ZDF-Wetterchefin Katja Horneffer
ZDF-Wetterchefin Katja Horneffer: "Dass warmes Wetter als 'schönes Wetter' bezeichnet wird, von dem Zug sind wir schon vor 20 oder 30 Jahren abgesprungen."
ZDF/Torsten Silz

Katja Horneffer moderierte das Wetter an diesem Abend wie immer. Eine Jacke in Herbstbraun, verbindliches Lächeln. In Müllheim und Rheinfelden, zwei kleinen Städten in Süddeutschland, hatte es an diesem Freitag 30,1 Grad gehabt. Es war wohlgemerkt der 13. Oktober. "Noch nie war es seit Beginn regelmäßiger Wetteraufzeichnungen in Deutschland im Jahr 1881 so spät so warm", sagte Horneffer. In Wien hatte es am selben Tag übrigens immerhin 26 Grad.

Horneffer ist Leiterin des ZDF-Wetterteams und promovierte Meteorologin. Was geht der Frau, die seit 25 Jahren im Fernsehen das Wetter moderiert, dabei durch den Kopf? Drei Wochen nach der Sendung erinnert Horneffer sich im Gespräch mit dem STANDARD: "So etwas berichte ich ganz nüchtern. Ich sage: 'So etwas gab es noch nie.' Das ist eine Faktenverkündung, aber mit dem Gedanken: Liebe Menschen, überlegt mal, was das bedeutet."

Sonnig, aber nicht mehr heiter

Das Wetter war im Fernsehen früher eine fröhliche Nebensache, ein heller Schlussakkord am Ende eines ernsten Nachrichtenblocks. Jetzt reiht sich das Wetter oft selbst in die schlechten Nachrichten. In Österreich wird es im Schnitt heißer und trockener, aber auch Extremwetter wie Starkregen nehmen zu, analysiert der Wetterdienst Geosphere Austria. Aktuelle Beispiele: In Langenlebarn in Niederösterreich wurden am 3. Oktober noch 30,3 Grad gemessen, im August erlitten Kärnten und Slowenien historische Überschwemmungen, und die Zunge des Jamtalgletschers in Tirol zerfiel im Sommer in kleine braune Eisbrocken.

Die Jahreszeiten verwandeln sich, in Österreich bedeutet das: Die Sommer werden heißer, trockener, auch länger. Die Erde verändert sich – was verändert sich im Studio? Kann man heute noch das Wetter ansagen, ohne das Klima zu erklären?

Die Wettermoderatorinnen und -moderatoren, mit denen DER STANDARD gesprochen hat, haben alle Meteorologie studiert. Ein Zugang ist ihnen gemein: Wenn das Wetter sich rapide verändert, muss man auch den Anteil des menschengemachten Klimawandels daran benennen.

Keine Freude über Rekorde

"Dass warmes Wetter als 'schönes Wetter' bezeichnet wird, von dem Zug sind wir schon vor 20 oder 30 Jahren abgesprungen", erzählt Horneffer. Auch im ORF macht man sich Gedanken, wie man von Sommerwetter im Oktober berichtet. "Man muss diese außergewöhnlichen Temperaturen auch klar einordnen", sagt Verena Schöpfer, die Wettervorhersagen auf Ö1, Ö3 und im Regionalradio macht. "Ich sage dann zum Beispiel: 'Das ist außergewöhnlich, das gab es noch nie.' Beim Wort Rekord nehme ich mich zurück, weil ein Rekord etwas ist, das man sich wünscht und worauf man hinarbeitet."

Verena Schöpfer moderiert auf Ö3, Ö1 und im Regionalradio
ORF-Wettermoderatorin Verena Schöpfer: "Beim Wort Rekord nehme ich mich mittlerweile zurück."
Nicole Viktorik

Auch in anderen Wetterbegriffen schwingt eine Wertung mit. Wenn vom Himmel weniger als ein Viertel mit Wolken bedeckt ist, nannten Meteorologen das Wetter "heiter". Georg Haas, Meteorologe bei wetter.com und Moderator bei den deutschen Privatsendern Sat.1 und ProSieben, sagt auf Nachfrage, er könne mit dem Ausdruck nichts anfangen: "Heiter ist für mich ein Zustand, den man erreicht, wenn man einen feuchtfröhlichen Abend verbringt. Aber ich verwende das Wort nicht im meteorologischen Kontext. Man kann stattdessen auch sagen, dass die Sonne scheint."

