Wien – Keine Jahreszeit scheint mehr mit Traditionen verbunden zu sein als Weihnachten. In Wien ist das mittlerweile seit Jahrzehnten etwa der Wiener Eistraum und der Christkindlmarkt am Rathausplatz – und das Sudern über den Christbaum vor dem Wiener Rathaus. "Gerupftes Hendl", "Maibaum mit drei Ästen" oder "dürre Stauden" sind nur ein paar der Bezeichnungen für den geliebten Christbaum der Wienerinnen und Wiener.

Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2013.
Vor zehn Jahren durfte die Steiermark den Wienerinnen und Wienern ihren geliebten Christbaum aufstellen: Sechs Tonnen schwer, 30 Meter hoch und schon beim ersten Anblick mit ausreichend Geäst – eine Eigenschaft, die die Christbäume der folgenden Jahre eher nicht von sich behaupten konnten.
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2014.
Was hat der kahle Christbaum aus dem Jahr 2014 mit der heurigen Fichte gemeinsam? Er kam ebenfalls aus Südtirol. Die Stadtgärtnerei, die jedes Jahr den Baum mit zusätzlichen Ästen und Baumschmuck aufhübscht, hatte jedenfalls einiges zu tun. Und Spott gab es genügend. Ein User im STANDARD-Forum spekulierte damals, ob die 140 Jahre alte Fichte mit dem Maibaum vertauscht worden war. Eine andere Stimme aus dem Forum sprach von einer "notwendigen Generalsanierung für den Baum".
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2015.
2015 stand der Christbaum nicht im Zeichen besonderer Hässlichkeit, sondern mit der Fichte wurde den Opfern des Terroranschlags in Paris am 13. November gedacht. Bei mehreren islamistisch motivierten Attentaten wurden damals in der französischen Hauptstadt 130 Menschen getötet. Das nahm die Wiener Stadtregierung zum Anlass, um den Christbaum in der französischen Trikolor (Blau-Weiß-Rot) erstrahlen zu lassen. Rund 1.600 LED-Lampen mussten getauscht werden. Zudem wurde die traditionelle Eröffnung mit der feierlichen Illuminierung des Baumes im Jahr 2015 aufgrund der Anschläge in Paris abgesagt.
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2016.
Heimvorteil hieß es im Jahr 2016: Damals wurde der Baum aus den stadteigenen Quellschutzwäldern im Rax-Schneeberg-Gebiet geholt. Ein "waschechter" Wiener Baum also, wie es hieß. Der Stolz, einen "echten Wiener" am Rathausplatz aufzustellen, war dementsprechend groß: "Der Allerschönste ist es geworden", betonte Forstdirektor Andreas Januskovecz. Ein STANDARD-User sah das etwas anders: "Also wenn das der schönste Baum ist, will ich die Schirchen nicht sehen".
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2017.
Ein Baum aus dem Ländle: 2017 war Vorarlberg mit der Lieferung einer prächtigen Fichte an der Reihe. "Wahrscheinlich hat noch nie ein Baum einen so langen Weg zurückgelegt", betonte die Stadt Wien. Wie jedes Jahr eskortiert die Polizei den auf einem Sattelschlepper befestigten Baum. Die Vorarlberger Fichte zählt zu den Schmuckstücken der Wiener Christbaumgeschichte: Im Vergleich zu den Jahren davor gab es überraschend wenig Häme für den 70 Jahre alten Baum.
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2018.
Gut gealtert war die 28 Meter hohe Fichte aus dem Jahr 2018: Rund 150 Jahre hatte der Baum in Oberkärnten gewurzelt, bis er in die Bundeshauptstadt entführt wurde. Ungewöhnlich warm war es im Herbst vor fünf Jahren – ähnlich wie heuer. Trotzdem hat sich so mancher STANDARD-User den Christbaum herbei gesehnt: "Es ist gut, dass der Baum steht. Endlich ein bisschen Schatten in der Novemberhitze." Schönheit wurde dem "alten Kärntner" aber keine nachgesagt. "Nur der Christbaum in Rom ist noch hässlicher", hieß es. In der italienischen Hauptstadt wurde der damals aufgestellte Weihnachtsbaum in sozialen Netzwerken unter anderem mit dem Aussehen einer Klobürste verglichen.
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2020.
Maske und Lockdown: 2020 begann die Corona-Pandemie. Der Wiener Christbaum war deshalb für viele das perfekte Symbol für das Jahr 2020 – aufgrund seines mageren Aussehens. Für andere war die oberösterreichische Fichte wiederum ein Zeichen von Optimismus in schweren Zeiten. Das Schöntrinken des Baumes direkt vor Ort fiel vor drei Jahren jedenfalls aus: Aufgrund der Pandemie wurde der Christkindlmarkt abgesagt.
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2021.
Erleichterung im Jahr 2021 möchte man meinen: Endlich wieder Jagertee und Glühwein vorm Rathaus. Doch dann kam der Christbaum aus dem Burgenland. Die Fichte wirkte diesmal besonders kahl,"waren die Bäume immer so schirch bei der Anlieferung oder ist das ein nur die letzten Jahre so?", hieß es von einem STANDARD-User. Die Lieferung des Baumes aus dem Bundesland von Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) wurde gar als Angriff auf die Wiener SPÖ von Michael Ludwig gedeutet.
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Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2022.
2022 gab es den Christkindlmarkt wieder ohne Einschränkungen, das Coronavirus war fast vergessen. Sudern konnte man wieder über ausschließlich wichtige Dinge: über teuren Punsch und schirche Christbäume. "Da wird man aber vorher arm, wenn man sich den (Anm.: Christbaum) mit 7,90 Euro pro Punsch schön saufen muss", hieß es im STANDARD-Forum. Der Baum sei immer Ausdruckder Relation eines Bundeslands zu Wien, betonte damals die Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Der Diskurs laufe aber mitunter anders ab, räumte die Politikerin ein: "Die Bundesländer suchen aus, Wien wird gehaut." Am Sattelschlepper machte die steirische Fichte jedenfalls noch keinen prunkvollen Eindruck.
Stefane Rachbauer
Christbaum am Wiener Rathausplatz im Jahr 2023.
Dem heurigen Christbaum aus Südtirol steht seine Kosmetik-Kur noch bevor.Im Vergleich zu den vergangenen Jahren wurde der Christbaum recht früh aufgestellt, nämlich im Oktober. Dass die diesjährige Fichte auf der Seite ziemlich eingedrückt ist, deuten auch dieses Jahr wieder viele als Angriff auf Wien: "Alle Jahre wieder rächen sich die Bundesländer am Wasserkopf Wien", meint ein User im STANDARD-Forum. Und die Hassliebe zum Wiener Christbaum am Rathausplatz geht damit in die nächste Runde.
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(Max Stepan, 28.10.2023)