Gastbeitrag: Ralf Peschek

Männer- und Frauenfigur auf Waage
Frauen und Männer trennt in Europas Unternehmen ein Entgeltgefälle. Das soll nun mit einer strengen Richtlinie zur Lohntransparenz verschwinden.
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Arbeitgeber müssen ihre Vergütungssysteme und ihre Personalprozesse anpassen. Treiber dafür ist die EU-Richtlinie zur Lohntransparenz. Die Zielrichtung ist eindeutig: Das Entgeltgefälle zwischen Männern und Frauen soll beseitigt werden. Die EU-Mitgliedsstaaten haben nun drei Jahre Zeit, diese Richtlinie umzusetzen.

Zum einen wird die Transparenz der Entlohnung von Männern und Frauen für die einzelnen Arbeitnehmer und innerhalb des gesamten Unternehmens deutlich erhöht. Zum anderen wird die (gerichtliche) Durchsetzung von Ansprüchen wegen eines geschlechtsspezifischen Entgeltgefälles stark erleichtert.

Die Entgelttransparenz beginnt bereits vor der Beschäftigung: Die Arbeitgeber müssen Bewerberinnen und Bewerber über das Einstiegsgehalt oder die Entgeltspanne für die ausgeschriebene Position informieren. Beides muss auf objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien beruhen. Die Bewerber dürfen nicht mehr nach dem aktuellen Gehalt/Lohn bzw. ihrer Entgeltentwicklung in früheren Dienstverhältnissen befragt werden.

Im aufrechten Dienstverhältnis ist die Entgelttransparenz noch viel stärker: Die Arbeitgeber müssen proaktiv die Kriterien offenlegen, die zur Bestimmung des Entgelts und der Laufbahnentwicklung herangezogen werden. Die Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein. Die Richtlinie nennt explizit folgende unbedenkliche Kriterien: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. Weiters kann etwa noch die individuelle Leistung relevant sein. Für die Arbeitgeber bedeutet das, dass sie die Entgeltsysteme nach diesen Kriterien ausrichten müssen, wenn sie nicht unter einen starken Rechtfertigungsdruck kommen wollen.

Was ist gleichwertige Arbeit?

Der Begriff "gleichwertige" Arbeit birgt allerdings eine immense Interpretationsspanne. Es wird meines Erachtens sehr stark von der Rechtsprechung abhängen, wie groß die Gestaltungsspielräume tatsächlich sein werden. In Österreich wird das für die Gerichte teilweise Neuland sein, weil die Entgeltbestimmung bisher kaum der richterlichen Kontrolle unterlag. Aber auch ganz allgemein werden Juristen erforderlich sein, die betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben.

Die Arbeitnehmer haben das individuelle Recht auf Auskunft über die durchschnittlichen Entgelthöhen für jene Gruppe von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie sie verrichten. Zudem müssen Arbeitgeber alle Beschäftigten jährlich über ihr Recht auf individuelle Auskunft informieren. Grundsätzlich darf es kein Entgeltgefälle geben. Das heißt, dass sie ihre Prozesse so ausrichten müssen, dass sie schnell und ohne großen Aufwand diese Auskunftsersuchen beantworten können.

Es kann teuer werden

Außerdem werden die allgemeinen Berichtspflichten verschärft: Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten müssen jährlich über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle berichten. Für kleinere Firmen (zunächst ab 150 Beschäftigten, später ab 100 Beschäftigten) gilt die Berichtspflicht alle drei Jahre.

Wenn das Entgeltgefälle mehr als fünf Prozent beträgt und nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien begründet werden kann, müssen Unternehmen Maßnahmen ergreifen. Das wird wohl in einigen Fällen in Entgelterhöhungen bei Frauen münden, weil die bestehenden Entgelte der Männer nicht einseitig herabgesetzt werden können. Neu ist auch die gemeinsame "Entgeltbewertung" in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretungen. Was das im Detail bedeutet, ist unklar. Die Umsetzung durch den österreichischen Gesetzgeber muss abgewartet werden. Auf jeden Fall wird die stark erhöhte Transparenz Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Position versetzen, ihre Ansprüche zu prüfen und auch geltend zu machen.

Die Richtlinie sieht bei Verstößen vollständige Wiedergutmachung durch Schadenersatz vor. Dazu gehören vor allem die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte und damit verbundener Boni und Sachleistungen und unter Umständen die Entschädigung für immateriellen Schaden. Die Beweislast wurde zugunsten der Arbeitnehmer festgelegt: Wenn sie glaubhaft machen, dass es ein geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle gibt, müssen die Arbeitgeber beweisen, dass dem nicht so ist. Neu ist, dass schon bei Verstößen gegen die Transparenzpflichten selbiges gilt.

Oft war es bisher für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwierig, eine geeignete Vergleichsperson zu finden, die für gleichwertige Arbeit ein höheres Entgelt bekommt. Das hat die Rechtsdurchsetzung erschwert. Hier legt die Richtlinie Erleichterungen fest: Es müssen nicht zwangsläufig Kollegen derselben Arbeitgeber zum Vergleich herangezogen werden, sondern es können auch Ansprüche erhoben werden, wenn das Entgelt durch eine "einheitliche Quelle" (so der Wortlaut der Richtlinie) festgelegt wird, was für Österreich wohl Kollektivverträge bedeutet oder wenn es in einem Konzern eine vereinheitlichte Entgeltfestlegung gibt. Auch bereits ausgeschiedene Kollegen und statistische Verfahren können herangezogen werden.

Beweismittel und Fristen

Wirklich neu ist der von der Richtlinie festgelegte erleichterte Zugang zu Beweismitteln: Die Gerichte und Behörden müssen anordnen können, dass die beklagte Partei einschlägige Beweismittel, die sich in ihrer Verfügungsgewalt befinden, offenlegt – einschließlich Beweismitteln mit vertraulichen Inhalten.

Die Richtlinie legt auch fest, dass die Verjährungsfristen mindestens drei Jahre ab Kenntnis oder Kennenmüssen des Lohngefälles betragen müssen. Damit wären kürzere Verfallsfristen in Kollektivverträgen und Arbeitsverträgen unzulässig.

Arbeitgeber werden sich überlegen müssen, ob ihre aktuellen Vergütungssysteme die Anforderungen, die sich durch Lohntransparenz ergeben, abbilden können. Und sie müssen sich auch Maßnahmen überlegen, um einen Gender-Pay-Gap zu verhindern. (Ralf Peschek, 31.10.2023)