nachricht an Schmid an der "Scheiß Quote".

R wie Richter Radasztics, Michael: Gleich zu Beginn der Verhandlung beantragten Kurz-Verteidiger Otto Dietrich und Bonellis Anwalt Werner Suppan den Ausschluss des Richters. Dieser sei befangen, weil er mit Ex-Politiker Peter Pilz bekannt sei. Radasztics erklärte seine Unbefangenheit und wies den Antrag ab.

S wie Sideletter: Vor Gericht geht es auch um die Frage, wie sich ÖVP und FPÖ bei der Regierungsbildung 2017 wichtige Personalentscheidungen aufgeteilt haben. Dazu existiert ein sogenannter Sideletter zwischen Kurz und dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Während der Koalitionszeit sollen dann Schmid und der FPÖ-Mann Arnold Schiefer weitere Deals verhandelt haben. Dazu befragt, sagte Kurz im U-Ausschuss, er wisse nicht, "was die vereinbart haben" – auch das stuft die WKStA als Falschaussage ein.

Wolf und der Young Leader

T wie Tonband: Befragungen in U-Ausschüssen werden in Wort und Bild aufgezeichnet, öffentlich sind diese Aufnahmen allerdings nicht verfügbar – das sind nur die schriftlichen Protokolle. Der Einzelrichter spielte die wichtigen Passagen aus den Befragungen von Kurz und Bonelli in der Verhandlung vor.

U wie Unschuldsvermutung: Die gilt für alle Beschuldigten und Angeklagten so lange, bis es ein rechtskräftiges Urteil gibt. Kurz beklagt immer wieder, dass er vorverurteilt werde; die Opposition habe ihn im U-Ausschuss "einfach zerstören" wollen.

V wie Verhandlung: Bisher hat es drei Verhandlungstage gegeben. Am bisher letzten, dem vorigen Montag, verkündete der Richter vier weitere Verhandlungstage: Am 17. November soll Schmid aussagen, im Dezember folgen drei weitere Tage. Die Termine im Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts Wien sind immer von 9.30 Uhr bis 16 Uhr anberaumt. Zu Beginn darf fotografiert und gefilmt werden, dann müssen die Fotografen und Kameraleute ihre Arbeit einstellen. Live berichtet werden darf aber – also auch der Liveticker ist zulässig.

W wie Wolf, Siegfried: Der Unternehmer war der Wunschkandidat von Sebastian Kurz für den Chefsessel im Öbag-Aufsichtsrat. Die WKStA vermutet, dass er wegen seiner guten Russland-Kontakte nicht zum Zug gekommen sei. Entsprechende Bedenken hätten etwa Finanzminister Löger oder Schmid gehegt. Kurz wischte das in seiner Befragung aber vom Tisch, die türkis-blaue Koalition sei ja eine "russlandfreundliche Regierung" gewesen, sagte er aus.

X wie X, früher Twitter: Auf dieser Plattform äußert sich Kurz immer wieder zu den Vorwürfen. Als bekannt wurde, dass die WKStA Anklage einbringt, schrieb Kurz auf X, er freue sich, vor Gericht seine Unschuld zu beweisen – was er rechtlich natürlich nicht tun muss. Es ist vielmehr Aufgabe des Gerichts, ihm eine etwaige Schuld nachweisen.

Y wie Young Leader: Als solcher war der damals 32-jährige Kurz vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump bezeichnet worden, als er diesen in Washington besuchte. Auch Trump hat mehrere Verfahren am Hals, zurzeit etwa einen Zivilprozess wegen des Vorwurfs des Betrugs. Auch er warf dem zuständigen Richter Befangenheit vor.

Z wie Zeugenaussagen: In ihrem Strafantrag hat die WKStA die Ladung von 21 Zeugen beantragt, der Richter will vorerst aber nur Schmid, Löger, Blümel und Schiefer hören. Über die Anträge der WKStA, die etwa Strache und Wolf hören will, und die der Verteidiger, die alle Mitglieder des Öbag-Aufsichtsrats laden lassen wollen, wird der Richter erst entscheiden. (Renate Graber, Fabian Schmid, 27.10.2023)