Extremwetter vor der Haustür

Extreme Wetterlagen wie Hitzewellen, Dürren, Starkregen und Stürme nehmen statistisch in Europa zu. Mittlerweile beschäftigt sich die sogenannte Zuordnungsforschung mit dem Zusammenhang von Klimawandel und extremen Wetterereignissen. Was in unserer Atmosphäre geschieht, ist allerdings komplex. Ein anschauliches Beispiel für einen Zusammenhang von Klima und Wetter bieten die Niederschläge: Ein Grad mehr bedeutet, die Luft kann sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Der viele Wasserdampf kondensiert irgendwann, die Energie entlädt sich – und tut das in stärkeren Regenfällen.

"Das Wetter im Fernsehen ist ernsthafter geworden. Wir haben eine viel höhere Aufmerksamkeit als noch vor 30 Jahren. Früher war die Frage des Publikums so in der Art: 'Was muss ich denn anziehen?' Heute haben viele das Gefühl, die Extremwetter sind nicht irgendwas, das weit weg ist, sondern das passiert hier bei uns", sagt Horneffer.

Georg Haas präsentiert das Wetter auf Sat.1 und ProSieben
TV-Meteorologe Georg Haas: "Wir haben einen Ausweg aus der Erderwärmung, und das sind die regenerativen Energien." Sein Appell: "Raus aus Öl, raus aus Kohle, raus aus dem Gas – für das Klima."
wetter.com

Ihr TV-Kollege Haas erzählt, dass das Wetter für ihn immer schon "ein ernstes Thema" gewesen sei, "gerade wenn eine gefährliche Wetterlage ist". Eine Wetterprognose müsse sehr gut ausgearbeitet sein und stimmen. "Das Wetter ist im Nachrichtenumfeld im Grunde genommen das Einzige, was die Menschen ganz direkt überprüfen können. Wenn der Meteorologe sagt, 'Morgen scheint die Sonne', und dann regnet es von früh bis spät, geht Vertrauen kaputt", sagt Haas.

Wissenschaftsleugnung

In den USA gibt es bereits eine diffuse Gegenbewegung gegen den Wetterbericht. Manche Verschwörungsgläubige meinen, es gebe gar keinen Klimawandel. Andere leugnen den menschlichen Einfluss auf die Klimaveränderung. Nach dieser Logik sind Wettermoderatoren entweder zu dramatisch oder sogar korrupt. "Wir sind die ersten Zeitzeugen des menschengemachten Klimawandels", stellt Haas klar. "Ich sage auch allen Menschen, die mit der Realität auf Kriegsfuß stehen: Schaut euch die Gletscher an, die Gletscher lügen nicht."

ZDF-Moderatorin Horneffer nennt es einen "Denkfehler", wenn man glaube, der Klimaschutz sei obsolet, weil gewisse Kipppunkte im Klima ohnehin bald erreicht werden. "Es kommt auf jedes Zehntel Grad an. Wir baden jetzt das aus, was vor 30 Jahren in die Atmosphäre reingepustet wurde. Deshalb müssen wir um jede Tonne CO2-Äquivalent kämpfen, die nicht ausgestoßen wird", sagt sie.

Caroline Eybl erklärt das Wetter unter anderem auf ATV und Puls 4
Caroline Eybl erklärt das Wetter unter anderem auf ATV und Puls 4. "Sonnenschein im Oktober ist nicht per se eine schlechte Nachricht, aber 30 Grad im Oktober oder viele sehr warme Tage nacheinander sind nun einmal problematisch", sagt sie.
© P7S1P4

Verbreitete Irrtümer

Häufiger als die große Verschwörungserzählung vernehmen Meteorologinnen und Meteorologen aber Missverständnisse und Fehlinterpretationen des Wetters. Caroline Eybl, Meteorologin bei ATV und Puls 4, erzählt: "Häufig hört man, diese Hitze habe es früher auch schon gegeben. Manchmal erzählt mir jemand: 'Da war dieser Schulausflug damals, an diesem Maitag hatte es auch 30 Grad.' Den Leuten ist aber oft nicht bewusst, dass es zwar vor 20 oder 30 Jahren in einzelnen Fällen 30 Grad im Mai gab, aber diese Temperaturen jetzt ungleich häufiger vorkommen."

ORF-Moderatorin Schöpfer will nicht davon abrücken, außergewöhnliches Wetter als solches einzuordnen – auch wenn das offenbar nicht jedem Radiohörer gefällt. "Anfang Oktober haben einige meiner Kolleginnen und Kollegen das Wort 'extrem' verwendet, auch ich. Danach bekam ich ein E-Mail von jemandem, der meinte, 25 Grad im Oktober seien doch 'angenehm' und nicht 'extrem'", sagt Schöpfer. "Tage mit Temperaturen über 25 Grad sind meteorologisch allerdings als Sommertage klassifiziert. Wenn es im Oktober an mehreren Tagen so warm ist, trifft 'extrem' die Sache eigentlich ganz gut." (Lukas Kapeller, 1.11.2023)