US-Präsident Joe Biden verabschiedete am Montag ein Dekret mit Regeln für KI-Anwendungen.
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Es ist eine Premiere für die USA: Präsident Joe Biden hat am Montag erstmals weitreichende Regeln für den Umgang mit KI-Systemen erlassen. In einer sogenannten Executive Order erlegte das Staatsoberhaupt der USA Unternehmen strenge Regeln auf. So gibt es erstmals vorgeschriebene Sicherheitsstandards im Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI). Die Entwicklerfirmen müssen unter anderem ihre KI-Systeme vor einer Veröffentlichung testen und die Ergebnisse sowie Risikoabschätzungen mit der US-Regierung teilen. Außerdem soll der Einsatz sogenannter Deep Fakes eingedämmt werden. Damit soll vor allem verhindert werden, dass mit der Hilfe von KI generierte Videos die kommenden Präsidentschaftswahlen beeinflussen können.

"Deep Fakes nutzen von KI generierte Audio- und Videoaufnahmen, um den Ruf zu schädigen, falsche Nachrichten zu verbreiten und Betrug zu begehen", sagte Biden bei der Unterzeichnung der Anordnung im Weißen Haus. Er sei besorgt darüber, dass Betrüger mit einem dreisekündigen Audiomitschnitt die Stimme einer Person imitieren und manipulieren können.

Kampf gegen Deep Fakes

"Ich habe eine von mir beobachtet", sagte Biden und bezog sich dabei auf ein Experiment, das seine Mitarbeiter ihm vorführten, um zu zeigen, dass KI-Systeme eine Rede des Präsidenten überzeugend imitieren können. Eine Gefahr, die durchaus nationale oder sicherheitspolitische Krisen auslösen könnte. "Wann zur Hölle habe ich das gesagt?", soll die Reaktion Bidens auf den Mitschnitt gewesen sein. Deshalb müssen mit der KI erstellte Inhalte in Zukunft mit einem Wasserzeichen versehen sein. Die Methode dafür sollen die Bundesbehörden noch entwickeln. Darüber hinaus müssen die US-Behörden sicherstellen, dass KI-Anwendungen nicht zur Herstellung chemischer, biologischer oder atomarer Kampfstoffe verwendet werden. Gleichzeitig sollen Schutzmaßnahmen entwickelt werden, um kritische Infrastruktur vor Attacken zu schützen.

Im Dekret werden auch die Problemfelder des sogenannten Bias angesprochen. Durch Vorurteile in den Trainingsdaten könnte es dazu kommen, dass ohnehin benachteiligte Gruppen in den USA weiter durch das Justiz- oder Gesundheitssystem benachteiligt werden. Gleichzeitig soll eine Studie über mögliche Auswirkungen von KI-Systemen auf den US-Arbeitsmarkt erstellt werden.

Die USA wollen KI-Systeme aber auch gezielt für militärische und geheimdienstliche Zwecke einsetzen. Die genauen Regeln dafür sollen in einem Sicherheitsmemorandum ausgearbeitet werden. "Dieses Dokument wird sicherstellen, dass das Militär und die Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten KI sicher, ethisch vertretbar und effektiv in ihren Missionen einsetzen und wird Maßnahmen anordnen, um dem militärischen Einsatz von KI durch den Gegner entgegenzuwirken", heißt es in einer vom Weißen Haus veröffentlichten Mitteilung.

Die Anordnung soll laut Biden der weltweit weitreichendste Versuch sein, der Technologie Schranken aufzuerlegen und gleichzeitig den Führungsanspruch der USA im Bereich der KI-Regulierung untermauern. Frei von Schlupflöchern ist auch die KI-Regulierung in den USA freilich nicht, und ihre Tragweite ist in der Realität enden wollend. Die von Biden erlassene Anordnung, die das Ergebnis von mehr als einem Jahr Arbeit mehrerer Regierungsstellen ist, hat jedoch nur eine begrenzte Reichweite. Biden verfügt zwar über weitreichende Befugnisse und kann festlegen, wie Regierungsbehörden KI einsetzen, seine Durchgriffsmacht im privaten Sektor ist aber begrenzt. Obwohl er sagte, dass seine Anordnung "mutige Maßnahmen" darstelle, räumte Biden ein, dass "wir immer noch den Kongress zum Handeln brauchen".

Leichtere Einreise für Experten

Gleichzeitig wollen die USA mehr Know-how aus dem KI-Sektor ins Land holen. So sollen die Immigrationsbehörden die Visabestimmungen für ausländische Fachkräfte mit Fokus auf künstliche Intelligenz lockern. Gleichzeitig soll der Fortschritt Chinas gebremst werden, so Biden, der auf den Chip-Bann der USA verwies. Dieser soll dazu führen, dass China der Zugang zu besonders leistungsfähigen Computerchips verwehr wird. Dieses Ansinnen war zuletzt wenig erfolgreich, und in den Vereinigten Staaten war man überrascht, als der chinesische Tech-Konzern Huawei nicht nur ein Smartphone, sondern auch einen KI-Cluster mit 7-Nanometer-Chips vorstellte.

Aus der Tech-Welt kamen verhaltene Reaktionen auf Bidens Executive Order. Während Microsoft "einen kritischen Schritt nach vorn bei der Regulierung" sieht, ist man beim Wirtschaftsverband Netchoice besorgt, es könnte zu Überregulierung kommen. KI-Unternehmen könnten durch strenge Regeln und die verpflichtende Übermittlung von Daten am Markteintritt gehindert werden, teilte der Verband mit.

Harsche Kritik kommt von der American Civil Liberties Union. Die Verordnung nehme KI-System aus, die im Bereich der nationalen Sicherheit eingesetzt werden. Anwendungen im Rahmen von Überwachungs-, Einwanderungs- und Grenzüberwachung seien ausgelagert und würden in einem künftigen Memorandum behandelt. Man sei zwar erfreut, dass die Biden-Administration die Notwendigkeit einer Regulierung von KI-Anwendungen erkennt. "Aber die Regierung verzögert den Einsatz dieser Regulierungswerkzeuge in den Bereichen nationale Sicherheit und Strafverfolgung, in denen der Einsatz von KI weitverbreitet ist und zunimmt und in denen es oft tiefgreifende Auswirkungen auf Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit gibt," so ReNika Moore, Leiterin des Programms für Racial Justice der ACLU.

China, USA und EU ringen um KI-Regulierung

Die USA treten damit in eine Phase, in der sich China und die Europäische Union bereits seit einigen Monaten befinden – der konkreten Umsetzung der KI-Regulierung. Auch Peking fordert eine auffällige Kennzeichnung von KI-Inhalten. China wird außerdem von jedem Unternehmen, das ein KI-Modell einführt, verlangen, dass es "legitime Daten" verwendet, um seine Modelle zu trainieren. Diese müssen den Behörden auf Verlangen offengelegt werden. Außerdem müssen chinesische Unternehmen einen klaren Mechanismus für den Umgang mit Beschwerden von öffentlichen Stellen über deren KI-Inhalte bereitstellen.

In Europa befindet sich der AI Act in den Trilogverhandlungen und soll laut der Kommission bis zum Jahresende ausverhandelt sein. Jedoch unterscheiden sich die Entwürfe des EU-Parlaments deutlich von den Wünschen des EU-Rats. Vor allem die Innenminister der Mitgliedsländer fordern mehr Überwachungsmöglichkeiten durch KI-Systeme, das EU-Parlament ist skeptisch. Viel Zeit bleibt der EU nicht mehr: Sollte der AI Act auf den letzten Metern scheitern, würden die Verhandlungen mit den Europawahlen im Juni 2024 wohl zurück an den Start gehen. Die EU hofft, genau wie die USA, dass sie eine Vorreiterrolle einnehmen kann und andere Länder die KI-Regularien übernehmen. (pez, 31.10.2023)